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# taz.de -- Flüchtlingspolitik: Wenn Verwaltung ans Sparen denkt
> Das für Flüchtlinge zuständige Amt ist überfordert – auch mit der Ausga…
> von Krankenscheinen. Vereinfachungen scheut man: Angeblich sind die
> Kosten zu hoch.
Bild: Amtliches Chaos: Flüchtlinge warten oft stundenlang in Regen und Kälte …
Still und ergeben stehen die Menschen in der Kälte. Männer und Frauen,
Kinder und Babys: Hunderte Asylbewerber warten beim Landesamt für
Gesundheit und Soziales (Lageso) in der Moabiter Turmstraße. Einer von
ihnen ist Sakai Fare*: Seit zwei Wochen versucht der afghanische
Flüchtling, einen Krankenschein für seine epilepsiekranke Tochter zu
besorgen. Dreimal sei er hier gewesen, erzählt er, habe den ganzen Tag
gewartet: „Irgendwann kam jemand und sagte, wer keinen Termin hat, muss
wieder gehen.“ Heute schafft er es nach fünf Stunden Schlangestehen in den
Container. Hier heißt es weiter warten.
Dass das Lageso und der zuständige Sozialsenator Mario Czaja (CDU)
überfordert sind mit dem steigenden Zustrom von Flüchtlingen ist
offenkundig. Bei der Unterbringung hangelt man sich von einem Provisorium
zum nächsten. Und in der Zentrale in der Turmstraße müssen Asylbewerber
mitunter wochenlang auf lebenswichtige Leistungen wie Bargeld,
Krankenscheine, Kleidung warten – obwohl sie darauf einen Rechtsanspruch
haben. Zeitweise, berichten übereinstimmend der Flüchtlingsrat und die
grüne Abgeordnete Canan Bayram, bekommen Flüchtlinge beim Lageso nicht
einmal eine Notunterkunft und können auch keinen Asylantrag stellen.
In dieser Krisensituation wirft der Flüchtlingsrat eine alte Forderung in
den Ring: die Krankenversicherungskarte für alle Asylbewerber. „Das würde
die Lageso-Mitarbeiter wirksam entlasten“, erklärt Georg Classen. Die
Flüchtlinge müssten nicht mehr alle drei Monate in die Turmstraße, um einen
Krankenschein zu holen – und auch nicht mehr zum Amtsarzt, um sich
Leistungen, die nicht vom Krankenschein gedeckt sind, etwa stationäre
Behandlungen oder eine Physiotherapie, genehmigen zu lassen. In Bremen geht
das seit 2006, Hamburg folgte 2012.
Die Opposition findet das gut, die Piraten wollen bald einen Antrag dazu
ins Parlament einbringen, sagt der Abgeordnete Fabio Reinhardt. Der
Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke (SPD), sagte Anfang voriger
Woche: Angesichts von rund 15.000 Flüchtlingen, die dieses Jahr nach Berlin
kommen sollen, sei durch Chipkarten „mit erheblichen Einsparungen für die
öffentliche Hand zu rechnen“.
Sogar Sozialsenator Czaja erklärte kürzlich im Abgeordnetenhaus, Chipkarten
für Flüchtlinge seien denkbar – aber nur, wenn die bisherigen
Verwaltungskosten von 5 Prozent nicht überschritten würden. Unter dieser
Bedingung, ergänzt die Sprecherin des Lageso, sei man für eine
bundeseinheitliche Regelung offen.
Dieses Argument ist für den Flüchtlingsrat nicht überzeugend. Zwar seien
die Verwaltungskostenpauschale der AOK in Hamburg und Bremen geringfügig
höher, gibt Classen zu, „aber durch den eingesparten Personalaufwand beim
Sozialamt rechnet sich das“. In Hamburg habe man sogar das Dreifache
eingespart. Auch gebe es keinen Grund, auf eine bundeseinheitliche Regelung
zu warten: „Berlin könnte als Stadtstaat sofort das Hamburger Modell
übernehmen.“
Aber will man das überhaupt? Sakai Fare, der wegen seiner kranken Tochter
alle drei Monate zum Amt muss, glaubt: „Die haben keinen Plan. Die wollen
auch keinen, weil sie uns abschrecken wollen.“ Immerhin: Diesmal hat er
Glück. Nach sechs Stunden Warten bekommt er den Krankenschein.
*Name geändert
25 Jan 2015
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Flüchtlinge
Berlin
Unterbringung von Geflüchteten
Lageso
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Asyl
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