# taz.de -- Oranienplatz-Verfahren abgeschlossen: "Entscheidend ist der politis… | |
> Rechtsanwältin Berenice Böhlo kritisiert, die Berliner Ausländerbehörde | |
> habe bei den Oranienplatz-Verfahren ihre juristischen Spielräume nicht | |
> genutzt. | |
Bild: Eineinhalb Jahre gab es das Protest-Camp von Flüchtlingen am Oranienplat… | |
taz: Frau Böhlo, Sie haben als Anwältin einige der 576 Flüchtlinge | |
vertreten, die am Oranienplatz-Verfahren teilgenommen haben. Konnten Sie | |
einem Ihrer Mandanten dadurch zu einem Aufenthalt verhelfen? | |
Berenice Böhlo: Nein. Es gibt überhaupt keinen einzigen Flüchtling, der | |
über dieses Verfahren einen Aufenthalt bekommen hat. Die drei Fälle, von | |
denen die Innenverwaltung sagt, sie hätten dadurch Papiere bekommen, sind | |
Leute, die geheiratet haben, ein Abschiebeverbot bekommen haben oder | |
ähnliches. Das hat mit diesem Verfahren nichts zu tun - das hat die | |
Verwaltung bewusst falsch dargestellt. | |
Hätten Sie das am Anfang, als Senat und Flüchtlinge das Abkommen | |
unterschrieben haben, gedacht - dass es quasi unmöglich sein würde, mit | |
diesem Papier etwas zu erreichen? | |
Ich war skeptisch, ob es aufgrund dieser Vereinbarung, | |
Aufenthaltserlaubnisse geben wird. Aber ich habe es nicht so eingeschätzt, | |
dass die Innenverwaltung in keinem Fall auch nur ansatzweise prüft. Ich | |
hätte mir nicht vorstellen können, dass das Abkommen für die Verwaltung | |
rein gar nichts zählt. | |
Wie können Sie sicher sein, dass die Ausländerbehörde gar nichts geprüft | |
hat? | |
Weil die Bescheide zwar teilweise mehrere Seiten umfassen, aber in keinem | |
einzigen Fall von den Möglichkeiten Gebrauch gemacht wurde, die das | |
Aufenthaltsgesetz zugunsten von Antragstellern bietet - etwa die Tatsache, | |
dass jemand hier in Berlin eine Therapie macht, dass er eine starke soziale | |
Vernetzung hier hat, eine Beziehung, Deutschkurs, Arbeitsangebot, | |
Praktikum. All dies wurde in keinem Fall berücksichtigt. Die | |
Ausländerbehörde hat stattdessen einfach pauschal gesagt, wir sind nicht | |
zuständig - oder dass Anträge auf Autenthaltserlaubnis vom Ausland aus | |
gestellt werden sollen. | |
Innensenator Frank Henkel hat immer gesagt, man halte sich strikt an Recht | |
und Gesetz. Aus seiner Sicht sind seiner Behörde quasi die Hände gebunden. | |
Wie kann es sein, dass ein Gesetz so unteschiedlich ausgelegt werden kann? | |
Es gibt zum Beispiel im Aufenthaltsgesetz zum Beispiel die Bestimmung: Von | |
der Einhaltung des Visa-Verfahrens kann abgesehen werden. Wir | |
argumentieren: Wenn jemand Teil der Oranienplatz-Vereinbarung ist und im | |
öffentlichen Raum politisch wichtige Fragen artikuliert hat und wenn dieser | |
jemand hier noch dazu sozial vernetzt ist, sollte von diesem | |
Ermessensspielraum Gebrauch gemacht werden. Zumal sich die Innenverwaltung | |
mit der Vereinbarung zu einer wohlwollenden Prüfung verpflichtet hat. Die | |
Ausländerbehörde und Henkel aber sagen: Wir legen dieses Kann strikt aus. | |
Beides ist möglich, weder unsere Argumentation ist in sich falsch, noch die | |
von Henkel. Nur: Was sollte dann die Vereinbarung mit den Flüchtlingen? In | |
der ging es doch darum, gegenseitige Rechte und Pflichten anzuerkennen. | |
Dieses Papier hatte ja eine Bedeutung - sonst hätte man es gar nicht | |
unterschreiben müssen. Im übrigen hat die Innenverwaltung auch von ihrem | |
Ermessen Gebrauch gemacht und nunmehr für einen ganz kleinen Personenkreis | |
der Oranienplatzflüchtlinge doch Duldungen ausgestellt. Dabei handelt es | |
sich um die, die eine Traumatherapie bei Xenion machen. Im Rahmen des | |
Oranienplatzverfahrens war das zuvor ignoriert worden. Das zeigt doch, | |
entscheidend ist nicht allein das Recht, sondern der politische Wille, wie | |
dieses anzuwenden ist. | |
Sie legen damit ja die Tatsache, dass jemand demonstriert und politische | |
Forderungen stellt, als positiv für die Ermessensentscheidung aus. Aber für | |
Henkel war der Protest nicht positiv, er ist ja geradezu gegen das | |
politische Anliegen der Flüchtlinge. | |
Hier war der Senat offensichtlich gespalten. Der damals Regierende | |
Bürgermeister Wowereit hat, genau wie Integrationssenatorin Dilek Kolat, | |
selber gesagt, dass es ein Problem gibt mit dem deutschen und europäischen | |
Asylrecht wegen Residenzpflicht, Arbeitsverbot etc. Und dass es für den | |
Oranienplatz, der dies anprangert, eine humanitäre Lösung geben muss. Das | |
heißt aus meiner Sacht, dass politisch Verantwortliche diesen Protest | |
anerkannt haben. Und zu Recht: Die gesamte Gruppe hat ein Anliegen | |
formuliert, dass uns betrifft. Die haben nicht egoistisch gesagt, ich | |
möchte dies und jenes haben, sondern sie haben mit ihrem Protest auf ein | |
ganz brennendes Problem aufmerksam gemacht. | |
Das verwischte sich ein bisschen: der persönliche Wunsch nach einem | |
Bleiberecht und das politische Anliegen. Das machte es für die | |
Öffentlichkeit vielleicht schwer zu verstehen? | |
Ja, die Anliegen sind natürlich vielfältig, wenn sich Leute zusammen | |
schließen mit einem derart heterogenen Hintergrund. Es gab ja viele | |
unterschiedliche Gruppen: Menschen mit politischer Erfahrung, andere, die | |
erst hier aktiv wurden; gut Ausgebildetete und einfache Menschen, die nur | |
ihren afrikanischen Dialekt sprechen; Leute mit italienischen | |
Aufenthaltspapieren und Asylbewerber in Deutschland. Entsprechend | |
unterschiedliche waren auch die Forderungen, wobei sich alle zur Begründung | |
auf die Menschenrechte berufen. . | |
Was wissen Sie darüber, was aus den Leuten geworden ist? | |
Nach wie vor leben viele in der Stadt, hier und dort, teilweise werden sie | |
von der Kirche untergebracht. | |
Was passiert, wenn die Polizei sie aufgreift? | |
Nach meiner Kenntnis lässt die Berliner Polizei sie in Ruhe. Bislang werden | |
alle nach einer Identitätsfeststellung wieder frei gelassen. | |
Ist das eine Sonderbehandlung für Oranienplatz-Leute? | |
Ja. Ich stelle das einfach nur fest. Viele haben sicher einen Status, wo | |
man eigentlich abschieben müsste - aber es geschieht nicht. Wenn doch mal | |
jemand abgeschoben wird, sind das Fälle, in denen die Bundespolizei oder | |
ein anderes Bundesland aktiv geworden ist. | |
Die Residenzpflicht wurde ja auf Bundesebene im November quasi abgeschafft | |
- eine wichtige Forderung der Oranienplatz-Leute. Können viele von ihnen | |
damit jetzt nicht ohnehin legal in Berlin bleiben? | |
Zunächst: Die neue Regelung bedeutet nicht, dass ein Asylbewerber | |
eigenverantwortlich entscheiden kann, wo er leben möchte - oder auch nur, | |
dass er zwei Wochen jemanden in Berlin besuchen geht. | |
Nein? | |
Nein. Zwar kann man Besuche machen, aber offiziell bleibt man in seinem | |
Heim gemeldet und hat dort zu wohnen. Den Oranienplatz-Leuten hilft das | |
also nicht. Hinzu kommt, dass auch nach dem neuen Gesetz in vielen Fällen | |
die Residenzpflicht wieder verhängt werden kann. | |
Viele Oranienplatz-Leute sind oder waren auch gar keine Asylbewerber, | |
sondern haben Aufenthaltspapiere für Italien. Welche juristishcen | |
Möglichkeiten haben Sie jetzt noch? | |
Schwieriges Thema, denn hier zeigt sich, dass es nicht wirklich ein | |
europäisches Asylsystem gibt. Im Moment haben wir auf europäischer Ebene | |
eine Anerkennung von negativen Entscheidungen - also, wenn Italien einen | |
Asylantrag ablehnt, kann man in Deutschland keinen mehr stellen. Wenn aber | |
Italien eine positive Entscheidung fällt, also jemandem Asyl gibt, kann | |
derjenige trotzdem nicht die europäische Freizügigkeit genießen. Er kann | |
nur in Italien leben und arbeiten. Wir sagen daher, es muss auch für diese | |
Fälle eine Möglichkeit geben, ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu | |
bekommen. | |
Müsste es für Italien eine Regelung geben wir für Griechenland, wohin ja | |
EU-weit nicht mehr abgeschoben wird, weil die Zustände dort für Flüchtlinge | |
so katastrophal sind? | |
Ja. Die Berichte verschiedener Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl über | |
die italienitschen Verhältnisse gehen in diese Richtung. Der Europäische | |
Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht hängen ja | |
deswegen auch die Hürden für eine Abschiebung nach Italien sehr hoch. Die | |
Leute sitzen dort auf der Straße, haben nichts, sie müssen zu Suppenküchen | |
gehen. | |
10 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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