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# taz.de -- Hochwasserschutz in den USA: Der internationale Wasserpolizist
> Im Rahmen der „Hurricane Sandy Rebuilding Task Force“ koordiniert Henk
> Ovink den US-Hochwasserschutz. Und der Niederländer hat einiges zu
> erzählen.
Bild: Hurrikan Sandy: „Land unter“ in New York
Henk Ovink ist einer der weltweit gefragtesten Wasserexperten. Der
Holländer ist davon überzeugt, dass Hurricane „Sandy“, der im Oktober 2012
die amerikanische Ostküste in New York und New Jersey verwüstete, die
Regierung Obama zum radikalen Umdenken veranlasste. Bei dem Wirbelsturm
starben in der gesamten Region 285 Menschen und es entstanden Sachschäden
von 75 Milliarden Dollar.
Barack Obama wollte nicht die gleichen Fehler machen wie sein Amtsvorgänger
George W. Bush, der untätig blieb, nachdem Hurricane „Katrina“ New Orleans
zerstört hatte. Deswegen gründete er im Dezember die „Hurricane Sandy
Rebuilding Task Force“, die gewährleisten soll, bei künftigen
Umweltkatastrophen besser vorbereitet zu sein, mit koordinierten Aktionen
zwischen Regierung, Bundesstaaten und lokalen Verwaltungen, aber auch
zwischen Geschäftsleuten und community groups.
Außerdem verlangte Obama nach neuen Lösungen, um bei künftigen Katastrophen
besser gewappnet zu sein. Nicht zuletzt sollten die Amerikaner für den
Klimawandel sensibilisiert werden.
Wenig später bewilligte Städtebau- und Wohnungsminister Shaun Donovan 50
Milliarden Dollar für die „Hurricane Sandy Rebuilding Task Force“ und
vollzog die klimapolitische Kehrtwende mit dem Programm „Hurricane Sandy.
Rebuilding Strategy – Stronger Communities, a Resilient Region“, das
deutlich Ovinks Handschrift verrät.
Der holländische Architekt erzählt, wie die niederländisch-us-amerikanische
Kooperation begann: „Shaun Donovan besuchte Ende 2012 die Niederlande, um
herauszufinden, was zu tun sei. Bekanntlich haben Holländer seit Langem
Erfahrung mit Umweltrisiken, mit dem Anstieg des Meeresspiegels,
Starkregen, Dürre, Flussüberschwemmungen und der Veränderung des Bodens.
Als Leitender Direktor für Raumplanung und Wasser im Niederländischen
Ministerium zeigte ich Donovan unsere wichtigsten Projekte.“
Beeindruckt zeigte sich Donovan vom Programm „Room for the River“, das an
Meeres- und Flussufern zusätzliche Flutungsräume vorsieht. Geplant sind
auch riesige innerstädtische Becken, die unter normalen Bedingungen von
Skatern genutzt werden können. Außerdem werden tief gelegene Flächen
vermehrt in Parklandschaften umgewandelt.
## Das Wasser umfangen
Ovink erklärte dem amerikanischen Gast, dass Holländer den Umgang mit
Wasser zum kulturellen Erbe zählen. „Da wir mit dem Wasser leben, lautet
unsere Grundeinstellung: Nicht das Wasser bekämpfen, sondern es umfangen.
Über Generationen hinweg haben wir einen Erfahrungsschatz aufgebaut, aus
dem wir heutzutage schöpfen. Wir handeln nach dem Motto: „Es gibt nichts
Gegebenes. Wir müssen uns täglich neu erfinden.“
Bereits wenige Wochen nach der Hollandreise lud Donovan seinen
holländischen Gastgeber nach New York ein und engagierte ihn für die
Hurricane Sandy Rebuilding Task Force. Im Rahmen der Task Force gründete
Henk Ovink das Programm „Rebuild by Design“, einen Architektur-Wettbewerb,
der die weltweit fähigsten Teams zusammenführte.
Anfangs waren es 148 internationale Büros, die ihre Entwürfe für die
Umgestaltung der amerikanischen Nordostküste vorlegten. Im Sommer 2014
wählte die von Ovink und Donovan geleitete Jury sechs Teams aus, mit
Aufträgen für die jeweiligen Küstenabschnitte. Unter ihnen befinden sich
auch das Rotterdamer Office for Metropolitan Architecture (OMA) und die
Kopenhagener Bjarke Ingels Group (BIG), ein Büro mit einflussreicher
Dependance in New York.
Die Holländer errichten in New Jersey eine parkähnliche Überflutungszone
mit weitläufigen Promenaden und Freizeitangeboten, während sich die Dänen
auf Manhattan konzentrieren.
## Manhattans Grundfläche wird größer
Für BIG-Partner Kai-Uwe Bergmann war es wichtig, mit einer genauen
Ursachenforschung zu beginnen. Dabei deckte er das sorglose Verhalten von
Generationen amerikanischer Architekten auf: „Die Grundfläche von Manhattan
ist tatsächlich im Laufe der Zeit angewachsen. Als die ersten Siedler
ankamen, waren Hudson und East River noch wesentlich breiter. Über viele
Generationen hinweg haben die Menschen Land aus dem Wasser gewonnen.
Hurricane Sandy überflutete vornehmlich die Flächen, die in den letzten 400
Jahren trockengelegt wurden.“
Weil die skyscraper city Manhattan seit Ende des 19. Jahrhunderts dicht an
den Flussufern hochgezogen wurde, fehlen heute dringend notwendige
Überflutungszonen, die Sturmschäden abmildern könnten. Deswegen gehört New
York – wie der Deutschamerikaner Bergmann warnt – heute zu den am stärksten
gefährdeten Großstädten auf dem amerikanischen Kontinent: „Weltbank und
Umweltgruppen listeten die Schäden auf, die auf die 20 wichtigsten
Metropolen auf der Welt zukommen werden. Allein 5 dieser Städte befinden
sich in Nordamerika. Miami ist am stärksten gefährdet, danach kommen New
York und New Orleans.“
Es liegt an Experten wie Henk Ovink, den wachsenden klimatischen
Herausforderungen zu trotzen. Ovink hofft auf den kulturellen Wandel in
Amerika, die Veränderung eingeschliffener Denkgewohnheiten, da anders
innovative Ziele nicht erreichbar sind. Doch die mentalen Hürden sind hoch.
In den meisten Bundesstaaten glaubt man noch immer, dass nichts von den
wissenschaftlichen Prophezeiungen bewiesen ist und dass alles auch ganz
anders kommen kann.
## Zurückweichen der Stadt
Das musste Ovink auch in New York erfahren, wo Exbürgermeister Michael
Bloomberg viel gegen den Klimawandel unternommen hat. Noch heute, erzählt
Ovink, würden einige Regierungsbeamte beim Thema climate change
Scheuklappen aufsetzen. Es falle ihnen leichter, an außerirdische Wesen als
an die Zusammenarbeit mit einem Holländer zu glauben. Auch das Vertrauen in
die Wunderkraft der Dämme sei vielerorts unerschütterlich.
Tatsächlich sei es katastrophal gewesen, dass die Bundesregierung nach den
Verwüstungen von Hurricane Katrina Milliarden Dollar in ein neues
Deichprojekt für New Orleans steckte. Denn das habe lediglich dazu geführt,
das Mississippi-Delta in ein Korsett endloser Dämme zu zwängen und die
Millionenstadt New Orleans vom Meer abzuschotten.
Bedenkt man aber – so Henk Ovink –, dass in New York in einigen
Jahrzehnten, wie der „New York Panel on Climate Change“ (NPCC) prophezeit,
ein Wirbelsturm wie „Sandy“ jedes zweite Jahr auftreten wird, dann kann die
Schlussfolgerung nur lauten: Die Stadt muss zurückweichen, um mehr Platz
für Flutungszonen zu schaffen.
## Überflutungsgebiete fehlen
„A Stronger More Resilient New York“, von der Stadtverwaltung im Sommer
2013 verabschiedet, gilt als Maßstab sämtlicher Planungen: Das viel zu
knappe Überflutungsgebiet, in dem bereits heute 400.000 New Yorker leben,
müsse massiv ausgedehnt werden. Das erfordert flexible Antworten angesichts
des Gebäudebestands und der Bedürfnisse von communities. Für BIG ist das
auch eine große moralische Herausforderung, da die Architekten nicht mit
fix und fertigen Entwürfen die New Yorker übertölpeln dürfen.
Deswegen sind die tollen Computeranimationen, mit denen BIG die
Öffentlichkeit verzaubern will, zunächst nicht mehr als ein Wunschbild. Das
„BIG U“, das man für Manhattans spektakuläre Landzunge entworfen hat, ist
trotzdem verführerisch. Für die Halbinsel entwarfen Bergmann und sein New
Yorker Team eine grüne, terrassenförmige Böschung, die vornehmlich als
Naherholungsgebiet dient: mit Fußgänger- und Radwegen, mit Spiel- und
Sportplätzen, mit Restaurants und Kultureinrichtungen, mit Angeboten für
Bootstouren und urban gardening. Schließlich eine zehn Kilometer lange
Radstrecke entlang der West Side.
## Eine soziale Infrastruktur aufbauen
Währenddessen werden die öffentlichen Gebäude so konstruiert, dass bei
Sturmwarnungen automatisch Schutzabsperrungen heruntergelassen werden, die
fugendicht abschließen. „Uns geht es darum, in Infrastruktur zu
investieren, die städtischen Einrichtungen vor Überschwemmungen zu
schützen. Gleichzeitig wollen wir die Küste attraktiver gestalten. Wir
nennen das ’soziale Infrastruktur‘ – Infrastruktur zum Wohle der
Stadtbewohner.“
Kai-Uwe Bergmann umgeht allerdings die Frage, wie Verkehrsstraßen, Wohn-
und Bürohäuser aus den gefährdeten Zonen verschwinden werden. Er weiß, dass
es nicht um einen Masterplan, sondern um einen langwierigen Verhandlungs-
und Diskussionsprozess geht.
Während der vital wirkende Henk Ovink die einzelnen Architektenteams
entlang der Küstenabschnitte koordiniert, legt er Wert darauf, sich als
eine Art internationalen Wasserpolizisten zu verstehen, der über den
Tellerrand der kleinen Niederlanden, aber auch der Vereinigten Staaten
hinausblickt. Denn sein Einsatz ist, seitdem die Hurricane-Bedrohungen
zunehmen, auch in anderen Ländern gefragt.
## Die Widerstandskraft stärken
„90 Prozent aller Umweltkatastrophen rühren vom Wasser her. Deswegen hat
die Weltbank in letzter Zeit zahlreiche neue Wasser Projekte aufgenommen,
die von der niederländischen Regierung mit 50 Millionen Dollar unterstützt
werden. Viele Länder bitten uns um Hilfe, nicht nur nach
Umweltkatastrophen. Wir bauen Schutzsysteme auf, etwa den Deltaplan in
Myanmar. Ebenso helfen wir in Ländern wie Kenia oder Mosambik, die
Resilienz der Orte, ihre Widerstandskraft, zu stärken.“
Henk Ovink weiß, dass in den nächsten 30 Jahren zwei Milliarden Menschen,
vor allem in den überbevölkerten Gebieten Afrikas, von Überschwemmungen
bedroht sein werden. Und er beharrt darauf, dass innovativer
Katastrophenschutz sich durchsetzen muss.
Aber vor allem, betont er, bedarf es eines Mentalitätswandels: „Nicht der
einzelne Staat kann die Welt verändern, der Zusammenschluss von Staaten,
Städten und Unternehmen, von Bürgerinitiativen, Nichtregierungsgruppen und
Medien ist gefordert. Alle müssen am kulturellen Wandel mitwirken. Es geht
letztendlich darum, unsere Lebensweise zu ändern.“
19 Mar 2015
## AUTOREN
Klaus Englert
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Manhattan
Hochwasser
Dokumentarfilm
Hurricane
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Weser
USA
USA
Sandy
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