| # taz.de -- Die Wahrheit: Lass Blut laufen rot | |
| > Mein Schicksal als leidlich akneversehrter Gitarrist einer völlig | |
| > unbekannten Schwermetall-Band aus der niedersächsischen Tiefebene. | |
| Bild: Wacken: Pommesgabeln im Sonnenuntergang. | |
| Heavy Metal war immer schon eine große Rüpelei und John McEnroe, dieser | |
| Headbanger in kurzen weißen Hosen, einer meiner frühen Helden. Er verbog | |
| Schläger, schmiss mit halb vollen Cola-Dosen, spitzte den schwedischen | |
| König nass und zeigte den adligen Steiflippen auf dem Centre Court mal | |
| grundsätzlich, was er von den alten viktorianischen Anstandsregeln hielt. | |
| „Ihr seid der Abgrund der Welt“, tat er den hochdekorierten | |
| Luftwaffen-Offizieren Bescheid, die hier als Schiedsrichter Dienst schoben. | |
| Oder noch schöner: „Ihr zwei seht aus wie Pickel an einem Baum.“ | |
| Man muss sich solche Sottisen selbstverständlich leisten können. Als | |
| leidlich akneversehrter Gitarrist einer völlig unbekannten | |
| Schwermetall-Band aus der niedersächsischen Tiefebene war das nicht | |
| unbedingt der Fall. Eine erste Übungseinheit in Rabaukentum leistete ich | |
| dann jedoch ab auf unserem Konzert zum 18. Geburtstag meiner Freundin | |
| Steffi. | |
| Es lief nicht besonders gut. Bei der versprochenen Anlage hatte man sich | |
| bloß versprochen. Wir mussten den Saal mit dem beschallen, was wir hatten. | |
| Genug eigentlich, aber im Metal ist es ja nie genug. Eine Bühne gab es auch | |
| nicht, wir stellten uns einfach in die linke Ecke. | |
| Die Partygäste bestanden zu großen Teilen aus Achtziger-Jahre-Poppern in | |
| Karottenjeans, mit Lacoste-Sweatern über den Schultern, vor der Brust | |
| einmal geknotet, die sich nach dem zweiten Song nach draußen begaben, um | |
| über die Frisuren der Eurhythmics zu philosophieren. Wir zogen unser Set | |
| knallhart durch, unterstützt von zwei Kisten Wolters Pilsener, ließen uns | |
| von der Handvoll Zuhörer zu drei Zugaben überreden und hätten auch noch | |
| eine vierte gespielt, wenn Steffi nicht so lieb auf uns eingeredet hätte. | |
| Zwischenzeitlich hatte es nämlich zu regnen begonnen. Die Gäste wollten | |
| wieder hinein und „ganz normal“ weiterfeiern. | |
| Ich hatte schon den ganzen Tag einen Song des neuen Steeler-Albums „Rulin’ | |
| The Earth“ vor mich hingesummt. Aus dem Summen wurde ein Shouten, aus dem | |
| Shouten ein Grunzen. „A trail of terror on my way / I bring you darkness | |
| and dismay“, knurrte ich in die mondlose Nacht, als ich die Tür zum Hof | |
| öffnete, um etwas frische Luft zu schnappen und das Geöle von A Flock of | |
| Seaguls aus den Ohren zu bekommen. Und weil ich unseren Scorpions | |
| verehrenden Sänger sah, dem ich schon lange zeigen wollte, worum es | |
| wirklich ging im Metal, schaffte ich mich richtig rein und orgelte los, | |
| weniger Scorpions-, eher Gorilla-mäßig. „Let the blood run red … let … … | |
| it run!“ | |
| Ich erblickte versteinerte Gesichter und verstand sie nicht. Ich hatte nun | |
| wirklich Herzblut hineingelegt in den Refrain und schmeichelte mir, | |
| überzeugend geklungen zu haben. Da endlich sah ich klar, nämlich die Eltern | |
| von Steffi, die sich aufgemacht hatten, um mal nach dem Rechten zu sehen. | |
| Meine Schwiegermutter in spe schenkte mir einen Blick, in dem sich | |
| jahrhundertelange aristokratische Verachtung für die unteren Stände zu | |
| einem Todesstrahl gebündelt zu haben schienen. Steffi musste dann einen | |
| anderen heiraten. | |
| 13 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Schäfer | |
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