# taz.de -- Die Wahrheit: Schorf und Torf | |
> In einem neuen Lokal im Trendbezirk Kreuzkölln können Berliner Gourmets | |
> die kulinarischen Abgründe der traumhaft hippen Ekelküche ausloten. | |
Bild: Von Katzen ausgekackte Kaffeebohnen sind nichts gegen die neue Ekelküche. | |
Immer neue Gastro-Trends erschüttern Deutschland – seien es die Wolfsburger | |
Knetmasseküchen, die Atombunkerköche aus Darmstadt oder die Taub- und | |
Blindversuchsrestaurants aus dem Münchner Raum – sie alle wollen den Gast | |
mit nie dagewesenen Köst- und Abscheulichkeiten ködern. In Berlin versucht | |
es nun ein Wirt sogar mit der sogenannten „Corps de Cuisine“. | |
Ein wenig merkwürdig mutet es schon an, das „Schorf und Torf“ in | |
Kreuzkölln, die neue In-Kneipe für Hipster und Intellektuelle | |
gleichermaßen. Von außen wirkt es ausgesprochen unscheinbar – eine dreckige | |
Schaufensterscheibe und darüber ein Schild, das noch an den letzten Mieter | |
aus den dreißiger Jahren des vergangene Jahrhunderts erinnert: „Kohle, | |
Briketts, Koks“ steht darauf in verwitterten Buchstaben. Innen ist es | |
dagegen eine Mischung aus Tantrahöhle und Fleischerfachgeschäft – rosa | |
Plüschsofas und weiß geflieste Wände, eine Glas-Theke mit violetter | |
Beleuchtung und an den Wänden Poster von Oasis und Peter Maffays Tabaluga. | |
Dieser wilde Stil-Mix scheint anzukommen, denn momentan zieht es den ganzen | |
hippen Underground der Hauptstadt sowie unzählige Touristen aus Japan, | |
Russland und den USA hierher. Das Trendpublikum will aber nicht nur das | |
einzigartige Flair genießen, sondern auch den geschmacklichen Horizont | |
erweitern – und das völlig unabhängig davon, ob es hinter dem Ende der | |
bekannten Geschmackswelt plötzlich in den Abgrund geht oder ob dort der | |
Aufstieg in den lukullischen Himmel wartet. | |
„Drei Monate haben wir auf einen Tisch warten müssen“, erklärt ein | |
dickbäuchiger Gast und grinst wie ein Honigkotzepferd. Und das ist bei | |
Weitem keine Metapher, denn genauso heißt eine der speziellen Kreationen | |
von Betreiber Hannes Hübschmann. Der Name ist wie bei fast allen Speisen | |
Programm. Das „Honigkotzepferd“ ist im Prinzip nichts anderes als | |
Pferdekotze. Eben die eines Gauls, der zuvor Honig – und ein bisschen Hafer | |
– gefressen hat. | |
„Das ist mit Abstand unser beliebtestes Frühstücksgericht!“, freut sich | |
Hannes Hübschmann, der ausnahmsweise aus der Küche gekommen ist, um uns | |
persönlich einen Einblick in sein Tun zu geben. „Dazu passt sehr gut Latte | |
macchiato – ebenfalls vom Pferd“, erklärt Hübschmann und lässt die Detai… | |
ungenannt. „Müssen Sie einfach probieren“, rät er stattdessen. | |
Das sind aber nicht die einzigen abgefahrenen Kreationen des gelernten | |
Industriekletterers Hübschmann. Auf seiner „Corps de cuisine“-Karte stehen | |
wahnwitzig alberne und meist ekelerregende Speise und Getränke. „Wir haben | |
alles – vom Fünf-Gänge-Menü bis hin zur Brotzeit“, erklärt er. Er führ… | |
zur Theke, wo die „Tapas“ stehen: Ohrenschmalzstulle und Popelbällchen, | |
Fingernagelsüppchen, Afterschaum, Pickel-Dip – jedes sieht leckerer aus als | |
das andere. | |
„Wollen Sie mal kosten?“, fragt Hübschmann. „Oder warten Sie! Ich habe | |
gerade frisches Fußkäsebaguette gemacht, mit ’ner Prise Knoblauch drauf.“ | |
Mehr als Kopfschütteln bringen wir nicht zustande. | |
Unfassbar, doch der Erfolg gibt ihm recht, der Laden brummt. Die Tische – | |
und andere unkonventionelle Möbelstücke sind rappelvoll. An allen Ecken und | |
Enden schlürft und schmatzt es – eine unglaubliche Geräuschkulisse | |
angesichts der Speisekarte. | |
„Scheiße, ist die geil!“, brüllt es plötzlich vom anderen Ende des Lokals | |
herüber. Wir reißen die Köpfe herum. Dort sitzt eine Runde Hipster um eine | |
auf die andere Seite gedrehte Badewanne und prostet sich mit großen Krügen | |
zu. Darin schwappt ein braunes schaumiges Gesöff herum. | |
„Das da“, setzt Hübschmann mit überschwänglichem Stolz in der Stimme an, | |
„ist unser Renner!“ Noch bevor wir fragen können, platzt es aus ihm heraus: | |
„Scheißeschorle!“ Das sei so was wie der „Katzenkaffee Kopi Luwak, „be… | |
die Viecher irgendwo in Indonesien die Bohnen fressen und wieder auskacken, | |
nur etwas bodenständiger“, betont Hübschmann. | |
Aber nicht nur bodenständig will er mit seiner Trend-Gastronomie sein, | |
sondern auch nachhaltig und fair. So kauft er bevorzugt lokal und | |
ausschließlich biologisch angebaut ein. „Nehmen wir zum Beispiel unsere | |
Sackratten, die kommen aus Britz. 100 Prozent ökologisch gezüchtet! Vom | |
gleichen Lieferanten bekommen wir auch 1-a-Asseln für unser Soufflé.“ | |
Das ist jetzt doch ein wenig zu heftig für uns. Dem Allmächtigen dafür | |
dankend, dass wir nicht gefrühstückt haben, wenden wir uns zum Gehen, doch | |
Hannes Hübschmann ruft uns hinter: „Halt, Sie können doch nicht abhauen, | |
ohne ein Dessert versucht zu haben! Hier, nehmen Sie von der Smegmacreme, | |
die ist traumhaft sanft auf der Zunge!“ Unser Mägen und unsere Gehirne | |
waren sich noch nie so einig: Nichts wie weg hier! | |
MICHAEL GÜCKEL | |
2 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Michael Gückel | |
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