| # taz.de -- Die Wahrheit: „Wir betreten Neuland“ | |
| > Das Wahrheit-Interview: Der Ödnisforscher Professor Dr. Hans Möller über | |
| > den Islam, angebrannte Milch und die Gedichte von Günter Kunert. | |
| Bild: Der Eintönigkeitsforscher Hans Möller beim Wahrheit-Interview. | |
| taz: Herr Professor Möller, seit Beginn des Wintersemesters haben Sie an | |
| der Universität Paderborn den neugeschaffenen Lehrstuhl für Taediologie | |
| inne. | |
| Hans Möller: Ich spreche lieber von Ödnisforschung. | |
| Was verstehen Sie darunter? | |
| Meine Mitarbeiter und ich wollen herausfinden, weshalb etwas öde wirkt. Das | |
| kann ein Musikstück sein, ein Straßenzug, ein bestimmter Politiker, eine | |
| Buch, ein Film, ein Gesprächsthema oder auch eine allgemein unbeliebte | |
| Tätigkeit wie das Scheuern eines Kochtopfs, in dem Milch angebrannt ist. | |
| Von der Wissenschaft ist dieser Bereich unseres Lebens bislang völlig | |
| vernachlässigt worden. Wir betreten hier Neuland. | |
| Die Geschmäcker sind doch aber sehr verschieden. Auf der einen Seite gibt | |
| es begeisterte Modelleisenbahnbauer und eingefleischte | |
| Dschungelcamp-Kucker, während andere Menschen vor Langeweile stürben, wenn | |
| sie sich länger als eine Minute mit solchem Mumpitz befassen müssten. | |
| Selbstverständlich. Wir müssen hier differenzieren. Nicht nur individuell, | |
| sondern auch regional, konfessionell, geschlechtlich, altersmäßig und so | |
| weiter. Doch es sind auch allgemeinverbindliche Trends erkennbar, wenn man | |
| genau genug hinsieht. Nehmen wir nur mal die Krise des Verlagshauses | |
| Suhrkamp oder sämtliche zwischen 1961 und 1985 geführten Debatten über die | |
| Rentenreform: Damit ist nun wirklich kein Hund mehr hinter dem Ofen | |
| hervorzulocken. | |
| Und was soll dann bei Ihrer Forschung herauskommen? | |
| Ich bitte Sie! Wissenschaftliche Forschung ist wertneutral und | |
| ergebnisoffen. Die Zeiten, in denen nur aufregende Dinge wie das | |
| Bernsteinzimmer, der Untergang der „Titanic“ oder der Mord an John F. | |
| Kennedy im Fokus akademischer Bemühungen standen, sind seit der Verleihung | |
| des Heinrich-Heine-Preises an Günter Kunert doch wohl vorbei. | |
| Was hat denn Günter Kunert damit zu tun? | |
| Wir haben zwölftausend Studenten einen Gedichtband von Günter Kunert zu | |
| lesen gegeben und mit einem Magnetresonanztomographen ihre Hirnströme | |
| gemessen. Es hat sich herausgestellt, dass bei 92,8 Prozent der | |
| Testpersonen das Areal für die Wahrnehmung von Ödnis aktiviert worden ist. | |
| Am deutlichsten hat sich das bei der Lektüre der folgenden Gedichtzeilen | |
| gezeigt: „Wer bist ich und bin du / und wer bloß wir im Zusammenhang / der | |
| uns erschafft und erschöpft.“ | |
| Das ist ja grauenhaft. | |
| Sehen Sie? Und dennoch hat Kunert sich leidlich erfolgreich als Dichter | |
| behauptet. Auch das gehört zu meinem Aufgabengebiet – herauszufinden, wie | |
| etwas Ödes sich ausbreiten kann, obwohl es die meisten Menschen abstößt. Es | |
| muss ja beispielsweise auch einen Grund für das Wachstum der Stadt Mannheim | |
| geben. Waren Sie schon mal in Mannheim? | |
| Nur auf Durchreise. | |
| Freuen Sie sich. Aber vielleicht haben Sie irgendwann mal ein Hanuta | |
| gegessen? | |
| Ja. Das ist allerdings schon recht lange her. | |
| Welche Adjektive fallen Ihnen spontan zu diesem Geschmackserlebnis ein? | |
| Pappig, zuckrig, haselnussig … | |
| Also im weitesten Sinne öde. | |
| Irgendwie schon. Ich erinnere mich an eine aufdringliche Süße, die ich nach | |
| dem Verzehr gern wieder losgeworden wäre. | |
| So geht es vielen Menschen, die in etwas Ödes hineingetappt sind. Es liegt | |
| mir fern, ein minderwertiges Süßwarenprodukt mit dem Ersten Weltkrieg | |
| vergleichen zu wollen, aber gewisse Parallelen sind hier offensichtlich | |
| nicht von der Hand zu weisen: Man lässt sich als Konsument beziehungsweise | |
| als Soldat mehr oder weniger freiwillig auf etwas scheinbar Aufpeitschendes | |
| ein und merkt erst viel zu spät, dass es sich um eine sehr, sehr öde Sache | |
| handelt … | |
| Kehren wir in die Gegenwart zurück. Wovon geht aus Ihrer Sicht momentan die | |
| übelste Ödnis aus? | |
| Rein privat: von der Notwendigkeit, meine Tochter Emily zweimal wöchentlich | |
| zur Reinigung des Käfigs ihrer Meerschweinchen Schnips und Kuno zu | |
| ermahnen. Nach allen mir vorliegenden Messdaten verströmt jedoch zurzeit | |
| objektiv der Islam weltweit die allergrößte Ödnis. Ich bin ja von Haus aus | |
| Psychoanalytiker. Gestatten Sie mir, dass ich einen meiner geistig | |
| gesündesten Analysanden zitiere. Er sagte: „Wenn ich noch einmal irgendwo | |
| das Wort ’Islam‘ lesen muss, dann klappe ich zusammen. Ich will einfach | |
| nichts zu tun haben mit dieser Religion! Ich will den Koran nicht lesen und | |
| mich niemals mit Muslimen unterhalten! Bin ich krank?“ | |
| Was haben Sie geantwortet? | |
| Das unterliegt meiner ärztlichen Schweigepflicht. | |
| Und wie gefällt es Ihnen in Paderborn? | |
| Fragen Sie mich bitte etwas Leichteres. | |
| Herr Professor Möller, wir danken Ihnen für das öde Gespräch. | |
| 28 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Gerhard Henschel | |
| ## TAGS | |
| Islam | |
| Wissenschaft | |
| NS-Verfolgte | |
| Whistleblower | |
| Kabul | |
| Staatsakt | |
| Begegnungen | |
| Erzählungen | |
| Christopher Clark | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Nachruf auf Günter Kunert: Ein heiterer Melancholiker | |
| Er galt als Meister der kurzen Form: Günter Kunert war vor allem ein | |
| Lyriker. Mit 90 Jahren starb der Schriftsteller in seiner Wahlheimat | |
| Itzehoe. | |
| Die Wahrheit: Macht hoch die Tür! | |
| Tor auf für die nächste große Staatsaffäre: „Housedoor-Key-Leaks“. Ein | |
| Whistleblower entschlüsselt Verstecke für Haustürschlüssel in Deutschland. | |
| Die Wahrheit: Zärtliches Hindukuscheln | |
| Die Völkerverständigung bringt zwei starke Partnerstädte aus Afghanistan | |
| und Deutschland zusammen: Bargfeld und Kabul. | |
| Die Wahrheit: Weizsäcker & Winnetou | |
| Zum heutigen Staatsakt für den Ex-Bundespräsidenten: Richard von Weizsäcker | |
| als Wiedergänger des edlen Häuptlings der Apachen. | |
| Die Wahrheit: Unter Fremden | |
| Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit. Heute darf sich die | |
| Leserschaft an einem Poem über Menschen, die in einen hineinsehen, | |
| erfreuen. | |
| Die Wahrheit: Die einander erkannten | |
| Eine unbekannte Erzählung von Heinrich Böll wurde von einem | |
| Literaturarchäologen wiederentdeckt. Die Wahrheit veröffentlicht sie hier | |
| zum ersten Mal. | |
| Die Wahrheit: Der Blechmärchenonkel | |
| Mit dem australischen Historiker Christopher Clark geht das ZDF sonntags | |
| auf eine schwärmerische Deutschlandreise durch die Nationalgeschichte. |