# taz.de -- Bangalores Seen sterben: Tote Fische und Schaumteppiche | |
> In Indien hat die Wirtschaft Vorrang vor der Umwelt. Besonders sichtbar | |
> ist dies in Bangalore. Die Seen dort schäumen und brennen. | |
Bild: Müll und Dreck landen direkt in den Ulsoorsee bei Bangalore. | |
Bangalore dpa | | Der Varthursee in Indiens Millionenstadt Bangalore ist so | |
verschmutzt, dass er immer wieder meterhohe Schaumberge produziert. Auf dem | |
Wasser des benachbarten Bellandursees entzündeten sich jüngst Öle und Fette | |
– es sah aus, als brenne der See. In dieser Woche nun kamen Tausende tote | |
Fische an die Oberfläche des Ulsoorsees inmitten der boomenden Stadt. Sie | |
bildeten einen riesigen Teppich aus Flossen und Schuppen. | |
„Das ganze Abwasser aus Bangalore landet in den Seen“, sagt [1][T. V. | |
Ramachandra], der am [2][Indischen Institut für Wissenschaften (IISC)] in | |
Bangalore zu Gewässern forscht. In einer Studie nach der nächsten stellt er | |
fest: Sowohl die meisten Fäkalien als auch hochbelastetes Wasser aus der | |
Industrie fließt in die Gewässer. | |
„Ineffiziente Behörden, achtlose Unternehmen und zahlreiche nebenstaatliche | |
Agenturen ... haben die Gartenstadt in eine unbewohnbare Stadt verwandelt“, | |
heißt es in seinem jüngsten Gutachten zum Varthursee. | |
Schuld an der Katastrophe – nicht nur in Bangalore, sondern in ganz Indien | |
– ist nach Ansicht des nicht-staatlichen [3][Zentrums für Wissenschaft und | |
Umwelt (CSE)] die ungeplante Urbanisierung. Es gebe in dem Land mit der | |
zweitgrößten Bevölkerung der Welt nicht eine zuständige zentrale Stelle, | |
vielmehr schöben unzählige Behörden die Aufgaben immer wieder hin und her. | |
In der Folge würden die Gesetze nicht eingehalten, meint Sushmita Sengupta | |
vom CSE-Wasserteam. | |
Wo etwa der Fluss Yamuna durch die Hauptstadt Neu Delhi fließt, steigen | |
Methanblasen aus der dunklen Brühe auf. Nicht einmal der heilige Ganges | |
bleibt verschont. Die indische Regierung gibt auf der Homepage der | |
„Nationalen Mission für einen sauberen Ganges“ zu, dass der Fluss in | |
manchen Abschnitten zum Baden ungeeignet ist. Dabei wollte eine Regierung | |
nach der nächsten den Ganges säubern. „2000 Crore (271 Millionen Euro) | |
wurden insgesamt schon ausgegeben und der Fluss ist noch immer dreckig“, | |
stellte der Supreme Court, das höchste Gericht des Landes, laut indischen | |
Medien jüngst fest. | |
## „Und das in einer IT-Stadt“ | |
Nirgendwo aber ist die Verschmutzung so sichtbar wie in Bangalore, der | |
Technologie-Metropole des Landes mit mehr als acht Millionen Einwohnern. | |
Wegen der hohen Einleitung an Waschmittel-Tensiden schäumen die Seen an | |
ihren Ausflüssen. In der Regenzeit so stark, dass der Schaum Straßen | |
überspült. „Ich komme jeden Tag hier vorbei und sehe, wie der giftige | |
Schaum auf den Autos und den Motorradfahrern landet“, sagt die 26-Jährige | |
Software-Spezialistin Sanchita Jha. „Und das in einer IT-Stadt! Ich schäme | |
mich dafür.“ | |
Jha startete eine [4][Online-Petition] und eine geballte Kampagne in den | |
sozialen Medien. Angesichts des öffentlichen Aufschreis versprach | |
Bangalores Infrastrukturbehörde BBMP bei mehreren Treffen im vergangenen | |
Mai, sich schnell um das Problem zu kümmern. Die sichtbarsten Maßnahmen | |
bislang: ein großer Maschendrahtzaun verhindert, dass der Schaum die Straße | |
erreicht. Und es werden Chemikalien versprüht, welche die Schaumbildung | |
reduzieren sollen. | |
Das sei natürlich nur Symptombekämpfung, meint Professor Ramachandra. Nötig | |
seien vielmehr Kläranlagen und Algen-Bassins, um das Wasser zu reinigen. | |
Doch stattdessen würden immer mehr Nährstoffe wie Stickstoffe, Phosphor und | |
Kohlenstoffe eingeleitet sowie Haushalts- und Bauabfälle in die Seen | |
geschmissen. „Ich habe keine Hoffnung mehr, dass die Behörden auf uns | |
hören. Wir können nur noch vor Gericht etwas erreichen“, sagt er. | |
## Aufklärung in der Schule | |
Außerdem setzt er auf die Aufklärung der Bevölkerung. Statt sich in sein | |
Studierzimmer an der Universität zurückzuziehen, das bis unter die fünf | |
Meter hohe Decke mit Büchern vollgestellt ist, zieht Ramachandra los. | |
Neulich betrat er die Bühne in der Aula der K.K. High School in Varthur, um | |
den Schülern das Problem zu erklären. 50.000 Liter ungeklärtes Wasser, | |
sagte er ihnen, flössen jeden Tag in ihren See. Deswegen stinke das | |
Gewässer so. | |
Einige der Schüler haben Proben aus den Trinkwasserbrunnen rund um den See | |
entnommen und sie in den Laboren des IISC getestet. Das Wasser habe bei | |
mehreren Parametern über den zulässigen Werten gelegen, erzählt die | |
Zehntklässlerin Pavana Vekatachalapathi ihren Mitschülern. Eine Befragung | |
der Ärzte in der Ortschaft habe gezeigt, dass viele Bewohner an | |
Hautkrankheiten und Margen-Darm-Problemen leiden, was unter anderem auf das | |
schlechte Wasser zurückgeführt werden könne. | |
„Schickt E-Mails an den Premierminister. Demonstriert vor dem Büro des | |
Ministerpräsidenten“, fordert Ramachandra seine jungen Zuhörer in der Aula | |
auf. Dabei sollten sie darauf achten, dass das Wasser auch wirklich | |
gereinigt und nicht einfach in den nächsten See umgeleitet werde. „Bittet | |
nicht um sauberes Wasser. Fordert es ein, denn es steht euch rechtmäßig | |
zu.“ | |
8 Mar 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.researchgate.net/profile/T_V_Ramachandra | |
[2] http://www.iisc.ernet.in/ | |
[3] http://www.cseindia.org/ | |
[4] https://www.change.org/p/chief-minister-siddaramaiah-order-immediate-clean-… | |
## AUTOREN | |
Doreen Fiedler | |
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