# taz.de -- Online-Portal YouNow: Fame in einer Minute | |
> Auf dem Portal präsentieren sich Jugendliche in Livevideos – und ernten | |
> fragwürdige Kommentare. Die Folgen ihrer Selbstdarstellung unterschätzen | |
> sie. | |
Bild: Surfen, teilen, posten: Doch wo ist die Grenze? | |
Drei Mädchen sitzen vor der Kamera, vierzehn und fünfzehn Jahre alt. Sie | |
werden live auf [1][YouNow.de] übertragen, Hunderte Menschen sehen ihnen | |
zu. Im Chat beginnt eine Diskussion, welche die Hübscheste ist. Sie werden | |
mehrfach aufgefordert sich zu küssen. „Wer von euch ist die beste im Bett? | |
Die in der Mitte sieht so aus, als würde sie voll gut blowen!“ Die Mädels | |
gehen kaum darauf ein. In Sekundenschnelle werden sie für ihre Zuschauer zu | |
Objekten, doch scheinen sie die Tragweite dessen nicht zu verstehen. | |
Auf YouNow laufen Livevideos, die jeder überall aufnehmen kann. In der | |
Schule, auf der Straße, in einer Kneipe, im Schwimmbad. Die meisten Streams | |
kommen von Jugendlichen aus ihren Kinderzimmern. Jeder kann zusehen – und | |
in einem Livechat kommentieren. Fragen nach Alter oder Beziehungsstatus | |
kommen oft fünfmal in einer Minute. Ansonsten geht es um Musik, Filme, | |
ihren Wohnort. Sogar ihren Klarnamen nennen einige. Viele erzählen von | |
ihren Lieblings-YouTubern. Wahrscheinlich wollen auch sie ein bisschen | |
berühmt sein. | |
Einige YouNower haben zwischen 4.000 und 9.000 Fans, mit denen sie ständig | |
in Kontakt stehen – oft über WhatsApp, dafür geben sie ihre Handynummern | |
raus. Mit den Komplimenten können die meisten nicht umgehen. Und sie wissen | |
nie, ob sich ein Vierzigjähriger oder ein gleichaltriger Junge meldet. Zu | |
viele Nutzernamen deuten auf ersteres hin – Manfred, Wolfgang oder Bernd | |
klingen nicht nach Vierzehnjährigen. | |
Auf Nachfrage im Chat geben viele zu, ihre Eltern wüssten nicht von ihrem | |
Hobby oder verstünden es sowieso nicht. Das ist kein neues Problem. Schon | |
mit Snapchat oder Instagram können viele aus der Elterngeneration wenig | |
anfangen, es mangelt an Medienkompetenz. | |
Beate Walter-Rosenheimer, jugendpolitische Sprecherin der Grünen im | |
Bundestag, sieht das Versäumnis auch in der Politik. „Es gibt schon so | |
viele tolle Projekte im Bereich Medienpädagogik und Informatik, die sich | |
praktisch und erfolgreich mit Medienkompetenz befassen. Da müssen wir gar | |
nicht so viel neu erfinden, sondern die vorhandenen Ideen und Akteure | |
stärker fördern.“ Dann könnte auch verhindert werden, dass viele so frei | |
mit persönlichen Daten wie Adresse oder Handynummer umgehen. Ein Verbot | |
hält die Bundestagsabgeordnete aber nicht für sinnvoll: „Wer ernsthaft | |
denkt, Netzsperren wären die Lösung für die Risiken der Livestream-Kultur, | |
hat falsch gewickelt. Es geht ja nicht nur um YouNow, sondern generell um | |
den Umgang mit neuen Angeboten im Netz. Den muss man lernen.“ | |
## Nur wenig Moderation | |
YouNow gibt in seinen Nutzungsbedingungen an, man dürfe sich erst ab 13 | |
Jahren anmelden. Aber keiner überprüft das. Bereits bei einer Stichprobe | |
findet man viele, die zugeben, dass sie jünger sind. Das ist nur ein | |
Symptom für ein weiterreichendes Problem. Die Webseite des US-Unternehmens | |
YouNow Inc. gibt es bereits seit 2011. In Deutschland ist sie aber erst | |
seit Ende 2014 erfolgreich. Laut Stern kamen allein im Januar 16 Millionen | |
Livevideos aus Deutschland, das sind 16 Prozent aller gesendeten Videos. | |
Das Unternehmen gibt auf seinem Blog zu, dass es in den USA zwar inzwischen | |
ein erfolgreiches Moderationsteam hätte – 24 Stunden am Tag, sieben Tage | |
die Woche –, das deutsche Team werde jedoch noch vergrößert. Außerdem | |
werden Nutzer bisher nur dann gesperrt, wenn sie wegen konkreten Ausfällen | |
gemeldet werden. | |
Aber viele sexistische und pädophil anmutende Sprüche werden eben nicht von | |
den Teenagern gemeldet. Sie können oft nicht zwischen Kompliment und | |
unangebrachten Aussagen differenzieren. Halina Wawzyniak, Netzpolitikern | |
der Linken, weist darauf hin, dass gut besetzte Beschwerdestellen fehlen, | |
deren Mitarbeiter auch sozialpsychologische Hilfe leisten können. Doch ist | |
der Livestreaming-Dienst wirklich gefährlicher als andere soziale | |
Netzwerke? | |
## Kein Zurück | |
Karin Wunder, Projektleiterin der Selbstschutzplattform [2][Juuuport.de], | |
räumt ein, dass damit umgegangen werden muss. Das Problem der | |
Liveübertragung sei, dass nichts rückgängig gemacht werden könne. Außerdem | |
könnten die möglichen Nachwirkungen ihrer Selbstdarstellung von vielen | |
Jugendlichen nicht eingeschätzt werden. Und doch fügt sie hinzu: „Ganz | |
ehrlich: Das ist die erste Plattform, bei der ich wünschte, es gäbe sie | |
nicht.“ | |
„Alter wie billig du bist“, „Voll eklige Pickel“ – solche Kommentare … | |
Jana*, 14 Jahre alt. Einmal hat sie ohne T-Shirt gestreamt, erzählt sie – | |
und ärgert sich darüber, dass sie aufgefordert wurde, es wieder anzuziehen. | |
Ein Frank* spekuliert über ihre BH-Größe, andere fragen nach ihren | |
Lieblingsslips. Dann wird sie von einem Bernd* aufgefordert sich ganz vor | |
der Kamera zu zeigen, statt nur das Gesicht. Er sagt immer wieder, wie | |
hübsch sie sei. Sie bedankt sich. | |
* Namen geändert | |
3 Mar 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://YouNow.de | |
[2] http://Juuuport.de | |
## AUTOREN | |
Sarah Emminghaus | |
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