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# taz.de -- Ghostwriter-Agentur in Deutschland: Ein Doktortitel für einen Klei…
> Thomas Nemet verhilft Leuten zu einem akademischen Titel. Seine Agentur
> fertigt Abschlussarbeiten an. Eine Begegnung im Hort der Wissenschaft.
Bild: Die Ghostwriter verkaufen gute Arbeiten, wie andere gute Wurst oder effek…
Links sitzt Wilhelm, rechts Alexander. Die Gebrüder Humboldt gucken über
Thomas Nemet hinweg, der zwischen beiden hindurch in die nach ihnen
benannte Berliner Universität spaziert. Dreißigtausend Studenten sind hier
eingeschrieben; gut möglich, dass einige von ihnen schon mit Thomas Nemet
telefoniert haben. Mit dem Mann, der ihnen einen Ghost besorgt.
Nemet, 44, Sportblouson und schwarze Aktentasche, ist Geschäftsmann. Dunkle
Augenringe kontrastieren die blaue Iris, die schwarzen Haare sind zur Seite
gescheitelt. Neugierig schaut er sich im Foyer um, wo sich zwei
Steintreppen, eine nach rechts und eine nach links oben schwingen und die
Marx’sche Feuerbachthese gegenüber des Eingangs einrahmen. „Die Philosophen
haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie
zu verändern“.
Thomas Nemet ist Inhaber von Acad-Write, eine der größten deutschen
Ghostwriter-Agenturen. Dreihundert AutorInnen arbeiten für Acad-Write, rund
fünfzig von ihnen gehören zum festen Kern. Sie verfassen, was die Kunden
bestellen: Hausarbeiten, Bachelorarbeiten, Dissertationen. Die die Kunden
unter ihrem Namen einreichen.
Von Letzterem hat Nemet natürlich offiziell keine Ahnung – „Wir liefern
wissenschaftliche Arbeiten, was damit passiert, hat uns nicht zu
interessieren“, sagt er. Aber gefragt, wie viele seiner Kunden die
Auftragsarbeit unbesehen an die Professorin weiterreichen, guckt er
verdutzt und lacht dann auf. „Na alle. Warum gibt man sonst Geld dafür aus.
Sie kaufen sich doch auch keinen Kuli und setzen sich zu Hause hin und
bauen einen Kuli neu.“
## Alle wollen einen Abschluss
Nemet lebt von der Akademisierung der Gesellschaft. Ein akademischer Titel
gilt heute als Eintrittskarte für begehrte Jobs in Medien, Politik und
Wirtschaft.
Viele von denen, die sich an Thomas Nemet wenden, arbeiten bereits und
studieren nebenbei. Andere sind überfordert, verzetteln sich. Sie alle
wollen einen Abschluss, der ihren Job sichert oder die Tür zu einer
besseren Stelle öffnet. Die Nachfrage ist groß.
In einem Studentencafé im neuen Hörsaalgebäude bestellt Nemet eine Cola. Ob
es auch etwas zum Mittag sein soll, fragt das Mädchen hinter der Theke.
„Nein, danke“, antwortet Nemet. „Ich esse tagsüber nicht so viel.“ Er …
sein Portemonnaie. „Ich übernehme das alles.“
## Doktorarbeit zum Preis eines Kleinwagens
Eine Seite Wissenschaftsprosa kostet etwa achtzig Euro, eine
fünfzehnseitige Hausarbeit summiert sich also auf über tausend Euro, für
Doktorarbeiten bezahlen die Kunden mehr als sechzehntausend Euro. Der Preis
eines Kleinwagens, und es gibt nicht wenige, die das ausgeben. Vierzig von
rund tausend Aufträgen, die Nemets Firma pro Jahr abarbeitet, sind
Doktorarbeiten. Jeder Dritte sei Stammkunde. „Die betreuen wir das ganze
Studium.“
Nemet nippt an seiner Cola. Denkt kurz nach. „Das ist wie Doping.
Eigentlich ist es ja verboten. Aber jeder macht’s.“ Eine Spur des Dialekts
seines sächsischen Heimatdorfs nahe Dresden klingt noch durch, obwohl er
jetzt schon seit fünf Jahren in Zürich wohnt. Zurzeit alleine, ohne Frau
und ohne Kinder. „Ist vielleicht auch besser so, da kann mir niemand weh
tun.“
Seine Firma ist inzwischen auch in der Schweiz, in Österreich, in
Australien, Großbritannien, Kanada und den USA aktiv. Nemet erzählt, dass
sich an einigen Unis schon rumgesprochen habe: Wenn man Hilfe braucht, geht
man zu Acad. Er sagt das nicht ohne Stolz.
## Legaler Verkauf, aber nicht gerecht
Am Nebentisch gucken zwei Studentinnen in ein aufgeklapptes Laptop. Die
linke kaut an ihrem Kuli und unterstreicht etwas ihrem Block. „Ich würde
sagen, diesen Punkt müssen wir noch ausweiten.“ Mhm, sagt die rechte und
beginnt mit zwei Zeigefingern zu tippen.
Die meisten Studenten verfassen ihre Arbeiten immer noch selbst. Sie
arbeiten drei Jahre und länger für ihren akademischen Titel – den andere
sich einfach kaufen. Ist das gerecht? Nemet schüttelt den Kopf. Über diese
Frage: „Da man mit Geld alles kaufen kann und wir davon leben, ist es
einfach so. Wenn ich es nicht anbiete, dann biete es jemand anders an.“
So sieht er das. Er verkauft gute Arbeiten, wie andere gute Wurst verkaufen
oder effektive Staubsauger. Und legal dazu. Nemet hat das extra juristisch
prüfen lassen. Kniffliger wird es, wenn seine Kunden eine eidesstattliche
Erklärung unterzeichnet haben, in der sie versichern, die Arbeit selbst
geschrieben zu haben. „Aber auf keinen Fall ist es Betrug, es findet ja
keine Vermögensverschiebung statt.“ Nemet lehnt sich vor, der Punkt ist ihm
wichtig. „Höchstens wissenschaftlicher Betrug, aber das gilt meistens nur
als gescheiterter Prüfungsversuch. Man kann die Arbeit wiederholen.“ Er
lehnt sich wieder zurück.
## Geschäft mit Geschäftsgeheimnis
Die Menschen, die bei ihm anrufen, fragen immer: „Wie sicher ist das?“ Dann
sagt Nemet: Absolut sicher. Wie soll das rauskommen? Es gab auch schon mal
den einen oder anderen Professor, der bei Nemet anrief und nachfragte, ob
die Firma hinter der Arbeit stünde. Nemet sagt dann: Dazu könne er keine
Auskünfte geben. Geschäftsgeheimnis.
In der Praxis ist es tatsächlich sehr schwer nachzuweisen, ob eine
wissenschaftliche Arbeit nicht von demjenigen verfasst wurde, der als Autor
genannt ist. Zudem ist die Rechtsprechung zur Frage, ob
Ghostwriting-Vereinbarungen im Bereich wissenschaftlicher Schriftwerke
zulässig sind, uneinheitlich – weshalb der Deutsche Hochschulverband den
Gesetzgeber bereits im Sommer 2012 aufgefordert hat, einen Straftatbestand
Wissenschaftsbetrug zu schaffen.
Inzwischen macht Nemet gar kein Geheimnis daraus, womit er sein Geld
verdient. Und wie viel. Er hat die Zahlen parat, während wir über den
Innenhof der Uni laufen. „2,4 Millionen Ertragserwartung in diesem Jahr.“
Nicht schlecht für ein Start-up, das der arbeitslose Philosophieabsolvent
Nemet zusammen mit Kumpels vor zehn Jahren in seiner
Ein-Zimmer-Plattenbauwohnung in Halle an der Saale gründete. Nach dem
Studium hatte er sich zunächst als freier Journalist verdingt. Doch die
Zeitungen zahlten schlecht. Im Internet suchte er nach Jobs unter den
Stichworten „Schreiben“ und „Geld verdienen“. Er stieß auf eine
Internetseite, die Hilfe beim Verfassen von Hausarbeiten anbot. Er bewarb
sich per E-Mail und bekam erste Aufträge. Kontakt zu seinen Auftraggebern
hatte er selten. „Am Telefon sicher, aber dann nur ganz kurz“. Das Geld
ging dafür schneller ein als erwartet.
## Und nebenbei die eigene Dissertation
Er schaute sich das Geschäftsmodell näher an und entwarf eine eigene
Webseite. Über Google schalteten sie Anzeigen. Zehn Interessenten meldeten
sich in der ersten Woche, einer bestellte. Anfangs schrieb Nemet die
Arbeiten noch selbst. „Ich weiß nicht, was wir gemacht hätten, wenn
plötzlich hundert Aufträge reingekommen wären. Aber man muss auch mal ein
Risiko eingehen, um zum Erfolg zu kommen.“ Über Jobportale fanden sie
Autoren, das Geschäft lief an – und nach der Affäre um die
zusammengestoppelte Arbeit des damaligen Verteidigungsministers Guttenberg
stiegen die Anfragen an Nemets Firma. Vielleicht hätte sich Guttenberg
einen besseren Ghostwriter nehmen müssen? Nemet nickt. „Wenn das so war,
dann war der schlecht. Aber es gilt: Je billiger man einkauft, desto größer
die Wahrscheinlichkeit, dass es paste und copy ist.“ Bei ihm bekämen die
Kunden eine absolut saubere Arbeit. Jedes Werk werde anschließend sowohl
von einem Lektor als auch elektronisch auf mögliche falsch zitierte Stellen
überprüft. Mit der gleichen Software, die auch die Universitäten benutzen.
Wir stehen auf und gehen hinaus. Nemet steckt sich eine Davidoff an. Er
selbst hat auch promoviert. Über Sartre, „das Thema fand ich interessant“.
Damals hatte er schon als Geschäftsführer für Acad-Write gearbeitet. Die
Kollegen sagten, es wäre doch gut, wenn einer von ihnen einen Doktortitel
besäße. Die Dissertation schrieb er nebenbei. Er hätte ja auch jemand
beauftragen können, wollte er aber nicht: „Anspruch, Ego.“
Er raucht und schaut sich suchend um. Kein Aschenbecher. Schließlich wirft
er die Kippe mit spitzen Fingern durch das Eisengitter eines Gullys. „In
Zürich darf man keine Kippen auf den Bordstein werfen. Ich habe auch keine
Lust, deshalb von einem Polizisten angemacht zu werden.“
Aber das müsse ja auch nicht sein, die ganzen Zigarettenreste auf der
Straße. „Sieht ja asozial aus.“
12 Jan 2015
## AUTOREN
Anna Lehmann
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