# taz.de -- Zwei neue Ritter-Comics: Sinn für das Überschüssige | |
> Das Wüten der Inquisition und der Jakobsweg: Die neu übersetzten | |
> „Ramiro“-Bände und die neu gezeichneten des „Schatzes der Tempelritter… | |
Bild: Ritter Martin bei einem Abenteuer im „Schatz der Tempelritter“. | |
Ritter-Comics sind nicht gerade en vogue. Dafür kann man zwei Gründe | |
ausmachen. Einerseits hat die 1937 von Hal Foster kreierte und von seinen | |
künstlerischen Erben bis heute fortgeführte „Prinz Eisenherz“-Serie nahezu | |
alles ausgeschöpft, was das Genre an Reizen zu bieten hat. Andererseits | |
sind gerade diese heute wenig gefragt – in Geschichten, deren Schwerpunkt | |
auf Action und Abenteuer liegt, mögen es die meisten Leser düster und | |
gewalttätig, nicht flamboyant und romantisch. | |
Zu den europäischen Versuchen, an den Erfolg von „Eisenherz“ anzuknüpfen, | |
zählt William Vances „Ramiro“. Ältere Leser schätzen den 1935 geborenen | |
belgischen Zeichner, der eigentlich William van Cutsem heißt, vor allem für | |
seine von James Bond inspirierten „Bruno Brazil“-Abenteuer (1967–1983). | |
Vance hat auch ein paar Ausflüge ins Kostümfach unternommen. „Ramiro“ | |
spielt im Spanien des beginnenden 13. Jahrhunderts; es gibt acht Alben, die | |
jetzt in einer vierbändigen Gesamtausgabe auf Deutsch erscheinen. | |
Der erste Band ist etwas schleppend erzählt. Ramiro erfährt, dass er der | |
uneheliche Sohn König Alfons XIII. von Kastilien ist, und rettet seine | |
Mutter aus den Händen eines obskuren Wunderdoktors. Munterer ist der zweite | |
Band, in dem der junge Ritter, eher gegen seinen Willen, eine gefährliche | |
Mission erhält: Der Prior eines Kloster bittet ihn, zwei reiche deutsche | |
Pilger über den Jakobsweg nach Santiago de Compostela zu begleiten. | |
„Ramiro“ ist zwischen 1974 und 1983 entstanden. Aus heutiger Sicht fällt �… | |
neben der nicht allzu sorgfältigen Figurengestaltung durch den Szenaristen | |
Jacques Stoquart – vor allem auf, wie sehr die Bilder vom damaligen | |
Zeitgeist geprägt sind. Ramiro ist eine lupenreine Dressman-Schönheit, die | |
von den Modeseiten der französischen Zeitschrift Femmes d’aujourd’hui, in | |
der die Serie zuerst veröffentlicht wurde, direkt in den Comic gehüpft zu | |
sein scheint. Ebenso anachronistisch sind die attraktiven jungen Frauen, | |
denen der Held auf seinen Fahrten begegnet: Sie schauen alle wie Mischungen | |
von Brigitte Bardot und Sophia Loren aus. | |
## Blaue Eiszapfen im Schneesturm | |
Stark wirkt immer noch die fantasievolle Kolorierung, für die Petra, die | |
Ehefrau von Vance, verantwortlich ist. Ritter im Schneesturm gleichen | |
blauen Eiszapfen; Sonnenuntergangs-Rot leuchtet auch dann, wenn es gar | |
keinen Sonnenuntergang gibt; fliederfarbene Abenddämmerung hüllt ein Dorf | |
ein – in seinen besten Momenten führt „Ramiro“ in ein psychedelisches | |
Mittelalter. | |
Näher an der historischen Wirklichkeit ist, bei aller künstlerischen | |
Freiheit, der amerikanische Comic „Der Schatz der Tempelritter“, von dessen | |
drei Teilen der erste vorliegt. Den Hintergrund bildet eines der größten | |
politischen Verbrechen der französischen Geschichte. Am 13. Oktober 1307 | |
ließ König Philipp der Schöne auf einen Schlag alle 15.000 Mitglieder des | |
Templerordens verhaften. Sie wurden der Inquisition übergeben, gefoltert | |
und hingerichtet. Die haarsträubenden Vorwürfe der Ketzerei und Sodomie | |
waren frei erfunden; Philipp ging es darum, die mächtige, kriegerische | |
Vereinigung, die nicht ihm, sondern allein dem Papst unterstand, politisch | |
auszuschalten und sich deren erheblichen Vermögens zu bemächtigen. | |
Im Zentrum des Comics steht Martin, ein liebenswerter, aber eher | |
durchschnittlicher Tempelritter, der es mit den strengen Vorschriften | |
seines Ordens, was Alkoholverzicht und Keuschheit angeht, nicht allzu genau | |
nimmt. Der großen Razzia – die bereits Züge totalitärer Praktiken | |
vorwegnimmt – entkommt er durch einen Zufall; dann wird er doch geschnappt | |
und in den Kerker geworfen. Nachdem es ihm gelungen ist zu entkommen, | |
versteckt er sich im Wald, wo ein dubioser Priester und ein Bandit ihm | |
schließlich einen kühnen Vorschlag unterbreiten: Gemeinsam wollen sie den | |
Schatz des Ordens, der nach wie vor in Paris versteckt ist, rauben. | |
„Der Schatz der Tempelritter“ ist das Werk dreier Profis der globalisierten | |
Unterhaltungsindustrie. Jordan Mechner, der Szenarist, ist der Designer des | |
populären und mittlerweile verfilmten Games „Prince of Persia“. Die | |
Zeichnungen stammen von Leuyen Pham und Alex Puvilland; sie ist eine | |
kalifornische Kinderbuchautorin und Illustratorin, er ein Franzose, der für | |
Dreamworks in Los Angeles arbeitet. Diese Verbindungen zur Welt der Spiele | |
und der Animation merkt man dem Comic durchaus an – aber ausschließlich in | |
positiver Weise. | |
Burleskes und Dramatisches, Dynamisches und Atmosphärisches halten sich | |
hier perfekt die Waage. Exemplarisch lässt sich dies auf den Seiten | |
betrachten, die Martins Flucht aus einem Gefängniswagen zeigen. Martin | |
sprengt eine Tür, sticht seine Bewacher nieder und rennt halbnackt davon, | |
ungläubig angestarrt von den verblüfften Passanten. Das ist spannend, hat | |
aber auch Slapstickmomente und findet zudem während eines dichten | |
Schneetreibens statt, dessen tanzende Flocken einen Schleier des Irrealen | |
weben. Unglaublich routiniert ist dieser Comic gemacht – aber er hat auch | |
einen schönen Sinn für das Überschüssige, für Poesie. | |
16 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Christoph Haas | |
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