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# taz.de -- Die Wahrheit: Ungeheilte Seelen atmen auf
> „Jede Zeitungslektüre wird zur Folter“: Endlich ist die Verletzung
> religiöser Gefühle als medizinisches Krankheitsbild anerkannt.
Lange wurde sie von der Schulmedizin nicht ernstgenommen und zu
Phantomschmerzen kleingeredet: die Verletzung religiöser Gefühle. Als wären
die unvorstellbaren Schmerzen, die den Alltag der Betroffenen zur Hölle
machen, nicht genug der Pein, klagen diese zusätzlich über Missachtung
durch eine immer säkularer werdende Ärzteschaft und eine insgesamt
gefühlskalte Gesellschaft, die nur Spott und Hohn für den imaginären Freund
im Himmel übrighat.
Der bekennende Katholik Benedikt Erzmoser zum Beispiel leidet seit
Jahrzehnten an religiöser Überempfindlichkeit. Die Krankheit brach aus, als
seine Eltern ihm erzählten, dass der Weihnachtsmann nicht existierte. Ein
Schock für den damals 17-Jährigen. Wochenlang lag er weinend im Bett, nur
von heißer Schokolade und Enid-Blyton-Lektüre genährt. Zurück ins Leben
holte ihn schließlich ein fachkundiger Exorzismus.
Aus der Bibel, die der diensthabende Exorzist ihm schenkte, schöpfte
Erzmoser neue Kraft und fand in Gott einen idealen Weihnachtsmannersatz.
Doch damit begann sein Leidensweg erst richtig. „Diese immer
wiederkehrenden Berichte über pädophile Priester, diese geschmacklosen
Witze, die alle Welt sich mit dem Heiland erlaubt, die heillose Aufklärung
mit der man täglich konfrontiert wird, verletzten meine zart sprießenden
religiösen Gefühle auf das barbarischste“, erzählt uns Erzmoser. „Jede
Zeitungslektüre wird zur Folter.“
Zuerst manifestierte die religiöse Gefühlsverletzung sich in neuronalen
Blähungen und mentalem Völlegefühl, die sich auch mit dem Absingen mehrerer
Ave Maria nicht wirklich lindern ließen. Bald kamen emotionales Sodbrennen,
Seelenkrebs und verbaler Durchfall hinzu, bis am Ende das geistige
Immunsystem des heute 45-Jährigen komplett versagte. Der Schwerkranke
verbringt seine Tage im Mutterhaus der Boromäerinnen in Landsberg, einer
der wenigen spezialisierten Kliniken, die religiöse Gefühlsverletzung als
Krankheit ernstnehmen und behandeln.
## Santa Claus ist Gott
Hier versucht man seiner gemarterten Seele durch Gebet und das Vorführen
von Enthauptungsvideos aus Saudi-Arabien wieder auf die Beine zu helfen. Ob
die tückische Krankheit, die viele Patienten am Ende in sabberndes,
fauchendes Gemüse verwandelt, durch die Behandlung einen benignen Verlauf
nimmt, bleibt abzuwarten.
Von der Gesellschaft verlacht, von der Wissenschaft ignoriert, litten
religiös Gefühlsverletzte lange für sich allein. Doch nun ist
Wissenschaftlern der Universität Uppsala ein Durchbruch gelungen. Was
unerschrockene Querdenker wie Matthias Matussek und Peter Hahne schon lange
wussten, ist jetzt von dem renommierten Hysterieexperten Esben P. Blatt
wissenschaftlich nachgewiesen worden: Religiöse Gefühlsverletzung ist keine
Einbildung, sondern eine ernstzunehmende körperliche Krankheit.
Die Forschungsgruppe um Professor Blatt hat Hunderte an religiöser
Gefühlsverletzung Verstorbene obduziert und stieß auf eine überraschende
Gemeinsamkeit: Sie alle besitzen kein Gehirn. An der Stelle, wo bei
Gesunden das Gehirn sitzt, befindet sich bei den Kranken eine Art
Megadrüse, die von den Wissenschaftlern Große Tränendrüse (Glandula
Lacrimae Christi) getauft wurde. Dieses hochkomplexe Gebilde beinhaltet
weitere hypersensible Strukturen: die Intoleranzkruste (Corpus Henryk M.
Broderii), der Sadismus-Cortex (Cortex inquisitionis), ein offensichtlich
komplett nutzloser Wurmfortsatz namens christliches Abendland (Terra
incognita), der mit einem übelriechenden braungrünen Schleim (Pegida)
gefüllt ist, und das Schmerzensreich (Mater dolorosa), ein schwabbeliger
Zellhaufen, der Unglückshormone ausschüttet, sobald irgendwo auf der Welt
ein Gott, sein Stellvertreter oder sein Prophet gelästert wird.
Wenn in Brasilien ein Ungläubiger das Dogma der unbefleckten Empfängnis mit
Füßen tritt, brechen auf der ganzen Welt Eiterbeulen voller Indignation
auf. Wenn ein Unwissender in Wladiwostok die Unfehlbarkeit des Papstes
infrage stellt, dann winden Tausende kranke Katholiken sich in
Höllenqualen.
Die herkömmliche Pharmazie hat keine Mittel gegen religiöse
Gefühlsverletzung im Angebot. Versuche mit Substanzen wie Paracetamol oder
Nasivin verliefen erfolglos. Weihrauchdämpfe einatmen lindert die Schmerzen
zumindest vorübergehend. Bessere Ergebnisse erzielten sich mit
Verhaltenstherapie. Die Versuchsgläubigen, die man eine Ratte steinigen
ließ, die angeblich Gott gelästert hatte, fühlten sich sofort erquickt.
Als man weitere Patienten „blasphemische“ Ratten einfangen, verstümmeln und
erschießen, mit Weihwasser besprühen und auf Scheiterhaufen verbrennen
ließ, führte dies zu einem raschen Verschwinden der morbiden Symptome.
Offenbar fungieren Personen, die Religion kritisieren oder verspotten, als
Krankheitserreger für religiöse Gefühlsverletzung. Sobald diese Erreger
möglichst schmerzhaft, am besten mit dem Tod, bestraft werden, setzt der
Gesundungsprozess ein. Die Wissenschaftler vermuten, dass der
Sadismus-Cortex Antikörper produziert, welche die verletzten religiösen
Gefühle wieder heile machen.
## Jesus ist Comedy
Gut möglich, dass die Forschung auf dem richtigen Weg ist, denn bereits in
der Antike wurde religiöse Gefühlsverletzung durch Vernichtung des Erregers
erfolgreich geheilt. So wurde der beliebte jüdische Komiker Jesus Christus,
der mit seinen Stand-up-Programmen („Der König der Juden“, „Der Sohn
Gottes“, „Die Bergpredigt“) für verletzte heidnische Gefühle im römisc…
Imperium sorgte, aus medizinischen Gründen gekreuzigt, und kurz darauf
hatten die Behörden die Lage wieder im Griff. Noch heute dient das Kreuz
als Symbol für medizinische Berufe.
Die Krankheit ist konfessions- und länderübergreifend. Natürlich findet
sich die Mehrheit der Fälle in den großen Weltreligionen. Aber auch
Satanisten, Odinisten, Okkultisten, Anhänger des Wicca-Kults und sogar
Elvis-Presley- und Harry-Potter-Fans oder Tolkien-Leser, denen die
Vorstellung, dass Auenland nur eine Illusion ist, unvorstellbare Qualen
bereitet, sind von der Krankheit betroffen.
Die Therapie variiert je nach Götzenkult. So geht es Satanisten schlagartig
besser, wenn sie eine Kirche anzünden oder eine Jungfrau opfern dürfen.
Odinisten gesunden, wenn man ihnen erlaubt, einen Ragnarök-Leugner zu
verfemen und komplett im Moor zu versenken.
## Atheismus ist Qual
Neuerdings wurden sogar Symptome bei orthodoxen Atheisten festgestellt. Die
Betroffenen klagen über Juckreiz und andere allergische Symptome, wenn sie
in die Nähe eines Gotteshauses kommen. Ob es sich hier um religiöse
Gefühlsverletzung im klassischen Sinn handelt, wird von vielen Fachleuten
jedoch angezweifelt. Möglicherweise handelt es sich um eine (nicht ganz
unbegründete) Angstneurose.
Der Mehrheit der gesunden Gläubigen aller Konfessionen, also jener die im
Besitz eines funktionierenden Gehirns sind, erschließt sich Lage der
Kranken nicht. Während Gesunde mit Achselzucken oder schlimmstenfalls Ärger
auf mehr oder weniger gute Witze über ihr Idol reagieren, erleiden religiös
Gefühlsverletzte Schmerzen, die selbst der gewiefteste Inquisitor sich
nicht, aber auch gar nicht ausdenken könnte.
10 Jan 2015
## AUTOREN
Francis Kirps
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