# taz.de -- Bundeswehr entschädigt Afghanen: 5.000 Dollar für ein Leben | |
> Für viele Kriegsschäden hat die Bundeswehr Entschädigung gezahlt – auch | |
> für getötete Zivilisten. Ein Schuldeingeständnis ist das jedoch nicht. | |
Bild: Ein Bundeswehrsoldat 2011 bei einem Patrouillengang durch die Ortschaft N… | |
BERLIN dpa | Die Bundeswehr hat für die von ihr in Afghanistan verursachten | |
Kriegsschäden mehr als eine Million US-Dollar gezahlt. Das geht aus einer | |
Aufstellung des Verteidigungsministeriums mit den Entschädigungssummen von | |
Beginn des Einsatzes Anfang 2002 bis August 2014 hervor, die der Deutschen | |
Presse-Agentur vorliegt. Mehr als die Hälfte des Gesamtbetrags von 1,1 | |
Millionen Dollar (aktuell 996.000 Euro) entfällt mit 601.000 Dollar (536 | |
000 Euro) auf die von der Bundeswehr im September 2009 veranlasste | |
Bombardierung zweier Tanklaster in der Unruheprovinz Kundus, bei der etwa | |
100 Menschen getötet wurden. | |
Das verheerende Bombardement von Kundus ist nun schon mehr als fünf Jahre | |
her, aber der Streit über die Entschädigung der Opfer hält immer noch an. | |
In der Nacht zum 4. September 2009 bombardierte ein amerikanischer | |
F15-Kampfjet auf deutschen Befehl zwei von den radikalislamischen Taliban | |
gekaperte Tanklaster. | |
Der Bundeswehroberst Georg Klein befürchtete, dass die Aufständischen die | |
Fahrzeuge als fahrende Bomben gegen die Truppen verwenden könnten – obwohl | |
die Laster auf einer Sandbank im Kundus-Fluss feststeckten. Etwa 100 | |
Menschen kamen ums Leben, viele von ihnen wollten einfach nur Benzin | |
abzapfen. | |
Der Bremer Anwalt Karim Popal kämpft nun schon in zweiter Instanz mit zwei | |
Musterklagen für 81 afghanische Familien, die sich von der Bundesrepublik | |
Deutschland ungerecht behandelt fühlen. Die Bundesregierung hatte an 90 | |
Opferfamilien jeweils 5000 US-Dollar (4460 Euro) gezahlt. Popal fordert | |
39.000 Euro für einen getöteten Angehörigen. „Afghanen sind nicht so | |
billig“, sagt er. Der nächste Verhandlungstermin steht am 12. März vor dem | |
Oberlandesgericht Köln an. | |
## Alles nur freiwillig | |
Die 5000 Dollar wurden als freiwillige Kompensation gezahlt, ohne damit ein | |
Schuldeingeständnis zu verbinden. Das gilt auch für die vielen weiteren | |
Fälle, in denen die Bundeswehr für von ihr verursachte Kriegsschäden | |
aufgekommen ist. Auf Anfrage des Linken-Bundestagsabgeordneten Jan van Aken | |
hat das Verteidigungsministerium jetzt die Akten nach | |
Entschädigungszahlungen in 13 Jahren Afghanistan-Einsatz durchforsten | |
lasten. | |
Im Oktober 2011 raste ein Bundeswehrfahrzeug in einen Stall. Für das | |
Gebäude und die Tiere erhielt der Besitzer 6000 Dollar. Nur wenige Tage | |
später erlegte ein abgerissenes Stromkabel ein Kamel. Die Bundeswehr zahlte | |
dem Besitzer 1000 Dollar für das Tier. | |
Für ein erschossenes Pferd gab es 2500 Dollar. Auch getötete oder verletzte | |
Hunde (50 Dollar), Schafe (200 Dollar), Esel (150 Dollar) und Ziegen (50 | |
Dollar) finden sich auf der Liste. | |
Im Oktober 2010 setzte ein Bundeswehrsoldat mit einer Signalpistole ein | |
Feld in Brand. Kostenpunkt: 14 850 Dollar – für afghanische Verhältnisse | |
ein Vermögen. Ein durch Panzer angerichteter Flurschaden kostete die | |
Bundeswehr sogar 25.200 Dollar. | |
## Die „Personenschäden“ | |
Nach der Operation „Halmasag“ (Dari für Blitz), der größten Offensive der | |
Bundeswehr gegen die radikalislamischen Taliban, zahlte die Bundeswehr im | |
Herbst 2010 78.000 Dollar für zerstörte Felder. Das ist der größte | |
Einzelposten auf der Liste. | |
Fast jeder Zweite unter den einzeln aufgelisteten Schadensfällen (85 von | |
186) geht auf Unfälle zurück, in die Fahrzeuge der Bundeswehr verwickelt | |
waren. Am heikelsten ist aber die Entschädigung für im Kampf versehentlich | |
getötete Zivilisten. Auf der Liste findet sich neun Mal der Eintrag | |
„Schussabgabe“, vier Mal war damit ein „Personenschaden“ verbunden. Die | |
Zahlungen reichen von 1500 bis 7800 Dollar. Für zerstörte Fahrzeuge wurden | |
bis zu 10.000 Dollar gezahlt. | |
Der Linken-Politiker van Aken wirft der Bundeswehr vor, „eiskalt gerechnet“ | |
zu haben. „Die Zahlen sind so nüchtern wie grausam“, sagt er. Aber wie soll | |
man denn den Wert eines Menschenlebens überhaupt beziffern? Konkrete | |
Richtlinien gibt es bei der Bundeswehr dafür nicht. Die sogenannte | |
Einsatzwehrverwaltungsstelle vor Ort prüft jeden Einzelfall und macht einen | |
Vorschlag. Die Entscheidung liegt dann beim Kommandeur. | |
Im Vergleich zu den großen Bündnispartnern in Afghanistan entschädigt die | |
Bundeswehr noch relativ großzügig. Die USA zahlen nach Recherchen der | |
US-Menschenrechtsorganisation Center for Civilians in Conflict 2000 bis | |
2500 Dollar für einen getöteten Zivilisten. | |
## 100.000 Euro wenn ein Bundeswehrsoldaten fällt | |
Das britische Verteidigungsministerium gab Medienberichten zufolge Anfang | |
Januar bekannt, dass es für 186 getötete Zivilisten in Afghanistan | |
durchschnittlich 3000 britische Pfund Entschädigung bereitgestellt hat. Das | |
sind ungefähr 4000 Euro oder 4500 Dollar. | |
Die 5000 Dollar aus Deutschland sind für afghanische Verhältnisse viel | |
Geld. Die Summe entspricht dem achtfachen jährlichen Durchschnittseinkommen | |
von 585 Dollar. Im Vergleich dazu erhalten die Angehörigen gefallener | |
Bundeswehrsoldaten mit 100.000 Euro das Dreifache von dem, was ein | |
Deutscher im Durchschnitt pro Jahr verdient. | |
Popal wird trotzdem weiter kämpfen. Er bekommt auch heute noch Post von | |
Menschen aus Afghanistan, die sich ungerecht behandelt fühlen. Dabei geht | |
es in der Regel um Militäroperationen der US-Streitkräfte. Mitte Januar | |
erhielt der Anwalt aber zum ersten Mal seit dem Bombardement von Kundus | |
eine E-Mail, in der die Bundeswehr beschuldigt wird, Zivilisten im Gefecht | |
getötet zu haben. Drei Familien beklagen darin den angeblichen Tod von | |
Angehörigen. | |
Den Wahrheitsgehalt der E-Mail zweifelt Popal selbst stark an. Den letzten | |
Satz würden aber wahrscheinlich auch seine Mandanten aus Kundus | |
unterschreiben: „Das Schlimmste ist, dass man uns nach dem Angriff | |
vergessen hat.“ | |
25 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Michael Fischer | |
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