| # taz.de -- Wachstum ohne Rücksicht: Noch längst nicht Öko-Supermacht | |
| > Das deutsch-indische Umweltforum diskutiert über Müll und nachhaltige | |
| > Städte. Das Gastland hat hochtrabende Pläne – und gigantische Probleme. | |
| Bild: Nicht immer ganz sauber: ein rituelles Bad im Ganges. | |
| DELHI taz | Wenn Barbara Hendricks am heutigen Mittwoch in Delhi ankommt, | |
| wird sie sich die Augen reiben. Seit Wochen liegt dichter Smog über Indiens | |
| Hauptstadt. Die Sicht ist so schlecht, dass bereits Hunderte Flug- und | |
| Zugverbindungen gestrichen werden mussten. | |
| Laut Weltgesundheitsorganisation WHO hat Delhi die schlimmste | |
| Luftverschmutzung weltweit. Die Straßen sind verstopft, der Stadtfluss | |
| Yamuna ist eine dunkle Giftbrühe, in den Vororten wachsen riesige | |
| Müllberge. Kurz: Delhi ist der passende Ort für das zweite Deutsch-Indische | |
| Umweltforum. | |
| Gemeinsam mit ihrem Amtskollegen Prakash Javadekar wird Hendricks zwei Tage | |
| lang über Abfallwirtschaft, Wassermanagement, Ressourceneffizienz und | |
| nachhaltige Stadtentwicklung diskutieren. Vor allem beim Ausbau der | |
| Erneuerbaren wollen die Deutschen helfen. | |
| Schon heute ist Indien nach Amerika und China der drittgrößte Produzent von | |
| Treibhausgasen. Es verfügt über die fünftgrößten Kohlevorhaben der Welt, | |
| schon jetzt werden daraus zwei Drittel der Energie gewonnen. In fünf Jahren | |
| soll sogar doppelt so viel Kohle verheizt werden. Denn Indiens Premier | |
| Narendra Modi hat vor allem ein Ziel: Entwicklung, Entwicklung, | |
| Entwicklung. | |
| Mit fortschreitender Industrialisierung steigt auch die Umweltbelastung. | |
| Nicht nur Delhi stößt an seine Grenzen. Täglich fallen Tausende Tonnen | |
| Hausmüll und giftige Industrieabfällen an, 75 Prozent des | |
| Oberflächenwassers ist verschmutzt. Immer wieder gibt es Berichte über mit | |
| Schwermetallen verseuchtes Gemüse, weil viele Bauern ihre Felder mit | |
| verunreinigtem Flusswasser bewässern. Aufgrund der Luftverschmutzung ist | |
| dieses Jahr die Weizenernte um ein Drittel geringer ausgefallen. | |
| ## Drei Möglichkeiten | |
| Die jährlichen Kosten der Umweltzerstörung beziffert die Weltbank mit rund | |
| 5,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Deshalb hat Modi Anfang Oktober die | |
| „Swachh Bharat Abhiyan“ ausgerufen, die Initiative für ein sauberes Indien. | |
| In fünf Jahren soll jeder Inder Zugang zu einer Toilette haben, Abwässer | |
| sollen aufbereitet, eine funktionierende Abfallentsorgung aufgebaut und die | |
| Flüsse gesäubert werden. Doch Umweltaktivisten sind skeptisch. „Momentan | |
| ist Swachh Bharat eine PR-Aktion für Modi, keine Umweltkampagne“, sagt Ravi | |
| Agarwal, Direktor der Umweltschutzorganisation Toxic Link in Delhi. Zu | |
| viele Details seien noch ungeklärt. | |
| Im Grunde hat Indien nach seiner Ansicht drei Möglichkeiten: Erstens muss | |
| die Energieeffizienz gesteigert werden. Zweitens muss Delhi auf | |
| umweltverträglichere Energiequellen setzen. Die Steuern auf Kohle wurden | |
| bereits verdoppelt, nun wird vor allem die Atomkraft ausgebaut. Mit | |
| Amerikas Präsident Obama einigte sich Modi diese Woche auf die Lieferung | |
| ziviler Atomtechnik. Zu den existierenden 22 Reaktoren sollen 40 neue | |
| hinzukommen. | |
| Doch auch für die Erneuerbaren gibt es große Pläne: Bei der installierten | |
| Windkraft liegt Indien weltweit bereits auf Platz fünf, jedes Jahr will man | |
| 2 Gigawatt zusätzlich gewinnen. In den nächsten fünf Jahren sollen zudem | |
| riesige Solarparks gebaut werden. „Wir werden eine erneuerbare Supermacht“, | |
| frohlockte bereits Indiens Energieminister Piyush Goyal. | |
| Sowohl bei Ökoenergie als auch bei der Steigerung der Energieeffizienz | |
| bringt die deutsche Delegation Expertise nach Delhi. Denn noch sind Indiens | |
| Pläne Zukunftsmusik. Und so wäre eine dritte Möglichkeit, sich einen | |
| Höchstwert für Emissionen aufzuerlegen – ähnlich, wie das Amerika und China | |
| getan haben. | |
| Doch das ist unwahrscheinlich, denn Indien hat seit 2008 einen nationalen | |
| Klimaplan – ohne bindende CO2-Ziele. „Bislang folgt Indien bei der | |
| Armutsbekämpfung der Schaffung von Arbeitsplätzen und bei industriellem | |
| Wachstum dem klassischen Entwicklungsmodell“, sagt Ravi Agrawal. Aber: Am | |
| Ende dürfte die Umweltzerstörung fatale Folgen für alle haben. | |
| 28 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Radunski | |
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