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# taz.de -- Die Wahrheit: Delfine des Orients
> Um die Sympathiewerte von Flüchtlingen in der Bevölkerung zu steigern,
> werden sie nun in artgerechter Umgebung präsentiert.
Die fröhlich schnatternde Menschenmenge, die vor dem Kassenhäuschen in der
Warteschlange steht, ist bunt gemischt. Wir sehen solariengebräuntes
Landvolk in uriger Joggingtracht neben kichernden Japanern mit
Tropenhelmen. Sogar eine Busladung bärtiger Hipster aus dem fernen Berlin
hat es ins tiefste Sachsen gezogen, wo vor wenigen Wochen der erste
Prima-Park eröffnet wurde.
Sie alle zahlen bereitwillig Eintritt, um die exotischen Kreaturen zu
bestaunen, die in artgerechter Haltung darauf warten, dass ihr Asylantrag
vielleicht irgendwann bearbeitet wird.
Überall stehen Schilder: „Palästinenser-Kinder streicheln: 1 Euro“, „Ec…
Araber reiten: 3 Euro“, „Rasen betreten verboten“ und „Bitte nicht
füttern“. Lutz Fleischmann, der Initiator des Prima-Park-Projektes, begrüßt
uns mit kernigem Händedruck. Bis vor wenigen Wochen war hier noch
Post-Wiedervereinigungs-Brachland, ein ehemaliger Genossenschaftsbauernhof,
dem Verfall überlassen.
Mit Tatkraft und unternehmerischer Fantasie hat Fleischmann, ein rundlicher
Mittdreißiger mit Pferdeschwanz und Lehrerbart, daraus eine blühende
Attraktion für Jung und Alt geschaffen.
## Umfassendes Re-Branding
Mit quietschenden Gummistiefeln führt er uns herum und zeigt uns die
Anlagen: Das weitläufige Syrer-Gehege. Der Zwinger mit den drolligen
Afghanen. Die possierlichen Iraker auf ihrer Sommerweide. Klein-Albanien,
karg und steinig, durch das die ebenso stolzen wie streitlustigen
Balkan-Hominiden streifen. „Die Idee kam mir, als ich so auf Facebook
herumsurfte und bemerkte, dass Asylkritiker und Rassenskeptiker in der
Regel ein großes Herz für Tiere haben“, erklärt Fleischmann.
„Grindwal-Massaker scheinen diese Menschen tiefer zu berühren als Genozid
in Syrien, rumänische Straßenhunde mehr Empathie freizusetzen als hungernde
afrikanische Kinder. Warum brennen Flüchtlingsheime, aber niemals brennt
ein Tierheim?“ Fleischmann hält inne und wedelt mit dem Zeigefinger herum.
„Ich sag’s Ihnen: Weil Flüchtlinge ein massives Imageproblem haben. Es
fehlt ihnen an Niedlichkeit. Hier war ein umfassendes Re-Branding
vonnöten.“
Fleischmann startete eine Online-Umfrage, die seine Vermutung bestätigte:
Pudel, Pinguine, Pandas, Ponys, Erdmännchen oder Nymphensittiche erreichten
Spitzensympathiewerte zwischen 95 und 99 Prozent. Sogar der Wolf kam auf
solide 70 Prozent, während politische Flüchtlinge mit 30 Prozent ähnliche
Beliebtheit wie Kreuzottern erfuhren und Wirtschaftsflüchtlinge gar am
Tabellenende zwischen Stubenfliege und Küchenschabe herumkrebsten.
„Wenn man die besorgten Bürger also dazu brächte, Flüchtlinge wie Hunde zu
behandeln, dann wäre das ein Upgrade, das diesen Menschen das Leben sehr
erleichtern würde. Und da kam mir die Idee zum Asylantenpark. Ein prima
Konzept. Hier können Eingeborene die fremdartigen Wesen unter
Erlebnis-Zoo-Bedingungen besichtigen und ihre Scheu vor den bizarren
Geschöpfen abbauen. Mit dem Geld, das wir einnehmen, finanzieren wir
tierärztliche Versorgung und artgerechtes Futter. Gerade frische
Maniokwurzeln und saftiges Bushmeat schlagen doch arg ins Geld.“
## Kostenlose Voodoo-Workshops
„Faszination Afrika“ prangt in bunten Neonlettern über der Tür, durch die
wir einen Hangar betreten. Drinnen ist es heiß und grün wie in einem
Treibhaus. Fleischmann breitet die Arme aus: „Und hier sind unsere
N-Menschen untergebracht, die beliebteste Attraktion.“ – „N-Menschen?“ …
„Na, wegen dem verbotenen N-Wort“, sagt Fleischmann ungeduldig. – „Nazi…
„Nein, das andere. Aber alles total korrekt. Nur die Leopardenfellumhänge,
die ich für sie schneidern ließ, mussten wir wieder verschwinden lassen.
Tierschützer sind auf die Barrikaden gegangen. Jetzt sind sie ganzheitlich
vegan angezogen.“
In der Tat: Schwarzafrikaner in Baströckchen sitzen unter Palmwedeln,
schaukeln in Autoreifen, hängen an Lianen, futtern Bananen, trommeln auf
Bongos und grinsen in die Kameras der Besucher. In einer Hütte bietet ein
Dr. Samedi kostenlose Voodoo-Workshops an.
„Die Primitiven haben mehr Angst vor uns, als wir vor ihnen“, erklärt ein
bierbäuchiger Papa in FC-Bayern-Trikot seinem pummeligen Sohn. Der
schneidet eine Grimasse.
„Ist es denn nicht menschenunwürdig, diese Leute so einzusperren und
vorzuführen“, fragen wir. – „Das ist doch nur während der Öffnungszeit…
In ihrer Freizeit dürfen sie die Gehege verlassen und sich normal benehmen.
Die Privatquartiere befinden sich dort hinten in den ehemaligen
Stallungen.“ – „Stallungen?“ – „Viel geräumiger und komfortabler a…
berüchtigte Zeltcamp bei Dresden. Dort gibt’s 50 Quadratmeter für 34
Menschen, bei uns gibt’s 50 für 25, das sind satte zwei Quadratmeter pro
Stück. Und keine Seuchengefahr wie drüben, hier ist alles sauber. Fließend
Wasser, State-of-the-Art-Latrinen, täglich frische Streu.“
## Freie Kost und Logis
„Wer in diesem Land Schweine so beengt unterbringt“, halten wir dagegen,
„muss mit einer Anzeige rechnen. Die haben nämlich Anspruch auf 2,25
Quadratmeter pro Sau.“ – „Aber Flüchtlinge und Sauen gehören verschiede…
Arten an und sind auch vom Körperbau ganz anders beschaffen. Der Vergleich
hinkt also gewaltig“, klärt Parkranger Sparwasser auf, der sich uns
angeschlossen hat, nachdem er ein Rudel Ägypter zur Tränke geführt hat.
„Und überhaupt“, sagt Fleischmann: „Freie Kost und Logis, eine medizinis…
Versorgung rund um die Uhr sowie viel Freizeit zur Erholung. Wer will denn
noch mehr? Auf Campingplätzen in den touristischen Regionen Europas
verlangen Reiseveranstalter für ihre Unterkünfte im Zelt sehr viel Geld und
bieten nicht annähernd den Luxus, den der Prima-Park zu bieten hat. Zwanzig
Toiletten für 350 Gäste? Davon können die meisten Urlauber beim
Campingurlaub nur träumen.“
„Darüber hinaus“, sagt Ranger Sparwasser, „bieten wir Kurse zur Einführ…
in unsere Kultur und unsere Werte an. Viele kennen Deutschland ja nur durch
Modern Talking und Inspektor Derrick, dabei hat unsere Kultur so viel mehr
zu geben. Bei uns erhält man Schulung in Gartenzwergkunde, Musikantenstadl
und Dschungelcamp, aber auch ernste Sachen wie Dieter Nuhr.“
## Richtige Wasserratten
„Die jungen Orientalen haben vor allem Germany’s Next Top Model super
angenommen“, meint Fleischmann. „Viele von denen haben ja ein total
archaisches Frauenbild, längst nicht so fortschrittlich wie in unserer
Zivilisation.“
Wir kommen an einem großen Schwimmbecken mit Tribünen vorbei. „Perser: Die
Delfine des Orients. Tägliche Show um 16 Uhr“ steht auf einem Schild. „Das
sind total gute Schwimmer, die Iraner“, sagt Sparwasser, „richtige
Wasserratten, das hat mich total überrascht bei diesen Wüstensöhnen.“
Fleischmanns Idee macht Schule: Überall in Deutschland und der Schweiz
werden zurzeit Prima-Parks eröffnet. Luxemburg hat einen putzigen
Zigeunerzoo, Frankreich das fantastische Tunisia-Land und auch
Großbritanniens Con-Camps vermelden Besucherrekorde. „Ich wollte eben für
alle Beteiligten das Beste aus der Apartheid-Grenzpolitik der EU machen.“,
lächelt Fleischmann. „Ich bin einer von den Guten.“
29 Aug 2015
## AUTOREN
Francis Kirps
## TAGS
Asyl
Dieter Nuhr
Massentierhaltung
Saarland
Katar
Impfung
Benin
Religion
Ice Bucket Challenge
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
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