| # taz.de -- Flüchtlingsunterkunft in Augsburg: Ein Grandhotel für Ankommende | |
| > Ein Altersheim war es, dann stand es leer – heute ist es ein Ort, der | |
| > Flüchtlingen Heimat gibt. Zu Besuch im Grandhotel Cosmopolis in Augsburg. | |
| Bild: Leo Breitmeier, erster Azubi des Grandhotels Cosmopolis in der Lobby | |
| Draußen: Das Augsburger Domviertel mit alten Gassen, die Obstmarkt, | |
| Schmiedberg oder Hinter der Metzg heißen. Auch Pfaffen- und | |
| Springergässchen. Da soll man, sagt eine Frau, die am gemeinsamen | |
| Mittagstisch im Keller des Grandhotels sitzt, früher mit der Kanne Milch | |
| geholt haben. Manchmal auch Bier. | |
| Das Haus im Springergässchen 5, einem 60er-Jahre-Bau, sechs Stockwerke, die | |
| kerzengerade in der verwinkelten Altstadt stehen, war ein Altenpflegeheim, | |
| dann stand es leer. Jetzt ist es eine soziale Skulptur. (Das wird Peter | |
| Fiege später noch korrigieren.) Grandhotel Cosmopolis heißt es. | |
| Drin: Die Hotellobby ist das Herz. Dort lernen sich Vorbeikommende kennen: | |
| Flüchtende, Reisende, Bleibende. Auf dem ausladenden Chippendalesofa (einer | |
| Kopie) sitzend, an der türkisfarbenen sechziger Jahre Theke mit der | |
| Espressomaschine (alles Geschenke) stehend, vor dem alten Röhrenradio | |
| kniend, um den Musiksender zu suchen, kommen sich die Gäste näher. Das | |
| ganze Hotel lebt im Vergänglichen, der Reichtum ist die Fantasie. Wände | |
| sind bemalt, mit Pferden, mit Adlern, mit Universen. Zimmer sind | |
| Kunstwerke. | |
| Zimmer 407 (zum Beispiel) ist rot und pink bemalt, beschrieben, dekoriert. | |
| „Sieben Minuten später kam der Kuss, wir wissen nicht warum“, steht in | |
| einer Ecke, „nearly the perfekt smile“ in einer anderen, platt gehämmerte | |
| Kronkorken sind das Fries, Stöckelschuhe in den Wänden der Stuck. Dazu der | |
| unverstellte Blick auf den Dom. | |
| Die Idee: Da war dieses leerstehende Haus. Künstler wollten es für | |
| Ateliers. Die Diakonie dagegen für Flüchtlinge. Da dachten sich die drei | |
| Initiatoren („vergiss Namen“, sagen sie): Das könnte man doch verbinden und | |
| noch mit einem Hotel kombinieren, damit es „zu einem echten Transitraum“ | |
| wird. | |
| Vielleicht kann die Chaostheorie erklären, warum Utopien manchmal klappen. | |
| Auf jeden Fall haben sich die Initiatoren sogleich andere Leute ins Boot | |
| geholt. Der Schwarmintelligenz fiel viel ein, aber vor allem eins: Dass man | |
| so ein Projekt nicht gegen die Augsburger entwickeln soll, sondern mit | |
| ihnen. | |
| Der Prozess: Eineinhalb Jahre haben viele Leute ehrenamtlich das Haus | |
| renoviert. Künstler und Künstlerinnen haben die Zimmer gestaltet. Die | |
| Phantasie der Leute hat sich in jeden Winkel gefressen – auch ein alter | |
| Wandschrank wurde umgebaut zu einer Art Schlafwagenkabine wie in | |
| asiatischen Zügen. Hotelgäste, die dort übernachten, zahlen nicht viel. | |
| Kaum war das Haus fertig, brachte die Diakonie schon Flüchtlinge unter. | |
| „Wir hatten keine Zeit aufzuatmen“, sagt Stef Maldener, Musiker und | |
| Musikproduzent, der von Anfang an dabei ist. Er hat sein Atelier im Haus. | |
| Der Transitraum: Platz für 60 Flüchtlinge gibt es. „Gruppenunterkunft 15“ | |
| heißt es im Verwaltungsjargon. Die Diakonie ist Träger. Das Hotel hat 12 | |
| Doppelzimmer und vier Hostelzimmer mit Viererbetten. Verstreut über die | |
| Etagen kommen Ateliers und Werkstätten dazu. Wie viele Künstler arbeiten im | |
| Haus? „Wir zählen das nicht, jeder ist einer“, sagt Wolfgang Reiserer, | |
| Radiotechniker, der einen Minijob hat, den Barbetrieb und die Freiwilligen | |
| koordiniert. | |
| Die Menschen: Niemand weiß, wer woher kommt, wohin geht. Ein Mann im Anzug | |
| nimmt sein Frühstück stets in der Lobby ein. Er nervt mitunter, fragt die | |
| Frau hinterm Tresen, ob sie neu sei. Nein, ist sie nicht. „Du bist gut | |
| proportioniert“, sagt er, löst Kreuzworträtsel in der Süddeutschen, fragt | |
| in den Raum „Fluss durch Braunschweig, ist das die Ücker, die Ücker?“ Ami… | |
| 20, und Dante, 25, älteste Söhne von syrischen Familien, sitzen auf dem | |
| Chippendalesofa. Aus Aleppo sind sie, ganz neu in Deutschland. | |
| Einer war als Flüchtling kurz im Grandhotel untergebracht, hat sofort | |
| mitgearbeitet, wurde wieder verlegt in ein Dorf außerhalb. Hier ist | |
| Kontakt, sagt er. „Dort nicht.“ Die Fluchtgeschichte? Lang. Seeuntüchtige | |
| Boote kommen vor. Sie wollen nicht darüber reden. Eine Frau am Tisch hört | |
| zu, sagt: „Aleppo, schlimm, ich habe noch nie einen Toten auf der Straße | |
| liegen sehen.“ Dante lacht tonlos auf. | |
| Aydin A., ein 32-jähriger aus dem Irak stammender Kameramann, der seit fünf | |
| Jahren in Deutschland lebt, für den das Grandhotel Sehnsuchtsort ist, | |
| übersetzt und kommentiert Dantes Lachen: „Er lacht, das ist die Panik.“ | |
| Dante sagt: „Sei froh, dass du Tote nicht gesehen hast, du hättest | |
| Alpträume.“ | |
| Gülüstan steht hinter der Theke. Dass sie 28 ist, zeigt sie mit den | |
| Fingern, eine alleinstehende Frau mit Tochter; aus Mossul kommt sie, | |
| Jesidin, lebt im Grandhotel, backt Kuchen und kocht. Die Praktikantin aus | |
| Lüneburg sagt, sie sei gerade auf Orientierungssuche. | |
| Die zwei Damen aus Kaufbeuren machen dort seit 25 Jahren Flüchtlingsarbeit | |
| „mit dem Rücken zur Wand“. Sie haben sich eine Nacht eingemietet, um zu | |
| sehen, wie die im Grandhotel es machen. „Hier ist echter Kontakt“, sagt die | |
| Ältere. In Standardheimen gebe es nur „Willkommenskultur“. Sie schüttelt | |
| den Kopf. „Willkommenskultur, das ist für mich das Unwort des Jahres.“ | |
| Kommen und Gehen: Es gibt Gruppen, die sich irgendwo im Haus treffen, die | |
| Flüchtlingsgruppe, Greenpeace, Frauengruppen. Sie nennen die Gruppen | |
| Container. Barcontainer, Veranstaltungscontainer, Handwerkscontainer. Es | |
| gibt einen Denkraum, einen Seminarraum, einen Gesundheitsraum. „Du siehst | |
| nicht, wer Gast ist, wer Flüchtling“, sagt Leo Breitmeier. „Panidelnik dwa | |
| yaza“, ruft er einem Tschetschenen zu, der durch die Bar geht. Montag um | |
| zwei ist der Termin beim Traumatherapeuten. Seit 17 Jahren wartet der Mann | |
| auf die Anerkennung seines Asylantrags, sagt Leo. | |
| Leo, 36, ist der Übersetzer für Russischsprechende und der erste Azubi des | |
| Grandhotels. Er kam mit 15 als Spätaussiedler nach Deutschland. Er hat viel | |
| angefangen, Koch, Friseur, war Travestiekünstler. Er kennt die Initiatoren, | |
| war sofort dabei, hat Konzerte organisiert, im Club im Keller, das | |
| Grandhotel ist eine bekannte Off-Location in Augsburg. Jetzt ist Leo eine | |
| gute Seele im Haus. Sein Charme umwerfend. | |
| Leo zeigt das Hotel: Er kenne, sagt Leo, alle Flüchtlinge, und er habe in | |
| allen Zimmern geschlafen, um zu wissen, wie es da ist, er kennt jeden Raum, | |
| jeden Schlüssel. Als Azubi macht er alles. Auch Zimmerservice. Flüchtlinge | |
| machen das auch hin und wieder, „aber es geht darum, dass klar ist: es gibt | |
| keine niederen Arbeiten“, sagt er. Er zeigt das Nähzimmer, | |
| Industriemaschinen stehen drin, er zeigt den Raum, der Backstube werden | |
| soll, er zeigt den Raum, wo demnächst auch Essen für Gäste angeboten werden | |
| soll. | |
| „Es muss Plattformen geben, wo die Flüchtlinge sich einbringen können.“ Er | |
| zeigt die Küche und den Musikclub im Keller, wo jeden Tag am langen Tisch | |
| zusammen gegessen wird. Am Donnerstag wird schwäbisch gekocht. Eine | |
| Nachbarin ist Küchenchefin. „Wir sind keine soziale Skulptur“, präzisiert | |
| Peter Fiege bei Kässpätzle. „Wir sind eine Plastik.“ Bei einer Skulptur | |
| nimmt man etwas weg. Bei einer Plastik tut man was hinzu.“ | |
| Die soziale Plastik: Wenn das Grandhotel Hilfe braucht, setzen sie ihr | |
| Anliegen auf die Homepage. Die Feuerleiter ist so eine Geschichte. Ein Mann | |
| aus dem Allgäu rief an, er hat welche für wenig Geld. Ohne Notausgang keine | |
| Eröffnung des Hotels hatte die Feuerwehr verfügt. Jetzt sieht es ein wenig | |
| aus wie in New York. | |
| Organismus: „Wir nennen das Haus Organismus“, sagt Roi Kfir. Roi – König? | |
| Nein, sagt er, im Hebräischen heißt es „mein Hirte“. Er ist aus Israel, h… | |
| Friedensarbeit mit Israelis und Palästinensern gemacht. Im Grandhotel macht | |
| er Friedensarbeit zwischen Deutschen und Flüchtlingen. Es geht ohne Worte. | |
| 14 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Waltraud Schwab | |
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