# taz.de -- Journalisten und Trolle: Einmal auf den Deckel und zurück | |
> Einige Journalisten haben die Schnauze voll von Spam, Anfeindungen und | |
> Verschwörungstheorien. Sie wehren sich – und schießen mit Ironie zurück. | |
Bild: Kommentare über Kommentare. | |
Warum leugnen, wenn doch ohnehin alles glasklar ist? „Richtig. Gestern war | |
es wieder so weit“, schreibt dann auch die Welt auf Facebook und räumt | |
damit endlich ein, was gerade ein Leser in den Kommentaren enttarnt hat: | |
Die deutschen Leitmedien sind „auf Befehl“ zum Russland-Bashing | |
übergegangen. Die Journalisten liefern dazu die Details. | |
„Gegen 20.17 Uhr klingelt hier im Newsroom das rote Telefon“, [1][heißt es | |
da]. Diesmal sei aber nicht „wie sonst“ die Kanzlerin dran gewesen, sondern | |
der US-Präsident. Der sei nun mal von Berichten über folternde | |
Geheimdienstler genervt und habe daher „eine Nebelkerze“ bestellt. Die | |
Geschichte von der russischen Provokation in der Ostsee wird geboren – | |
besinnungslos: „Im 19. Stock goss man sich den nächsten Whiskey ein.“ | |
Journalisten haben sich jahrelang zurückgehalten, wenn notorische | |
Nervensägen – sogenannte Trolle – die Kommentarspalten auf den Seiten und | |
Profilen der Redaktionen mit schlichtweg irrem Zeug vollgeschrieben haben. | |
Inzwischen platzt aber immer mehr Redakteuren der Kragen. Die Journalisten | |
trollen nun zurück, mit möglichst viel Ironie. | |
Bei der Welt hat Martin Hoffmann diese Strategie eingeführt, der vor kurzem | |
als Redakteur für soziale Netzwerke vom MDR zum Axel Springer Verlag | |
gewechselt ist. Hoffmann sagt das ganz offen: Ignorieren habe nichts | |
gebracht. Trolle würden vielmehr „ganz schnell das Diskussionsklima | |
vergiften“. Da helfe nur, Einträge wortlos zu löschen oder Intensivtätern | |
„das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht gewollt sind“. Hoffmann hat sich | |
das sogar extra in einem Strategiepapier von seiner Chefredaktion absegnen | |
lassen. | |
„Uns springen ganz schnell auch andere Nutzer zur Seite“, sagt Hoffmann. | |
Der gemeine Troll werde so „von einer überwältigenden Mehrheit von Menschen | |
abgeblockt“ und gebe „früher oder später“ klein bei. | |
## Anti-Troll-Agitation | |
Letztlich gehe es vor allem darum sicherzustellen, dass die Nutzer, die | |
ernsthaft diskutieren wollten, nicht in einer „Kakofonie von Beleidigungen“ | |
untergingen. Spaß mache die Abwehr von Trollen nebenbei aber auch. | |
Hoffmann betreibt die Anti-Troll-Agitation inzwischen besonders intensiv, | |
aber auch andere Redaktionen schwenken auf diesen neuen Kurs um. Vor ein | |
paar Tagen erst antwortete die „Tagesschau“ auf die Frage, wie es denn sein | |
könne, dass „Spiegel Online, Stern und nun ihr ein und dasselbe schreibt?!“ | |
launig: „Systempresse. Wissen Sie doch.“ | |
Der Spiegel hat wiederum früh damit angefangen, sich nicht mehr alles | |
gefallen zu lassen. Im Sommer hatte die Redaktion versucht, wirre | |
Unterstellungen mit Links auf entsprechende Quellen als „totalen Blödsinn“ | |
abzutun. Als das aber – wie so oft – nichts half, outete sich der Redakteur | |
als „Zionisten-Bilderberger-CIA-Illuminaten-Presseoffizier“ und bat: | |
„Posten Sie hier keine Links, die unsere weltumspannende Verschwörung | |
enttarnen könnten. Wir haben uns so viel Mühe gegeben.“ | |
## Keinen bloßstellen | |
Für Torsten Beeck, der gerade als Social-Media-Stratege von Bild rüber zum | |
Spiegel gemacht hat, sind diese Aktionen Ausdruck eines neuen | |
Selbstbewusstseins in den Redaktionen. Die seien es inzwischen einfach | |
leid, dass ein paar Kommentatoren gar nicht offen seien für Argumente, | |
sondern bloß versuchten, „ihr Weltbild zu schützen“. | |
Die Kunst sei es nun, einen Weg zu gehen, der „niemanden bloßstellt“, mahnt | |
Beeck und spricht davon, Trolle „freundlich auf die Schippe zu nehmen“. Das | |
klappt tatsächlich oft ganz gut: Die Anti-Troll-Aktionen werden im Netz | |
beklatscht und mit Hunderten „Gefällt mir“-Klicks belohnt. Sogar die Trolle | |
steigen in den Spaß ein – zumindest gelegentlich. | |
Bei Facebook findet unterdessen die Gruppe „Fans des | |
gleichgeschaltet-ironischen Journalistenzirkels“ langsam, aber sicher immer | |
mehr Anhänger – ein paar hundert sind es bereits. Sie feiern die ironischen | |
Online-Kommentare der Welt, die damit eine bislang gänzlich unbekannte | |
Seite offenbaren: Humor. Immerhin das haben die Trolle geschafft. | |
6 Jan 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://twitter.com/freddy2805/status/543355833858686976 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bouhs | |
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