# taz.de -- Reproduzierbarkeit von Studien: Spektakuläre Ergebnisse sind gefra… | |
> Wissenschaftliche Experimente schlagen oft fehl, wenn sie von anderen | |
> Forschern wiederholt werden. Solche Resultate sollten veröffentlicht | |
> werden. | |
Bild: Nur wenn die Studien auch publiziert sind, werden sie wahrgenommen. | |
Gibt es einen Zusammenhang mit der Größe bestimmter Hirnareale und der Zahl | |
der Facebook-Freunde, die die betreffende Person hat? Eine Studie aus dem | |
Jahr 2012, die an der Universität Sussex in Großbritannien durchgeführt | |
wurde, behauptet das. Doch ein Wissenschaftlerteam um den Mathematiker | |
[1][Eric-Jan Wagenmakers von der Universität Amsterdam zweifelt dieses | |
Ergebnis jetzt an (pdf)]. Und nicht nur dieses. | |
Die Forscher haben 17 Hypothesen aus früheren Studien, die alle den | |
Zusammenhang zwischen der Gehirnstruktur und bestimmten psychischen | |
Eigenschaften untersucht haben, wiederholt. Bei keiner einzigen konnten sie | |
die früheren Ergebnisse bestätigen. | |
Wagenmakers und Kollegen sind vorsichtig in ihrer Schlussfolgerung und | |
behaupten nicht, dass die ursprünglichen Studien alle falsch sind. Doch die | |
Ergebnisse reihen sich ein in eine ganze Reihe von fehlgeschlagenen | |
Versuchen, frühere wissenschaftliche Ergebnisse zu wiederholen. | |
Die Debatte um die Reproduzierbarkeit wissenschaftlicher Ergebnisse zieht | |
sich durch die unterschiedlichsten Wissenschaftsbereiche. 2011 meldeten | |
[2][Forscher der Pharmafirma Amgen], dass sie von 53 wichtigen Studien aus | |
der Krebsforschung in internen Tests nur sechs mit demselben Ergebnis | |
wiederholen konnten. Ein ähnlicher Bericht aus dem Hause Bayer berichtete | |
davon, dass von 67 Studien nur 14 wiederholt werden konnten. | |
Das Projekt [3][PsychFileDrawer], das sich um die Wiederholung von Studien | |
aus der Psychologie bemüht, vermeldet auf seiner Webseite 38 | |
fehlgeschlagene versus 20 erfolgreiche Versuche, frühere Studienergebnisse | |
zu bestätigen. | |
In der Wissenschaft wird über eine Reproduzierbarkeitskrise gesprochen. | |
Dabei steckt die Wissenschaft in einem Dilemma: Die Wiederholung von | |
früheren Ergebnissen ist ein wichtiger Teil wissenschaftlicher Sorgfalt, um | |
festzustellen, ob die Ergebnisse überhaupt stimmen. Doch simple | |
Replikationen sind wenig prestigeträchtig und werden von wissenschaftlichen | |
Fachzeitschriften auch ungern veröffentlicht. | |
Besonders heftig wurde die Debatte zuletzt unter Psychologen geführt. Die | |
Bemühungen um mehr Replikationsstudien werden längst nicht von allen | |
begrüßt. Der [4][Harward-Professor Daniel Gilbert beklagt auf Twitter] | |
sogar, dass sich Forscher von einer Replikationspolizei verfolgt fühlen. | |
Hintergrund von Gilberts Äußerungen war eine fehlgeschlagene Wiederholung | |
einer Studie der Psychologin Simone Schnall. | |
## Moralische Verfehlungen | |
Sie hatte 2008 in einem vielzitierten Experiment berichtet, dass Studenten, | |
die sich die Hände gewaschen hatten, moralische Verfehlungen deutlich | |
milder beurteilten als die Studenten ohne frisch gewaschene Hände. Schnalls | |
Experiment wurde für eine Sonderausgabe der Fachzeitschrift Social | |
Psychology, die sich nur mit Replikationen befasste, wiederholt – und die | |
Ergebnisse unterschieden sich deutlich von Schnalls ursprünglicher Studie. | |
Schnall fühlte sich unfair behandelt und meinte, man hätte ihr die Chance | |
geben müssen, auf die fehlgeschlagene Replikation eine Erwiderung in der | |
selben Ausgabe von Social Psychology zu schreiben. | |
Die Debatte um die Reproduzierbarkeitskrise hat inzwischen die großen | |
Wissenschaftsjournale Nature und Science dazu gebracht, [5][Richtlinien für | |
die bessere Reproduzierbarkeit von Ergebnissen] zu formulieren. Eine | |
Checkliste, die gemeinsam mit dem US-amerikanischen National Institutes of | |
Health (NIH) entwickelt wurde, soll dafür sorgen, dass Studien möglichst | |
detaillierte Informationen iefern, die bei einer Wiederholung der | |
Experimente helfen. Neben Nature und Science haben sich mehr als 30 | |
Fachzeitschriften verpflichtet, dieser Checkliste zu folgen. | |
Doch viele Wissenschaftler sind der Ansicht, dass die großen | |
Fachzeitschriften selbst ein Teil des Problems sind. Sie seien in erster | |
Linie an spektakulären und neuen Resultaten interessiert und weniger an | |
wissenschaftlicher Sorgfalt. Replikationen werden in den großen | |
Fachzeitschriften fast nie veröffentlicht. Und in aller Regel | |
veröffentlichen die großen Wissenschaftsjournale nur positive Ergebnisse. | |
Genau darin liegt aber eins der großen Probleme: Der Druck auf | |
Wissenschaftler, positive Resultate zu veröffentlichen, führt zu einer | |
Verzerrung. | |
## Studien für die Schublade | |
Die Fachwelt spricht von einem „Publication Bias“. Studien, die Hypothesen | |
untersuchen und anhand der Ergebnisse verwerfen, verschwinden häufig in der | |
Schublade. Sie sind jedoch für die Suche nach korrekten Ergebnissen genauso | |
wichtig wie die positiven Resultate. Der Publication Bias gilt als | |
wichtigster Grund, weshalb so viele Replikationen fehlschlagen. | |
Ein wichtiges Mittel, um die Zuverlässigkeit wissenschaftlicher Resultate | |
zu verbessern, sehen viele in der generellen öffentlichen Registrierung von | |
Studien vor ihrer Durchführung. Die Idee dabei: Bevor irgendwelche | |
Experimente durchgeführt oder Daten gesammelt werden, wird die Methodik | |
einer Studie detailliert aufgeschrieben und in einem öffentlich einsehbaren | |
Register vorgestellt. | |
Dadurch soll erreicht werden, dass Negativresultate nicht unveröffentlicht | |
bleiben. Zudem verhindert die vorherige Erläuterung der Methodik, dass das | |
Studienergebnis später an die Resultate angepasst wird. | |
In der Medikamentenforschung sind solche Studienregister bereits weit | |
verbreitet. Doch eigentlich wären sie in allen Wissenschaften sinnvoll, | |
insbesondere überall dort, wo statistische Daten erfasst werden. | |
18 Jan 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ejwagenmakers.com/inpress/BoekelEtAlCortexinpress.pdf | |
[2] http://www.nature.com/nature/journal/v483/n7391/full/483531a.html | |
[3] http://psychfiledrawer.org/ | |
[4] http://twitter.com/dantgilbert/status/470199929626193921 | |
[5] http://www.sciencemag.org/content/346/6210/679.full | |
## AUTOREN | |
Hanno Böck | |
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