# taz.de -- Theologe über Weihnachtsbräuche: „Der Advent wird verdrängt“ | |
> Beginnt nun wieder die Zeit der Behaglichkeit und Völlerei? Von wegen: | |
> Spirituelle Wellness ist das nicht, sagt Rainer Kampling, | |
> Theologieprofessor an der FU Berlin. | |
Bild: Shoppen bis das Christkind kommt: Weihnachten naht. | |
taz: Herr Kampling, am Wochenende beginnt der Advent, die vorweihnachtliche | |
Zeit … | |
Rainer Kampling: Und da fängt das Problem schon an (lacht). Diese | |
sogenannte Vorweihnachtszeit hat zur Verdrängung des Advents geführt. | |
Wie meinen Sie das? | |
Die Vorweihnachtszeit findet in den Kaufhäusern statt. Dieses Jahr fing sie | |
schon im August an, da habe ich jedenfalls den ersten | |
Schokoladen-Weihnachtsmann im Supermarkt gesehen. Der Kommerz hat den | |
Advent konsumiert, der in Kirchen seinen Ort hat. Der Name kommt vom | |
lateinischen „adventus“ für Ankunft. Die Christen bereiten sich in dieser | |
Zeit auf das Fest vor, besuchen Gottesdienste wie die frühmorgendlichen, | |
andächtigen Rorate-Messen. Aber der Advent trägt in sich immer auch die | |
Erinnerung an die Erwartung der Wiederkunft Christi. | |
Worin liegt der spirituelle Sinn dieser Zeit? | |
Im Advent, mit dem das Kirchenjahr beginnt, sollen die Menschen lernen, | |
innezuhalten, zu warten. Im Advent sollen sie versuchen, sich Räume | |
zurückzuerobern, die ihnen im Alltag verloren gegangen sind. Allerdings | |
wird das immer schwieriger. Paradoxerweise ist der Monat Dezember, in dem | |
wir uns besinnen sollten, der hektischste des Jahres. Aber eine christliche | |
Adventszeit ist keine einfache, ausschließlich frohe Zeit, sie bedeutet | |
auch das Nachdenken über sich. Schließlich ist Weihnachten kein | |
Kindergeburtstag, sondern bedeutet im Christentum den Wendepunkt der | |
gesamten Heils- und Weltgeschichte: Der Erlöser wird geboren. | |
Geht es nicht schlicht darum, abseits des Trubels ein wenig Ruhe zu finden? | |
Ja, aber um den Advent haben sich Vorstellungen entwickelt, die nichts mit | |
ihm zu tun haben – etwa die Behaglichkeit oder die Völlerei. Bis Anfang des | |
20. Jahrhunderts war der Advent noch eine Fastenzeit. | |
Und welche Bedeutung hat der Adventskranz? | |
Das ist ein ursprünglich protestantischer Brauch. Die Kreisform und das | |
bleibende Grün der Tannenzweige stehen für das ewige Leben, die Kerzen für | |
das Licht, das in die Welt kommt. Das Licht in dieser dunklen Jahreszeit | |
ist ein gutes Symbol, auch wenn es einige mit der Beleuchtung natürlich | |
übertreiben. | |
Dringt diese Adventsbotschaft denn noch zu den Menschen durch? | |
Adventstugenden wie Ruhe und innere Einkehr funktionieren ja auch ohne | |
Gott. | |
Nein, da bin ich pessimistisch. Ich glaube auch nicht, dass sich die | |
Adventsbotschaft so einfach übersetzen lässt. Die Adventszeit ist ja nicht | |
spirituelle Wellness, sondern das Einlassen auf sich selbst angesichts | |
seiner Endlichkeit. Diese spezifische Erfahrung hängt mit christlichem | |
Glauben und christlichen Praktiken zusammen. Wer wissen will, was Advent | |
ist, muss in die Kirche gehen. Aber wer Vergnügen an der Vorweihnachtszeit | |
hat, hat bestimmt eigene Wege entwickelt, sie zu genießen. | |
Macht es einem eine Großstadt wie Berlin dabei besonders schwer, | |
Adventsstimmung aufkommen zu lassen? | |
Ja, und das hat nicht nur mit der kommerziellen Vorweihnachtszeit zu tun. | |
Es ist halt eine Stadt, die Innehalten nicht besonders schätzt. | |
Wie kann der Advent in Berlin trotzdem gelingen? | |
Eine gute Übung ist das Helfen. Es gibt in Berlin so viele Möglichkeiten zu | |
helfen. Die Notküche der Franziskaner in Pankow oder der Kältebus etwa. | |
Helfen ist wirklich ein guter Beitrag zu einem gelungenen Advent und eine | |
Einstimmung auf Weihnachten. | |
29 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Matthias Bolsinger | |
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