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# taz.de -- Philosoph über Hoffnung: „Ich will alles, und es soll toll sein�…
> Wenn das Hoffen aufhört, ist das der Tod, sagt Markus Gabriel. Ein
> Gespräch über Theokratie und den Ausschluss Andersgläubiger.
Bild: Die große Lüge: der Sonnenschein unter dem Kreuz ist nur Illusion.
taz: Herr Gabriel, war Hoffnung schon immer da?
Markus Gabriel: Ich würde sagen: Hoffnung ist eine anthropologische
Konstante. Sie hängt mit Freiheit zusammen. Hoffnung heißt, dass die Dinge
anders sein können. Menschen haben einen Sinn im Kern ihres Denkens und
Fühlens dafür, daran zu glauben.
Menschen hoffen also seit der Ursteinzeit?
Ja. Der Mensch war immer frei. Deshalb kann er denken: Oh, dort hinter der
nächsten Ecke könnte es aber besser sein. Schon in der Frühzeit machten
Menschen Dinge radikal anders: Jetzt sind wir keine Nomaden mehr, jetzt
versuchen wir es mal mit Ackerbau. Oder: Wie wär’s, einen König zu haben –
oder wie wär’s, den zu köpfen? Radikale Möglichkeiten sind immer angelegt,
wenn man von Freiheit spricht.
Ist Hoffnung darin etwas Bewusstes?
Wir scheinen Sinne zu haben, die über bewusste Inhalte hinausgehen.
Manchmal hat man das ja eher im Gefühl, dass sich was ändern muss. Nehmen
wir Weihnachten: Es ist doch problematisch, dass der Staat eine bestimmte
Religion privilegiert, so dass wir nicht säkular sind. Das ist für die
moderne Vernunft ein Ärgernis, und es heißt ja auch nicht gerade die
Menschen in Deutschland willkommen, die keine Christen sind – was nicht nur
die Andersgläubigen, sondern auch die Ungläubigen einschließt. Hoffnung
heißt, dass man sagen kann: So sollte es nicht sein.
In welchem Verhältnis stehen Hoffnung und das Christentum zueinander?
Das Christentum hat sich, historisch betrachtet, die Hoffnung gehijackt,
wie es das mit so vielen Begriffen getan hat. Es sagt jedoch nichts
darüber, dass die Dinge anders sein können, im Gegenteil. Das Christentum
ist kein Denken der Hoffnung – sondern der Versuch, die Hoffnung zu
ersticken durch die Notwendigkeit des Realistischen.
Aber Glaube, Liebe und Hoffnung – das sind doch die drei christlichen
Tugenden …
Ja, aber man muss sehen, was Hoffnung da heißt: Bei Paulus ist es die
Hoffnung darauf, dass die weltlichen Zustände aufhören. Jesus sagt:
Übermorgen bin ich wieder da – nicht in zigtausend Jahren am Ende der
Geschichte, sondern übermorgen. Hoffnung ist im Christentum insofern erst
einmal die Zuversicht genau darauf. Und dann kommt die
Enttäuschungserfahrung: Alle warten, und nichts passiert. Schließlich liest
man Paulus so: Du sollst Hoffnung haben auf eine immer ausstehende Endzeit.
Und in der Moderne hat das Christentum dann eben behauptet, die Hoffnung
verdankt ihr mir …
Da sind jetzt aber bestimmt viele Christen erbost …
Das wäre ja schön, wenn die mal erbost wären! Hier in Deutschland hat sich
das Christentum so festgefressen, als gäbe es neben der Demo- auch noch
eine Theokratie – Bundespräsident Theologe, Christentum im Titel der
Regierungspartei. Bei uns herrscht eine extrem weichgespülte Vorstellung
vom Christlichen. Vielleicht wäre es besser, wenn wir eine Debatte darüber
hätten, was das Christentum wirklich sagt: Zum Beispiel, dass man
Homosexuelle töten soll, Levitikus 20:13.
Die Befreiungstheologie sieht das ja ganz anders. Dort heißt es: Lest die
Bibel, und ihr habt eine Anleitung zur Rebellion.
Das wird so gesehen, ja. Aber auch das ist Folge sehr vieler
Hijacking-Prozesse. Das Christentum springt auf Bewegungen auf, wie es
schon im Entstehen aufs Judentum aufsprang, und nutzt das bis heute als
eine extrem erfolgreiche Strategie.
Weshalb hängen so viele Menschen dem an, was man Eschatologie nennen könnte
– einer Vorstellung von Vollendung?
Auch das hat mit Hoffnung zu tun. Die Menschen halten kurz inne am Ende des
Jahres, in diesem Raum, der da aufgeht – Weihnachten. Alles war eng, jetzt
wird es weit. Aber das ist natürlich eine Illusion; es liegt ja nicht in
der Natur der Dinge, dass ein Jahr aufhört. Das ist stupider menschlicher
Narzissmus.
Illusion kann ja auch ein guter Teil von Hoffnung sein
Auf jeden Fall. So drücken wir uns auch aus: Menschen, die sich keine
Illusionen machen, sind in gewisser Weise hoffnungslos. Da stellen wir uns
gleich jemanden vor, der oder die kalt dreinschaut. Illusionen sind also
schon gut – man darf sie nur nicht für bare Münze nehmen.
Was ist, wenn sich Hoffnungen erfüllen?
Oft ist man dann enttäuscht: Wenn man glaubt, dass die Hoffnung daran
gebunden war, dass man diesen Gegenstand bekommt oder diesen Zustand
erreicht – und nicht versteht, dass die Hoffnung etwas war, dass damit zwar
zu tun hatte, aber zugleich Teil eines viel größeren Horizonts ist. Nehmen
wir die Französische Revolution: Da gab es die Hoffnung, wenn der König weg
ist, ist es gut. Und weil eigentlich noch gar nicht weiter darüber
nachgedacht wurde, was danach ist, gehen Prozesse los, die umschlagen.
Ist es also das Schlimmste, dass sich Hoffnung erfüllt?
Es ist gut, dass sie sich manchmal erfüllt – nur wenn man denkt, dass damit
das Hoffen aufhört, wäre das schlimm. Hoffnung lässt sich nie ganz stillen.
Wenn das Hoffen aufhört, wenn man hoffnungslos ist, ist das der Tod.
In gewisser Weise will man also immer mehr?
Ja, das ist der Zusammenhang von Hoffen und Begehren. Das Begehren als
solches ist dabei nicht das Problem – nur die Einbettung des Begehrens in
die soziale Ordnung. Man könnte entweder sagen: Du kriegst den Hals nicht
voll, das ist schlecht. Oder man sagt: In dem Kontext, in dem du dich
bewegst, musst du das zügeln. Letzteres ist für mich ein richtiger Satz.
Aber dass einer den Hals nicht vollkriegt, gehört dazu, das muss so sein.
Ich will immer mehr, und ich will alles, und es soll toll sein!
Worin liegt Ihre größte Hoffnung?
Ich hoffe etwa, dass Deutschsein bald keine Eigenschaft von Körpern mehr
ist, sondern ein normativer Status. Man denkt, dass es türkisch- und
deutschstämmige Deutsche gibt. Das ist einfach absurd. Wenn einer Deutscher
ist, ist er oder sie deutsch. Der richtige emanzipatorische Schritt in
dieser Hinsicht wäre, nichts mehr dazu zu sagen.
So dass es keinen Unterschied macht zwischen Mesut Özil und Thomas Müller:
Mesut ist einfach ein deutscher Name?
Ganz genau. Man kann bei der WM auch meinetwegen darüber streiten, ob man
als Deutscher die Hymne singen sollte. Aber nicht darüber, ob eher Özil
oder Müller sie singen sollten. Und außerdem hoffe ich, dass es uns
gelingt, eine kosmopolitische Weltgemeinschaft zu erzeugen. Ich möchte mir
vorstellen, dass sich Gleichheit und Freiheit über den ganzen Planeten
verteilen. Der Mensch ist gut – aber weil er Teil ist von übergeordneten
Strukturen und Institutionen, die regulieren und Handlungswege
vorschreiben, ermöglichen und verhindern, kann es immer dazu kommen, dass
die solidarische Ausrichtung umgebogen wird.
Ist Ihre Hoffnung denn berechtigt, wenn man sich die letzten Jahre,
Jahrzehnte ansieht?
Konkret in Deutschland ist allein in meiner Lebenszeit mehr Gleichheit
erzielt worden. Aber erstens ist das ein offenes Spiel – und zweitens kann
man ganz grundsätzlich natürlich nicht sagen, dass die Dinge besser
geworden sind. Das ist kein automatischer Prozess. Verhältnisse werden
besser, weil viele es wollen. Das wiederum hängt von der Freiheit ab.
23 Dec 2014
## AUTOREN
Jan Feddersen
Patricia Hecht
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