# taz.de -- Flüchtlingsprotest in Berlin: Fast niemand darf bleiben | |
> Die 576 Verfahren im Rahmen des Abkommens sind abgeschlossen: Nur drei | |
> Oranienplatz-Flüchtlinge haben eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. | |
Bild: Das Kreuzberger Flüchtlingscamp am Anfang der Proteste. | |
BERLIN taz | Von Amts wegen ist der Oranienplatz Geschichte. Alle 576 | |
Verfahren seien abgeschlossen, drei Flüchtlingen sei eine | |
Aufenthaltsgenehmigungen erteilt worden, erklärte ein Sprecher der | |
Innenverwaltung auf Anfrage der taz. „Zudem gibt es eine vorübergehende | |
Duldung aus medizinischen Gründen von rund einem Dutzend Personen.“ | |
Allerdings sind laut Rechtsanwältin Berenice Böhlo nicht einmal die drei | |
positiven Bescheide ein Ergebnis des Oranienplatz-Verfahrens: Die Menschen | |
hätten ohnehin ein Recht auf Aufenthalt gehabt. | |
Vorigen Juli hatten mit dreimonatiger Verspätung die Einzelfallprüfungen im | |
Rahmen der Vereinbarung zwischen Senat und den Besetzern des Kreuzberger | |
Platzes begonnen. Am 18. März 2014 hatten Klaus Wowereit, Innensenator | |
Frank Henkel (CDU), Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) und | |
Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) die gütliche Einigung mit | |
den Oranienplatz-Flüchtlingen verkündet. Danach würden die Flüchtlinge den | |
Platz räumen, im Gegenzug versprach die unterzeichnende Kolat für den Senat | |
„umfassende Einzelfallprüfungen“, Sprachkurse und Berufsberatungen. | |
Am 8. April räumten die Besetzer den Platz, die Menschen bekamen gegen ihre | |
Registrierung einen Platz in einer Flüchtlingsunterkunft. Andere gingen in | |
die besetzte Schule in Kreuzberg, deren Bewohner das Abkommen mit dem Senat | |
zunächst ablehnten. Im Juli wurden auch viele Flüchtlinge aus der Schule in | |
das Abkommen aufgenommen, das am Ende 576 Menschen umfasste. | |
Ebenfalls im Juli wurden die ersten Oranienplatz-Flüchtlinge zur | |
Ausländerbehörde zitiert, um einen Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung zu | |
stellen. Schnell gab es die ersten Ablehnungen und die Betroffenen wurden | |
sogleich aus der Unterkunft geworfen. So landeten seit August mehr und mehr | |
ehemalige Besetzer auf der Straße. Auch wenn sich einige von ihnen mit | |
einem Touristenvisum legal für drei Monate am Stück in Deutschland | |
aufhalten dürfen, niemand darf in Berlin legal arbeiten und dauerhaft | |
bleiben. Dennoch leben weiterhin viele Oranienplatz-Leute in der Stadt. 85 | |
Männer werden von der Evangelischen Kirche durch den Winter gebracht. Auch | |
viele Unterstützer des Oranienplatzes beherbergen ehemalige Besetzer. | |
Für den Senat bilanziert die Integrationsbeauftragte Monika Lüke das | |
Oranienplatz-Verfahren „mit gemischten Gefühlen“: Positiv sei, dass der | |
Platz geräumt sei, die Zustände dort seien unhaltbar und nicht | |
menschenwürdig gewesen. Und auch wenn fast niemand ein Bleiberecht für | |
Berlin bekommen habe, seien die Menschen ja nicht ohne Schutz, sie bekämen | |
ein rechtsstaatliches Verfahren in anderen Bundesländern oder EU-Staaten. | |
Negativ sei jedoch, dass die Ausländerbehörde „offensichtlich nicht die | |
Potenziale vieler Menschen gesehen hat“, bei einigen Flüchtlingen habe es | |
durchaus die Möglichkeit gegeben, sie in Arbeit zu bringen. „Solche | |
Menschen brauchen wir.“ | |
## Des Problems entledigt | |
Der Berliner Flüchtlingsrat zieht dagegen eine „bittere“ Bilanz: „Ganz | |
offensichtlich ging es dem Senat allein darum, die Menschen vom | |
Oranienplatz wegzubekommen und sich des ’Problems‘ gesichtswahrend zu | |
entledigen“, sagt Martina Mauer. Dennoch sei der Protest auf dem Platz | |
„einzigartig“ gewesen und „in der Gesamtschau ein großer Erfolg“. Viele | |
Flüchtlinge stünden nun jedoch schlechter da als zuvor, „sie sind obdachlos | |
und ihre Hoffnung auf eine Zukunftsperspektive herbe enttäuscht“. | |
Für die Flüchtlinge selbst ist klar, dass der Oranienplatz trotz alldem | |
noch nicht Geschichte ist. Der Pavillon mit den 28 Türen, der seit vorigem | |
Sommer am Ort des Protestcamps steht, werde in Schuss gehalten und solle im | |
Frühjahr wieder Zentrum von Aktivitäten werden, sagt Kokou Theophile, der | |
seit zwölf Jahren in Deutschland lebt und Mitorganisator des Protestcamps | |
war. | |
Und Mohamed Ali, der zurzeit von der Kirche versorgt wird, erklärt: „Die | |
Regierung [der Senat – Anm. d. Red.] wollte unsere Bewegung zerstören, aber | |
das ist ihnen nicht gelungen. Wir sind noch da!“ | |
10 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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