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# taz.de -- Marie Meimberg über 10 Jahre YouTube: „Die Nähe nicht ausnutzen…
> Zehn Jahre YouTube: Marie Meimberg ist von Anfang an dabei. Ein Gespräch
> über aufdringliche Fans, Werbung und Liebe für alle.
Bild: Nähe zu Katzen ist okay: YouTuberin, Symbolbild.
taz: Frau Meimberg, was sind für Sie Freunde?
Marie Meimberg: Freunde sind für mich Menschen, bei denen ich sein kann,
wie ich bin, und mich auch nicht erklären muss. Es sind Menschen, die mich
so gut kennen, dass es manchmal schon unangenehm ist, weil man etwas von
sich preisgibt, das man vielleicht gar nicht so gerne preisgeben würde.
Wie bezeichnen Sie die Menschen, die Ihre Videos ansehen?
Im Moment fühle ich mich am wohlsten mit dem Wort Community. Denn es ist ja
eine spezielle Beziehung – ganz anders zum Beispiel als die Beziehung, die
ich als Musikerin auf der Bühne zu meinem Live-Publikum habe. In der
Community kenne ich manche mit Namen, habe sie getroffen oder weiß, dass
jemand Probleme in Mathe hat.
Sie haben in einem Video den Nutzern gesagt „Ich bin nicht eure Freundin“.
Woran merken Sie, dass es Zuschauern manchmal schwerfällt, diese Grenze zu
erkennen?
Ich habe bei großen YouTubern beobachtet, dass da häufig die Distanz fehlt.
Bei den Jungs von der Longboardtour etwa, deren Fans vor den Hotels gecampt
haben. Die wurden regelrecht belagert. Da dachte ich: Wo führt das hin?
Müssen die irgendwann die Polizei rufen, weil sie von ihrer Community so
bedrängt werden? Es ist eine ähnliche Situation wie mit einem sehr guten
Freund, bei dem man auf einmal merkt: Der ist in mich verliebt. Da sollte
man klare Verhältnisse schaffen.
Und das wollten Sie erledigen, bevor jemand vor Ihrem Hotelzimmer steht?
Genau.
Aber eine Nähe schaffen Sie doch bewusst. In Ihren Videos geht es – genau
wie bei vielen anderen YouTubern – um sehr persönliche Themen. Liebe, Tod.
Sie filmen in Ihrer Wohnung, das ist schon etwas anderes als das
Tagesschau-Studio-Ambiente.
Umso wichtiger ist es, Regeln zu verhandeln. Gerade weil man sich so gut
kennt. Und gerade weil die Kombination aus Nähe und gleichzeitig Tausenden
von Abonnenten eine sehr spezielle Beziehung schafft, wie es sie eben
früher nicht gab.
Sie sind schon fast so lange auf YouTube aktiv, wie es die Seite gibt. Was
war damals anders?
YouTube war für mich damals einfach nur ein Ort von vielen, auf dem ich
kreative Dinge, eben Videos, platzieren konnte. Ohne die heutige
Kanalstruktur. Ein bewusstes Arbeiten mit der Plattform, so wie heute, war
das bei mir nicht, mehr ein Entdecken. Mal schauen, was so geht.
Geht die Entwicklung seitdem in eine gute oder eine schlechte Richtung?
Beides. YouTube muss gerade aufpassen, dass auch noch vielseitige spannende
Inhalte stattfinden. Einige wirklich tolle Inhalte auf der Plattform
funktionieren, weil sie in ihrer Beschaffenheit mit dem Algorithmus
verzahnt sind. Für andere tolle Dinge ist genau dieser Algorithmus
schwierig.
Zum Beispiel?
Der Algorithmus bewertet es positiv, wenn regelmäßig Videos hochgeladen
werden. Ein Künstler, der sich also Zeit lässt, nachdenkt, viel Aufwand in
die Produktion steckt und nur selten ein Video postet, landet in den
Trefferlisten auf der Plattform immer weiter unten. Aber man möchte
natürlich wahrgenommen werden. Und das führt dazu, dass Leute, die
entsprechende Inhalte machen, sich langsam nach anderen Orten umsehen.
Welchen?
Facebook oder Twitter. Ich habe das Glück, dass ich mit YouTube nicht
meinen Kühlschrank füllen muss, daher kann ich mir auch Zeit lassen mit dem
nächsten Video. Aber für andere baut so ein Algorithmus Druck auf.
Geld ist gerade ein großes Thema: wer wie viel verdient, ob Netzwerke –
eine Art Agenturen hinter vielen großen YouTubern – gut oder böse sind.
Hört bei Geld denn dann die Freundschaft auf?
Das nicht. Aber in Frankreich gibt es ein Sprichwort: Geklärte Konten
machen eine gute Freundschaft. Und genauso ist es hier: Früher hat man mit
anderen YouTubern einfach mal Sachen miteinander gemacht. Und jetzt sind da
auf einmal Geld und Verträge. Dann muss man bei einer Zusammenarbeit vorab
klare Verhältnisse schaffen. Aber es gibt noch viel mehr Themen als das
Geld, zum Beispiel die Frage: Wann mache ich Feierabend? Wie passe ich auf
mich auf? Es ist auch nicht gut, wenn permanent die Kamera läuft.
Seinen Werbeumsatz soll YouTube im vergangenen Jahr um 60 Prozent auf 3
Milliarden US-Dollar gesteigert haben.
Genau. Und mit dem Geld wird das Medium auf einmal ernst genommen. Zum
Beispiel als Flo, also Florian Mundt, vor ein paar Monaten bekannt machte,
dass er bei Mediakraft …
… einem der Netzwerke, die hinter der Vermarktung einiger YouTuber stehen
und an Werbeeinnahmen beteiligt werden …
… gekündigt hat. Das hätte vor zwei Jahren nicht annähernd so eine große
Aufmerksamkeit bekommen wie jetzt. Es stimmt schon, im Vergleich mit
anderen Berufsgruppen geht es uns gut. Im Fokus stehen zwar die Menschen
vor der Kamera, aber um sie herum entsteht eine komplette Branche mit
Menschen, die daran verdienen, Videos schneiden, managen, Events
organisieren.
Und Sie waren Teil dieser neuen Branche, als Sie bei Mediakraft gearbeitet
haben.
Genau. Als eine Art Mädchen für alles. Eine Mischung als Autor, Manager,
Künstlerbetreuer, Büroleitung und noch viel mehr.
Trotzdem haben Sie einen Verein mitgegründet und sind jetzt Vorsitzende,
der die „guten alten Dinge“ bei YouTube bewahren will.
Ich finde, das muss kein Widerspruch sein. Als YouTube entstand, gab es
noch gar keine Möglichkeit, damit Geld zu verdienen. Seitdem haben sich
Dinge verändert. Einige so, dass der Kühlschrank nun voll ist. Das ist
toll. Andere jedoch auch. Und manches könnte man wiederherstellen – und der
Kühlschrank bliebe trotzdem voll.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel die Kommunikation unter den YouTubern. Früher hat man sich
einfach mal untereinander angeschrieben. Heute erwarten viele, dass
Kommunikation über das Netzwerk läuft. Das klingt banal, aber so geht
einfach ein Stück Gemeinschaft verloren. Die findet sich aber derzeit
wieder. Gerade durch Veranstaltungen, auf denen man sich persönlich trifft.
Es war also eine Hierarchie entstanden?
Nicht unbedingt. Dazu ist das alles zu heterogen. Es gibt ja nicht das
Netzwerk, oder den YouTuber, das sind ja Kreative und Künstler, ganz
unterschiedliche Menschen.
Alles nur Künstler? Nicht auch knallharte Geschäftsmenschen?
Ja, da sind auch Leute, die sind sich selbst wichtiger als der Inhalt, den
sie erschaffen. Es ist ein bisschen wie bei Musikern: Es gibt gecastete
Retortenbands, da geht es um Geld. Und es gibt den Garagenmusiker, der
macht es fürs Herz und vielleicht wird er mal berühmt. Und da sind wir
wieder bei Nähe: Genauso wie Fans haben auch YouTuber eine Verantwortung,
diese Nähe nicht auszunutzen. Wenn beispielsweise ein Tweet „Ich liebe euch
alle“ gefolgt wird von einer Aufforderung, ein Produkt zu kaufen, ist das
für mich problematisch.
Product-Placement, Kooperationen, Werbung, Gewinnspiele – es gibt viele
Interessen, die Unternehmen auf der Plattform verfolgen.
Ja, und da gibt es einiges an Regelungsbedarf. Es ist zum Beispiel ein
Unterschied, ob jemand eine elektrische Zahnbürste bekommt und die dann in
die Kamera hält oder dafür bezahlt wird, ein Video über diese Zahnbürste zu
machen. Da brauchen wir klare Kennzeichnungsvorschriften, damit es für die
Nutzer transparent ist.
Was würde sich für Sie ändern, wenn Sie von YouTube-Einnahmen leben
müssten?
Ich würde es nicht machen. Ich würde eher kellnern gehen.
Warum?
Weil meine Art, kreativen Inhalt zu machen, sich auf YouTube nicht in Geld
auszahlt. Meine Garagenmusik funktioniert da schlichtweg nicht. Daher
verdiene ich mein Geld lieber anders, als mich zu verbiegen.
13 Feb 2015
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Youtube
Schwerpunkt Rassismus
Jugendschutz
taz-Tipps
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Islamismus
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