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# taz.de -- „Shaun das Schaf“ im Kino: Eine Familie als Poesiealbum
> „Shaun das Schaf“ macht jetzt weltweit Karriere. Populär wurden seine
> Geschichten bei uns in der „Sendung mit der Maus“.
Bild: Shaun – der Seher, der Sortierer, das Familienteil
Seine Erfinder sagen, er sei die Verkörperung eines frechen, neugierigen
Jungen von acht Jahren oder von zwölf. Jedenfalls ist es ein Schaf, ein
junges. Es heißt Shaun, wird ausgesprochen wie „schon“, allerdings mit
dunklem O. Wie in „ordentlich“. Seit 2008 laufen seine Geschichten in
Deutschland, erstgesendet in der „Sendung mit der Maus“, die
fälschlicherweise und ausweislich der Publikumsforschung als Kinderformat
gehandelt wird.
In Wahrheit, die Zahlen sagen es, ist mehr als ein Drittel der
durchschnittlich gut zwei Millionen Zuschauer über 25 und hat keine Kinder.
Sie geben also keinen elterlichen Schutz, wenn ihre Kleinen die Episoden
mit Maus, Elefant, Ente, Erklärgeschichten und dem eher fatzkehaften
Kapitän Blaubär schauen. Es steht zu vermuten, dass es ihnen auf eine
„Shaun das Schaf“-Folge in der „Maus“-Show ankommt, stets nach etwa 20
Minuten der halben Kinder- (und Erwachsenen-) Stunde.
Die Storys dieses Schafs sind wie alle Märchen aus dem Leben geschöpft aus
seinen Ängsten, Anmaßungen, Entgrenzungswünschen und Heilungsversuchen.
Shaun ist ein Teil der Schaffamilie, die von Bitzer gehütet wird,
eingesperrt nächtens in einen Stall, also dort auch beschützt. Der Bauer
ist ein Single, eine Bauersfrau gibt es nicht. Alles bei „Shaun das Schaf“
ist der Traum von einer aufregenden, lebendigen, nie gänzlich zerstrittenen
Familie. Gelegentlich kommt Besuch von außen, Verwandte des Bauern, aber
die gehen wieder, denn sie stören und sind laut und indezent.
Shaun heckt viele Streiche aus, vor allem hat es eine Fülle von Ideen,
unentwegt passieren absurde, unwahrscheinliche Dinge. Schlafwandeleien,
Außerirdische auf Irrflug, Waschtage in Seifenpulverorgien im Pool,
Fernsehsessions mit Splatterfirmen. Die einzigen echten Gefahren kommen von
der Hauskatze (die doof und fies ist), gelegentlich vom Hofbullen (der aber
zu Timmy, dem Schafskind mit Schnuller, sehr charming ist) oder von den
drei Schweinen, die sich hinter der Mauer im Matsch suhlen und die gute
Welt der Schafe und von Bitzer mit Gemeinheiten bedenken.
## Handgefertigte Puppen
„Shaun das Schaf“, das sind Siebenminutenclips von bezauberndster Sorte.
Keine bewegten Comics, kein Zeichentrickfilmchen, keine Mangas oder andere
fantastische Bilderanordnungen. Diese Puppen sind handgefertigt, geknetet,
gebastelt, alle aus der Werkstatt der berühmten Aardman-Animation-Studios,
für die Nick Park die Idee hatte. „Wallace & Gromit“ stammt auch von ihnen,
insofern war dem Publikum diese Ästhetik vertraut.
Aber „Shaun das Schaf“ ist noch von ganz anderem Kaliber. Man fühlt sich
ein wenig an traumschöne Welten wie in den besten „Roncalli“-Tagen
erinnert, ohne ins Esoterische abzugleiten, ohne sphärischen Himmels- und
Überbauquatsch. Diese Schafe sind von dieser Welt, die sie lieben, für die
sie sich kämmen und fönen und schön machen und in der sie sich gern
blökend, spielend, grasend, agierend, also ganz und gar im Hier und Jetzt
parat halten.
Meine liebste Geschichte ist die von Shaun, in der es aus Neugier in den
Hühnerstall geht und die gelegten Eier anschaut, aus denen gerade Küken
schlüpfen. Die folgenden sechseinhalb Minuten handeln ergreifend von der
Kunst der Adoption, dem Bedürfnis der Kinder nach Gerüchen und Behütungen –
und wie Bitzer schließlich löst, dass das Mutterhuhn doch von seinem
Nachwuchs als Mutter angenommen wird.
Alle Themen sind schon in „Shaun das Schaf“ verhandelt worden. Aber nicht
kindgerecht, so im Putzi-Pitzi-Niedlich-Style, vielmehr als echte Märchen
mit Horror, Befürchtungen und Spannungsbögen. Die Figuren- und
Geschichtenerfinder müssen eine Freude gerade an Details haben, die sie in
ihre Settings implantieren: seltsame Knöpfe, Trapeze in Zirkuszelten,
Weihnachtsbäume oder Billardtische.
## Realisierte TV-Poesie
Es führte zu weit, noch mehr von diesen Kleinigkeiten zu erzählen, denn sie
alle sind realisierte TV-Poesie. Moderne Poesie obendrein. Eine Familie mit
dem Bauern als Teil, nicht einmal als Anführer, ein Hund, der hütet und
doch von aller Pflicht abkommt, sieht er einen Knochen, den er nagen kann,
eine Ziege, Schweine (ja, auch die sind für Familien wichtig), Vögel, eine
bedrohte Maus und ein Bulle mit Ring in der Nase.
Und zwischen all ihnen eben Shaun – der Seher, der Sortierer, das
Familienteil, das Ordnung bringt und Chaos mit Hingabe stiftet – und sich
immer um die anderen sorgt. Kurz: Wie man es gern als Publikum hat – eine
Projektionsfläche für das Gute, an dem man arbeitet. So etwas wie „Six Feet
Under“ auf direkt märchenhaftem Niveau, ohne, wie erwähnt, in pinke
Zeichentrickseifigkeit zu verfallen.
Aber trägt das auch einen Film? Statt sieben Minuten knapp anderthalb
Stunden? Was kann erzählt werden über diese Zeitstrecke, ohne das magische
Siebenminutengehege zu verlassen? Ohne zu viel zu verraten, sei bekannt,
dass der Anfang etwas schwer anzuschauen ist. Die Tage ziehen sich hin,
sehen wir, Shaun und die anderen langweilen sich, alles ist wie immer. Das
ist schwer zu verdauen, denn auf dem Hof geht es doch jeden Tag interessant
zu: Und das soll die realistische Variante sein – ein Leben wie im Tagein,
Tagaus?
Jedenfalls verschlägt es den Bauer in die Stadt, wo er sein Gedächtnis
verliert. So schwer, dass wir erkennen: Er hat mit diesem Gedächtnis sein
Leben verloren, sich selbst – und wird durch komische Umstände Modefrisör
in einem Salon der Hippen. Shaun und die anderen suchen ihn natürlich, aber
als sie ihn finden, erkennt der Bauer sie nicht wieder: Eine solch
tragische Szene ums Nichterkanntwerden in der Sorge, in der Liebe war
selten zu sehen im Fernsehen. Ohne die Pointe zu enthüllen: Es berührt zu
sehen, wenn Shaun das erste Mal seit 2008 weint.
## Eine Hündin mit Wimpern
Man könnte jetzt „Shaun – der Film“ weiter kritisch sehen. Etwa bemäkel…
dass es eines Straßenköters bedarf, um der Geschichte vom Ausflug in die
große Stadt aufzuhelfen. Und dass dieser Hund eine Hündin ist, was man an
den Hildegard-Knef-fetten Wimpern erkennen soll (und kann). Es ließe sich
anmerken, dass anderthalb Stunden Film auch nicht besser sind als zwölf
neue Folgen aus dem Bauernhof.
Denn viele Motive sind nicht neu. Die in krasse Lumpen verkleideten Schafe,
die im schicken 5-Sterne-Restaurant speisen und nicht wissen, wie sie sich
zu benehmen haben. Das ist schon sehr komisch – und wie grotesk es
anzusehen ist, wenn Schafe mitten auf dem Land im Doppeldeckerbus ins Dorf
fahren, weil sie Lust auf Pizza haben und diese mit Knöpfen und einer
Trillerpfeife bezahlen. Auch das kennen wir schon.
Trotzdem, Friede auf Erden der Schafe, aller Shauns und Timmys und Bitzers,
die wir im Herzen tragen: Auch der Film lohnt. Er ist nur einer für
Erwachsene weitgehend. Kinder lieben allen Crash und allen Krach. Wo die
Poesie beginnt, wo thematisch existenzielle Dinge angetippt werden
(Verlassenwerden, Zuhausefühlen, Geborgensein, Abschied, Trauer und Freude
– wie auch Schadenfreude), kommen Erwachsene als Publikum ins Spiel. Für
die lohnt es sich in jeder Hinsicht. Und sei es nur, weil das Stofftier,
das Timmy sonst bei sich trägt, Shaun in größter Not beisteht. Es ist ein
rostbrauner, irgendwie schon gerupfter Teddy. Nicht wirklich schön, nicht
hässlich. Ein Liebesobjekt.
Sage nur einer, Schafe seien dumm. Diese – mit allen anderen
Familienangehörigen, auch dem Bauern – sind am Leben dran wie nix. Der Film
zeigt es mit Hingabe.
18 Mar 2015
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Familie
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Depression
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