# taz.de -- Griechenlands Finanzminister Varoufakis: Verhandeln über 300 Milli… | |
> Er ist der zentrale Mann bei den Schuldengesprächen mit den Geberländern. | |
> Das Konzept von Finanzminster Jannis Varoufakis ist kein Geheimnis. | |
Bild: Jeroen Dijsselbloem (l.) und der griechische Finanzminister Jannis Varouf… | |
BERLIN taz | Griechenlands neuer Finanzminister neigt zu starken Worten. | |
Jannis Varoufakis nennt die bisherigen Hilfskredite für sein Land einen | |
„toxischer Fehler“. Die griechischen Schulden müssten gestrichen werden. | |
„Schluss aus.“ Eine andere Sicht lässt er gar nicht erst zu: „Wer diese | |
simple Wahrheit bestreitet, lügt entweder oder verschließt die Augen.“ Nach | |
dem Wahlsieg von Syriza begann sofort die Offensive. Am Freitag traf er | |
Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem, in den nächsten Tagen sollen | |
Begegnungen mit dem italienischen und französischen Finanzminister folgen | |
(siehe Kasten). | |
Varoufakis ist ein Kosmopolit: Er hat in England Ökonomie studiert, in | |
Australien gelehrt, ist Professor in Athen und war zuletzt Dozent an der | |
Universität in Austin, Texas. Schon 2010 hat er einen ersten Plan | |
ausgearbeitet, wie sich Griechenland entschulden ließe. Inzwischen ist er | |
bei der „Version 4.0“. Dieses Konzept ist kein Geheimnis, sondern | |
Varoufakis betreibt [1][einen Blog], den er auch als Finanzminister | |
gelegentlich weiterführen will. Dort erklärte Varoufakis seinen | |
griechischen Lesern detailliert, wie er sich eine Lösung vorstellt. | |
Sein Vorbild ist die Londoner Konferenz von 1953, als Deutschland ein | |
großer Teil seiner Kriegsschulden erlassen wurde. Aber Varoufakis ist | |
Realist genug, um zu wissen, dass sich Geschichte nicht wiederholt, und | |
erläutert seinen Bloglesern die Feinheiten der Diplomatie: „Wir müssen | |
jedoch auch die politischen Einschränkungen unserer Gesprächspartner | |
berücksichtigen, wie zum Beispiel des Herrn Schäuble“. Der deutsche | |
Finanzminister würde seinen Abgeordnenten seit fünf Jahren versprechen, | |
dass sie für Griechenland nicht mehr zahlen müssten. Der Schuldenschnitt | |
müsse daher „so verpackt sein, dass er für den Bundestag leicht verdaulich | |
ist.“ Der Trick sei, die Kredite zu streichen, ohne dass es so aussieht. | |
Ende 2013 beliefen sich die griechischen Staatsschulden auf 320 Milliarden | |
Euro. Dies entspricht etwa 175 Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch | |
unabhängige Experten sind überzeugt, dass Griechenland diese Schuldenlast | |
niemals abtragen kann. | |
## Bei den EU-Ländern liegen 190 Milliarden | |
Nur ein Bruchteil dieser Kredite sind noch im Besitz von privaten | |
Investoren wie Banken oder Hedge Fonds: nämlich etwa 65 Milliarden. | |
Varoufakis muss sich also vor allem mit den anderen EU-Staaten einigen, | |
wenn er die Schulden reduzieren will, denn öffentliche Institutionen halten | |
inzwischen 80 Prozent der griechischen Staatsanleihen. Die Europäische | |
Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) besitzen | |
zusammen 65 Milliarden, während die verbleibenden 190 Milliarden bei der EU | |
und den europäischen Rettungsschirmen liegen. | |
Der Plan von Varoufakis geht auf diese verschiedenen Institutionen einzeln | |
ein. Die IWF-Schulden will er sogar bedienen, weil er anerkennt, dass beim | |
Währungsfonds auch viele außereuropäische Länder einzahlen, die weit ärmer | |
sind als Griechenland „wie zum Beispiel Malaysia“. Diese Staaten hätten ein | |
Recht darauf, ihr Geld zurückzuerhalten. Allerdings will Varoufakis die | |
IWF-Kredite nicht sofort tilgen. Stattdesen sollen die Schulden | |
„prolongiert“ und erst später fällig werden, „damit der griechischen | |
Regierung mehr Luft zum Atmen bleibt“. | |
Griechenlands Schulden bei der EZB hingegen will Varoufakis nicht | |
begleichen: „Wir werden es einfach nicht tun.“ Allerdings kennt auch er die | |
EZB-Satzung, die es eigentlich verbietet, Staaten direkt zu finanzieren. | |
Also erklärt Varoufakis seinen griechischen Lesern: „Die EZB-Leitung könnte | |
mit einem juristischen Problem konfrontiert werden.“ | |
Der griechische Finanzminister hat aber eine Idee, wie sich der | |
Schuldenschnitt maskieren ließe: Man würde einfach die Staatsanleihen | |
austauschen, die bei der EZB liegen. Die Zentralbank würde die alten | |
Papiere an Griechenland zurückgeben – und dafür neue bekommen, die | |
unendlich laufen und nur noch einen Zinssatz von 0,1 Prozent abwerfen. | |
Faktisch wäre Griechenland seine Schulden los, aber in der Bilanz der | |
Zentralbank wären die Kredite immer noch verzeichnet. | |
Diese Idee ist nicht so abwegig, wie sie vielleicht klingen mag. Irland hat | |
diesen Trick schon angewandt. Im Frühjahr 2013 durfte es einen Teil seiner | |
Staatsschulden bei der irischen Notenbank versenken – mit Zustimmung | |
Deutschlands. Kanzlerin Merkel hatte keine Lust, kurz vor der | |
Bundestagswahl über ein weiteres Hilfspaket für Irland zu diskutieren. Also | |
wurden den Iren erlaubt, Zentralbankgeld anzapfen, was den Griechen | |
natürlich nicht entgangen ist. | |
## Kredite unter zwei Bedingungen bedienen | |
Bleibt der weitaus größte Posten: die Schulden bei den Rettungsschirmen. | |
Varoufakis hat Verständnis, dass die Parlamentarier der anderen Euroländer | |
ihren Wählern lieber nicht erklären möchten, dass man jetzt leider 190 | |
Milliarden Euro abschreiben muss. Also bietet der griechische | |
Finanzminister an, die Kredite zu bedienen – unter zwei Bedingungen: Sein | |
Land würde nur zahlen, wenn das nominale Wachstum über drei Prozent liegt. | |
Selbst in diesem günstigen Fall will Varoufakis aber nur ein Drittel der | |
Schulden abtragen. Die vollen Raten würde die Griechen nur abstottern, wenn | |
ihr nominales Wachstum über sechs Prozent liegt. | |
Auch dieser Vorschlag ist nicht abstrus, sondern ähnelt einer Idee, die das | |
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bereits durchgerechnet | |
hat: Auch dort will man die griechischen Kredite an das Wachstum koppeln. | |
In der Krise müsste das Land keine Zinsen zahlen, aber wenn es zu einem | |
Aufschwung kommt, würde ein Viertel der Mehreinnahmen an die Gläubiger | |
fließen. „Es muss sich für die Griechen lohnen, Reformen durchzuführen“, | |
erklärte DIW-Chef Marcel Fratzscher jüngst in einem taz-Interview (27. | |
Januar 2015). Oder wie es Varoufakis ausdrückt: „Die EU würde zum Teilhaber | |
an dem Wachstum unseres Landes und wäre nicht mehr der Agent der Misere.“ | |
Auf den ersten Blick mag es ärgerlich wirken, dass die anderen europäischen | |
Länder fast 190 Milliarden Euro abschreiben müssen. Doch dies sind | |
virtuelle Betrachtungen. Da Griechenland das Geld objektiv nicht | |
zurückzahlen kann, ist es längst vernichtet und steht nur noch in den | |
Büchern. Dieses Dilemma hat Varoufakis auf eine hämische Formel gebracht, | |
die er im griechischen Wahlkampf immer wieder gern in den Medien platziert | |
hat: „Deutschland wird sowieso zahlen.“ | |
30 Jan 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://yanisvaroufakis.eu | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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