# taz.de -- Justizminister über Strafvollzug: „Die Kontrolldichte wird erhö… | |
> Nach dem Hungertod eines Häftlings fordert Baden-Württembergs | |
> Justizminister Rainer Stickelberger eine „neue Aufsichtskultur“ im | |
> Strafvollzug. | |
Bild: Ein Zellentrakt in der Justizvollzugsanstalt in Bruchsal. | |
taz: Herr Stickelberger, in einer baden-württembergischen Haftanstalt ist | |
letztes Jahr ein Gefangener an Unterernährung gestorben. Hat es das je | |
schon mal gegeben? | |
Rainer Stickelberger: Nein, weder in Baden-Württemberg noch in anderen | |
Bundesländern ist ein derartiger Fall – jenseits von Hungerstreiks – | |
bekannt. Und wir müssen alles tun, dass so etwas nie wieder passiert. | |
Was kann man tun, wenn ein Häftling einfach das Anstaltsessen verweigert? | |
Da gibt es keine einfache Antwort. Zwangsernährung ist jedenfalls nicht | |
ohne weiteres möglich. Viele Ärzte lehnen sie übrigens als unethisch ab. | |
Der verstorbene Rasmane Koala hatte offensichtlich psychische Probleme. | |
Warum hat man ihn nicht behandelt? | |
Der Gefangene hat jede Hilfe abgelehnt. Und eine Zwangsbehandlung ist nur | |
möglich, wenn der Gefangene die Behandlung verweigert, weil er | |
krankheitsbedingt keinen freien Willen mehr hat. Das hat das | |
Bundesverfassungsgericht erst 2011 klargestellt. Mich wundert etwas die | |
Nonchalance, mit der hier oft nach Zwangsmaßnahmen gerufen wird. | |
Der Gestorbene wurde aber nicht einmal in ein Vollzugskrankenhaus verlegt … | |
Warum das nicht erfolgt ist, muss die Staatsanwaltschaft klären. Der | |
Anstaltsleiter ging wohl davon aus, dass der Gefangene nicht therapiebereit | |
war. | |
Er führte in einer E-Mail ans Ministerium auch noch die „üblichen Gründe“ | |
an. Was war damit gemeint? | |
Das ist noch offen. Auch hier müssen wir die weiteren Ermittlungen | |
abwarten. | |
Das klingt doch so, als ob die Beamten im Ministerium schon wussten, was | |
die „üblichen Gründe“ sind. Wussten alle Bescheid – nur der Minister ni… | |
Der Fall hat jedenfalls deutlich gemacht, dass wir eine neue | |
Aufsichtskultur brauchen. Die Kontrolldichte in Einzelhaftfällen wird nun | |
erhöht, die rechtlichen Vorschriften werden angepasst. | |
Was heißt das? | |
Wenn eine Anstalt eine Einzelhaft verhängen will … | |
Sie meinen Isolationshaft … | |
Im Gesetz steht Einzelhaft, auch wenn Isolationshaft der passendere Begriff | |
wäre. Künftig muss jedenfalls das Ministerium viel genauer über die Gründe | |
für die Einzelhaft und den Zustand des Gefangenen informiert werden – auch | |
nach Abschluss der Maßnahme. | |
Wäre denn in diesem Fall die Genehmigung der Isolationshaft verweigert | |
worden? | |
Das ist eine hypothetische Frage. Aber wenn die Anstalt detailliert über | |
den Fall berichtet hätte, hätte das Ministerium möglicherweise auch eine | |
Verlegung ins Vollzugskrankenhaus anweisen können. | |
Wie häufig ist Isolationshaft? | |
Wir haben rund 7.300 Haftplätze im geschlossenen Vollzug in | |
Baden-Württemberg. Bei einer Stichprobe im September 2014 saßen nur 31 | |
Gefangene in Einzelhaft, davon lediglich sechs Gefangene länger als drei | |
Monate. | |
Koala war bis zu seinem Tod zwei Jahre lang isoliert. Was ist derzeit die | |
am längsten dauernde Isolationshaft? | |
Es gibt einen Gefangenen, für den schon seit sechs Jahren Einzelhaft | |
angeordnet werden musste. | |
Sollte nicht eine Obergrenze festgelegt werden? | |
Wenn ein Gefangener gefährlich ist und die Einzelhaft unerlässlich | |
erscheint, dann machen zeitliche Grenzen keinen Sinn. | |
Wie viele Strafgefangene haben psychische Probleme? | |
Im Jahr 2013 saßen insgesamt rund 17.000 Menschen in | |
baden-württembergischen Vollzugsanstalten. Etwa 2.600 von ihnen galten als | |
„psychisch auffällig“, Tendenz steigend. | |
Sind die Vollzugsbeamten hierfür ausreichend ausgebildet? | |
Die Vollzugsbediensteten leisten sehr gute Arbeit, wenn es um die | |
Sicherheit geht. Auch mit aggressiven und gewaltbereiten Gefangenen kommen | |
sie zurecht. Probleme sehe ich beim Umgang mit psychisch schwierigen | |
Gefangenen. Hier müssen wir in die Fortbildung investieren. Ich denke etwa | |
an Hospitanzen in der Psychiatrie. | |
Für einige Tage? | |
Nein, es geht eher um einige Wochen pro Mitarbeiter. Allerdings fehlen die | |
Beamten dann ja in ihren Haftanstalten. Wir müssten also die | |
Beschäftigtenzahl entsprechend erhöhen. | |
Wie viele Psychiater arbeiten in den baden-württembergischen Gefängnissen? | |
Lediglich fünf, davon vier im Vollzugskrankenhaus. Das ist zu wenig. Wir | |
bräuchten wohl in jeder großen Anstalt einen psychiatrischen Facharzt. | |
Wann rechnen Sie mit Ergebnissen Ihrer Expertenkomission? | |
Der Endbericht soll im Spätsommer fertig sein. Erste Ergebnisse erwarte ich | |
aber schon in diesem Frühjahr. Dann könnten bereits im Nachtragshaushalt | |
entsprechende Gelder bereitgestellt werden. | |
Soll es trotz Schuldenbremse mehr Geld für den Strafvollzug geben? | |
Die Regierungskoalition aus Grünen und SPD hat versprochen, die | |
Empfehlungen der Kommission umzusetzen. Daher bin ich zuversichtlich, dass | |
der tragische Tod des Gefangenen wenigstens zu Verbesserungen im | |
Strafvollzug führen wird. | |
10 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Hungertod | |
Baden-Württemberg | |
Gefängnis | |
Justiz | |
Experten | |
Bundesregierung | |
Tod | |
Gefängnis | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Experten-Experte über Experten: „Spezialwissen übersetzen“ | |
In unübersichtlichen Zeiten vertrauen wir gern auf Experten. Nur: Wie wird | |
man überhaupt einer? Wir haben beim Historiker Caspar Hirschi nachgefragt. | |
Gericht über Einsätze der Bundespolizei: Ländersache? Bundessache? | |
Die Bundesregierung informiert nicht ausreichend über unterstützende | |
Einsätze der Bundespolizei. Das Bundesverfassungsgericht spricht von „einer | |
Kontrolllücke“. | |
Verhungert im Gefängnis: War es fahrlässige Tötung? | |
In Baden-Württemberg starb ein Häftling, nachdem er sich nur noch von Müsli | |
und Wasser ernährte. Er saß in ungenehmigter Isolationshaft. | |
Tod im Bruchsaler Gefängnis: Abgemagert bis auf die Knochen | |
Im August starb ein Häftling in seiner Zelle in Bruchsal. Er war | |
verhungert. Gegen den Anstaltsleiter und eine Ärztin ermittelt die | |
Staatsanwaltschaft. |