| # taz.de -- Asyl in der Turnhalle: Leben im Wartestand | |
| > Viele Flüchtlinge leben in der notdürftig hergerichteten Dahlemer | |
| > FU-Turnhalle. Die Zustände sind hart – und die Politik lässt die Menschen | |
| > allein. | |
| Bild: Turnhalle Dahlem: Von Provisorium zur Dauer-Notunterkunft? | |
| Gegen Mittag ziehen zwei Männer mit schwarzen Schnurrbärten ihre Schlappen | |
| aus, knien sich auf ausgebreiteten Teppichen hin und beginnen zu beten. Ein | |
| paar Meter weiter staubsaugt jemand, ein Baby schreit. Männer und Frauen | |
| sitzen oder liegen auf den dicht an dicht aufgestellten Feldbetten, lesen, | |
| reden, manche schlafen. Kleine Kinder mit großen Chips-Tüten in der Hand | |
| laufen durch die Gänge zwischen den Liegen. Die beiden Doppelschwingtüren | |
| an der Kopfseite der Turnhalle stehen nicht still, es herrscht ständiges | |
| Kommen und Gehen – obwohl die meisten Flüchtlinge gar nicht da sind, | |
| sondern beim Amt, im Sprachkurs oder sonst wo. „Du müsstest mal abends | |
| kommen, wenn alle hier sind“, sagt Ahmed, ein junger Mann aus Syrien. „Ruhe | |
| gibt es hier nicht.“ | |
| Seit dem Wochenende vor Weihnachten ist die Turnhalle der Freien | |
| Universität, die versteckt hinter einer roten Backsteinvilla in Dahlem | |
| liegt, zur Notunterkunft umfunktioniert. Die Johanniter stellten 200 | |
| Feldbetten auf – sowie Bierbänke und -tische für die drei Mahlzeiten, die | |
| die Flüchtlinge bekommen. | |
| Noch im November hatte Sozialsenator Mario Czaja (CDU) gesagt, dass es in | |
| Berlin keine Turnhallen und Zelte geben werde – andere deutsche Städte | |
| hatten angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen längst zu solchen | |
| Notbehelfen gegriffen. Mitte Dezember war dann auch Berlin so weit: In | |
| Charlottenburg wurde die erste Turnhalle requiriert, eine Woche später | |
| folgte Dahlem. Inzwischen hat das für die Unterbringung von Asylbewerbern | |
| zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) sieben Turnhallen | |
| zweckentfremdet, dazu kommen noch die beiden Traglufthallen am Poststadion. | |
| 1.080 Menschen leben nun schon in diesen Provisorien – und es werden mehr. | |
| Aber was heißt Provisorium? Auch das nächste Versprechen der Politik ist | |
| offenbar nicht einhaltbar: So hieß es zunächst, die Flüchtlinge sollten nur | |
| „kurzfristig“ in den Turnhallen wohnen müssen, für ein paar Tage. In der | |
| Dahlemer Turnhalle trifft man auf viele, die schon seit Wochen dort hausen. | |
| Ahmed etwa, der Eltern, Frau und Kind in Syrien zurückließ und sich große | |
| Sorgen um sie macht, kam direkt nach der Eröffnung am 19. Dezember nach | |
| Dahlem. Man habe ihn aus Münster, wo er seinen Asylantrag gestellt habe, | |
| nach Berlin geschickt, erzählt er. Er sei Deutschland ja dankbar, dass er | |
| aufgenommen werde, aber die Situation in der Halle sei wirklich schwierig. | |
| „Das Schlafen ist sehr ungemütlich, es wird viel geklaut, man kann seine | |
| Sachen nicht waschen.“ | |
| Was ist Menschen mitten in Berlin, mitten im deutschen Wohlstand zumutbar? | |
| Wie schlimm ist das, in Turnhallen wie der in Dahlem leben zu müssen? | |
| Für ein paar Tage, sagt Ahmed, könne man alles aushalten. Aber inzwischen | |
| habe er das Gefühl, dass man ihn hier vergessen habe: „Nichts passiert, | |
| keiner kümmert sich um uns.“ | |
| In dieser verzweifelten Lage kommen schon mal Aggressionen hoch. Die Roma – | |
| neben den Syrern die zweite große Gruppe der Flüchtlinge in Dahlem – würden | |
| von der Heimleitung bevorzugt, schimpfen Ahmed und drei weitere Syrer, die | |
| sich um den jungen Mann und die Journalistin geschart haben. Überhaupt | |
| hätten die Betreuer etwas gegen Muslime, sagen sie – als Beleg nennen sie | |
| das Essen. „Es ist nicht halal“, sagt Ahmed – nicht nach islamischen | |
| Speisevorschriften zubereitet. Man habe sich deswegen schon öfter | |
| beschwert, sagt ein anderer – und die Arbeiterwohlfahrt (Awo), die das Heim | |
| am 9. Januar von den Johannitern übernommen hat, habe zugesagt, nun gebe es | |
| Halal-Essen. Manfred Nowak, Kreisvorsitzender der Awo-Mitte, bestätigt das: | |
| „Das Essen wurde umgestellt, es ist halal.“ Das Problem bleibt: Die Männer | |
| glauben es nicht. Ihr Misstrauen gegen deutsche Behörden – wozu sie die Awo | |
| zählen – ist nach wenigen Wochen so groß, dass einer sogar sagt: „Wenn ich | |
| könnte, würde ich zurückgehen. Auch wenn Krieg ist in Syrien.“ | |
| An der hinteren Hallenwand liegen zerstreut und durcheinander Kinderbücher | |
| und Spielsachen, an einer anderen Stelle stapeln sich blaue Müllsäcke | |
| voller Kleider: Zeugnisse der großen Spendenbereitschaft der BerlinerInnen, | |
| aber auch der logistischen Schwierigkeiten der Turnhallen-Betreiber. Dass | |
| es bei der Verteilung von Spenden an die Turnhallen-Bewohner hapert, weiß | |
| Manfred Nowak. Es gebe jetzt aber täglich ab 14 Uhr für eine halbe Stunde | |
| eine Spendenausgabe, erklärt er. Aber er sieht ein, dass eine halbe Stunde | |
| wenig ist für 200 Menschen, von denen viele tagsüber beim Lageso auf einen | |
| Termin warten. „Ich habe Vertrauen zu den Beschäftigten vor Ort, dass sie | |
| das flexibel handhaben.“ | |
| Was die Situation in der Turnhalle insgesamt angeht, sagt der Awo-Mann, | |
| natürlich sei es dort „schwierig“. Die Awo habe sich auch zunächst dagegen | |
| gesträubt, eine solche Unterkunft zu übernehmen. „Das ist nicht das, was | |
| wir wollen.“ | |
| Für Georg Classen vom Flüchtlingsrat sind die Turnhallen eine | |
| Bankrotterklärung des Staates. Natürlich sei es gut, wenn etwa die | |
| Kirchengemeinde in Dahlem 500 Euro bei der Apotheke hinterlege, damit | |
| einige Flüchtlinge Medikamente bekämen. „Aber das ist eines Rechtsstaates | |
| nicht würdig“, findet er. Das Lageso erledige seine Arbeit nicht mehr. „Die | |
| Flüchtlinge bekommen nur noch die Adresse einer Turnhalle und etwas zu | |
| Essen.“ | |
| Alles weitere, was ihnen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zustehe – | |
| Bargeld, BVG-Tickets, Krankenscheine, Kleidung, Berlinpass – werde | |
| verweigert. Auch das Asylverfahren selbst werde nicht mehr eingeleitet. Die | |
| Flüchtlinge säßen stundenlang in der Asylaufnahmestelle des Lageso, um | |
| abends unverrichteter Dinge wieder in eine der Notunterkünfte | |
| zurückgeschickt zu werden. | |
| So hat es auch Ahmed erlebt. Doch er habe Glück gehabt, erzählt der Syrer. | |
| Schon nach drei Tagen anstehen ab vier Uhr morgens – sonst gibt es keine | |
| halbwegs aussichtsreiche Wartenummer – sei er drangekommen. „120 Euro hab | |
| ich bekommen.“ Das meiste davon sei inzwischen für Fahrkarten und Essen | |
| draufgegangen. Seinen nächsten Termin hat er Ende Januar. So lange heißt es | |
| warten. | |
| 21 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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