# taz.de -- Therapeutin über Prokrastination: „Manchmal ist es besser zu put… | |
> Das Bad ist dreckig, der Kühlschrank leer – Psychotherapeutin Lena | |
> Reinken erklärt, wann Prokrastination angebracht ist. Und wann nicht. | |
Bild: Machmal kann Bügeln richtig Spaß machen. | |
taz: Frau Reinken, wieso schieben wir Dinge so gern auf? | |
Lena Reinken: Aufschieben ist erst mal positiv. Wenn ich mich an die | |
Hausarbeit setzen möchte, aber Angst habe, den eigenen Erwartungen nicht zu | |
genügen, oder das Thema langweilig finde, erzeugt das negative Gefühle. | |
Dann ist es kurzfristig besser, etwas im Internet nachzuschauen oder einen | |
Joghurt aus der Küche zu holen. Manchmal ist es sogar besser, das Bad zu | |
putzen. | |
Und wie erkenne ich, ob mein Aufschiebeverhalten problematisch ist? | |
Da müssen Sie überlegen, wie es Ihnen mit dem Thema geht. Wenn Sie dazu | |
neigen, Dinge aufzuschieben, aber mit etwas Aufwand und Hektik schaffen Sie | |
Fristen doch noch, dann würde ich sagen, es ist alles gut. Es gibt viele | |
Menschen, die schieben auf, und es gehört zu ihrem Arbeitsstil. Andere | |
verpassen Abgabefristen und sie merken, dass Kommilitonen an ihnen | |
vorbeiziehen. Manche flunkern dann und sagen, sie seien schon weiter als | |
sie sind, zum Beispiel den Eltern gegenüber. | |
Ist es gleich Prokrastination, wenn ich mir etwas zu essen hole, obwohl ich | |
vor Hunger noch nicht umkomme? | |
Natürlich nicht. Für manche Menschen kann es der Schritt sein. Sie holen | |
sich einen Joghurt, dann sehen Sie, dass es der letzte war, und gehen erst | |
mal einkaufen. Dann aber direkt für die ganze Woche. Es sind viele kleine | |
Tätigkeiten, die sich aneinanderreihen. Jeder fängt mal später an, jeder | |
macht mal Unterbrechungen. Es kommt auf das Ausmaß an, ob ich das schaffe, | |
was ich mir vorgenommen habe, oder ob ich doch dazu neige, dann doch immer | |
wieder andere Sachen zu machen, die kurzfristig belohnender sind. | |
Sind gerade Studenten anfällig für Aufschiebeverhalten? | |
Ja, das denke ich schon. Im akademischen Bereich ist viel selbstreguliertes | |
Lernen erforderlich. Die Fristen sind oft sehr weit entfernt. Zum Beispiel | |
für Abschlussarbeiten habe ich monatelang Zeit. Das ist für Menschen, die | |
zum Aufschieben neigen, viel schwieriger, als wenn sie irgendwo arbeiten | |
würden und jeden Tag eine Aufgabe abschließen müssen. Je weiter entfernt | |
die Fristen sind, desto schwieriger ist es, sich selbst zu regulieren und | |
sich zu motivieren. | |
Man könnte auch sagen: Aufschiebende Studenten sind schlicht! | |
Nein. Faul bin ich, wenn ich mir gar nichts vornehme und mir einfach eine | |
gute Zeit mache. Menschen, die aufschieben, nehmen sich die Sachen ganz | |
fest vor, nur setzen sie es nicht um. Das heißt, sie haben alles andere als | |
eine gute Zeit. Sie legen nicht einfach die Beine hoch und gucken fern. Und | |
selbst wenn, dann haben sie dabei ein schlechtes Gewissen. | |
Was berichten Ihnen die Teilnehmer in Ihren Workshops? | |
Prokrastination ist ein schillerndes Thema. Auf Facebook gibt es eine | |
Gruppe, die heißt „I procrastinate and I’m proud“, manche finden das | |
faszinierend. Für Betroffene ist es eher schambesetzt und belastend. Es ist | |
erleichternd für sie, in der Gruppe zu erfahren, dass sie nicht die | |
einzigen sind. | |
Ist es nicht peinlich für die Teilnehmer, ihre Misserfolge vor anderen | |
auszubreiten? | |
Es ist nie so, dass bei manchen gleich alles funktioniert und bei anderen | |
gar nichts. Alle erzielen während des Workshops unterschiedliche Erfolge: | |
Manche schaffen es, mit dem Lernen pünktlich zu beginnen, andere fühlen | |
sich in den Lernphasen besser, andere können ihre Freizeit wieder mehr | |
genießen. Der Austausch in der Gruppe ist motivierend und bringt die | |
Teilnehmer auf neue Ideen. Es ist ein Prozess. | |
Was raten Sie mir konkret, wenn ich unter meinem Aufschiebeverhalten leide? | |
Ihre Lernzeiten zu kontrollieren. Sie nehmen sich ein Zeitfenster vor, in | |
dem Lernen erlaubt ist, und außerhalb davon ist Lernen verboten. Ziel ist | |
es, die Lernfenster am Ende genau auszunutzen. So trennen Sie zwischen | |
Frei- und Lernzeit. Menschen, die aufschieben, haben meist ein schlechtes | |
Gewissen. Sie denken, sie müssen mehr lernen, und haben selten das Gefühl, | |
richtig freizuhaben. Seine Zeit zu regulieren, kann zu einer | |
Einstellungsänderung führen: Etwa, nicht immer lernen zu müssen, sondern | |
seine Lernzeit besser ausnutzen zu wollen, weil man nicht so viel davon | |
hat. | |
Wie teile ich mir meine Zeit denn gut ein? | |
Wichtig ist es, sich einen Anfangs- und einen Endpunkt zu setzen. Wenn ich | |
längere Zeit gar nichts gemacht habe, ist es unrealistisch zu sagen, ich | |
fange direkt mit acht Stunden an. Also nehme ich mir eine Stunde vor. | |
Außerdem ist es hilfreich zu überlegen, was der erste Schritt ist und was | |
ich schaffen will. Nicht einfach so viel wie möglich ist, sondern ganz | |
konkret, drei Artikel, die ich überfliege und aus einem davon schreibe ich | |
die Stichpunkte raus. Je genauer ich plane, desto höher ist die | |
Ausführungswahrscheinlichkeit. Wenn ich Dinge länger hinausgeschoben habe, | |
ist es wichtig, dass ich mich am Anfang nicht überfordere. Wenn ich einen | |
Marathon laufen möchte, fange ich auch nicht mit einem Achtstundentraining | |
an, sondern mit einer halben Stunde. Und dann wieder einer halben, bis ich | |
mich steigere. | |
Und wenn ich nun mal nur unter Druck arbeiten kann und vorher nicht? | |
Dann ist das doch prima. Wenn Sie den Druck brauchen, dann können Sie sich | |
erst mal eine gute Zeit machen, bis der Druck ausreichend angestiegen ist. | |
Sein Aufschiebeverhalten zu ändern ist mühselig und bedeutet Arbeit. Es | |
gibt keinen Zaubertrick. Ändern sollte man sein Verhalten, wenn man | |
wiederholt darunter leidet. | |
24 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Anna Bordel | |
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