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# taz.de -- Kolumne Tier & Wir: Der Moslem der Tierwelt
> Hundert Schafe sollen die Wölfe schon gefressen haben! Skandal! Bleiben
> ja nur noch 1.999.900 zum Schlachten übrig!
Bild: Denken Sie nur an den Horror, den die Tiere seit Jahrhunderten verbreiten…
Früher waren es die Maikäfer, die im Frühjahr plötzlich zur Plage wurden.
In diesem Jahr scheinen es die Wölfe zu sein. Verfolgt man die Presse,
kommt man zu dem Schluss, dass der Wolf inzwischen praktisch hinter jeder
Hecke lauert, um über die arglos daherschlendernden Deutschen herzufallen.
Der Moslem der Tierwelt sozusagen. Man darf gespannt sein, wann erste
Protestzüge gegen die Verwolfung des Abendlandes durch unsere Innenstädte
führen.
Um nur zwei der beunruhigenden Schlagzeilen aus der Bild-Zeitung zu
zitieren: „Wildschwein weggezerrt – Wolf holt sich seinen Sonntagsbraten“
oder „In Norddeutschland – ein Wolf reißt das Reh, der zweite hält Wache�…
Man könnte fast meinen, diese Wölfe fräßen auch Fleisch! Über hundert
Schafe sollen die Zuwanderer in diesem Jahr schon erlegt haben. Über
hundert! Man führe sich diesen furchtbaren Blutzoll einmal plastisch vor
Augen! Da bleiben ja nur noch 1.999.900 der jährlich etwa zwei Millionen in
Deutschland geschlachteten Schafe für uns übrig!
Viel schlimmer als der ökonomische Schaden ist allerdings die Gefahr für
Leib und Leben, die vom Wolf ausgeht für sein liebstes Beutetier, den
Menschen. Denken Sie nur an den Horror, den die Tiere seit Jahrhunderten
verbreiten: Rotkäppchen, Der Wolf und die sieben Geißlein, Wolf Biermann.
Es ist ein Graus. Zwar hält sich die Zahl der Wolfsattacken mit bislang
exakt null gerade so in überschaubaren Grenzen, aber man weiß aus der
einschlägigen Fachliteratur, dass die halt immer schön Kreide fressen, um
dann unvermittelt zuzuschlagen.
Nur zu berechtigt erscheint es da, wenn der FDP-Umweltexperte Dr. Gero
Hocker (das mit dem „FDP-Umweltexperten“ war jetzt keine Pointe von mir,
sondern ein Zitat aus der Bild) den niedersächsischen Umweltminister warnt:
„Wenn Sie nicht handeln, wird es bald auch menschliche Opfer geben.“
Menschliche Opfer! Man stelle sich vor, es gebe da draußen etwas, was
Menschenleben gefährdet!
Käme etwa – Gott bewahre! – irgendwo im Lande jemand durch ein Auto zu
Schaden, dann würden sie den sofortigen Abschuss aller Fahrer fordern,
diese grünen Spinner, aber die Wölfe dürfen natürlich mordend und
brandschatzend durch Wald und Flur ziehen. Nur einige couragierte
CDU-Politiker stellen sich ihnen mutig in den Weg, etwa der Bürgermeister
von Goldenstedt, Willibald Meyer. Ein Rezept gegen illegale Einwanderung
hilft schließlich immer: „Das Jagdgesetz muss geändert werden. Der Wolf
darf hier nie wieder heimisch werden.“
Wenn der Staat nicht vorsorgt, müssen die besorgten Bürger sich eben selbst
helfen. Bild druckt schon einmal lehrreiche Fotos von kleinen Kotballen:
„Vorsicht vor diesen Häufchen! Wenn es in Ihrem Garten liegt, ist der Wolf
nicht weit.“ Dann hilft womöglich nur noch eine Methode. Ludger Bruns aus
Visbek beschallt seine Schafwiesen mit Radiomusik, sagt zu Bild: „Das ist
sehr erfolgreich. Ein Wolf war schon in der Nähe meiner Tiere, drehte aber
ab, als er die Musik hörte.“ Er ist eben doch ein Feingeist, der Wolf. Bei
Radio ffn oder N-Joy macht er flugs die Biege. Wer wollte es ihm verdenken?
20 Mar 2015
## AUTOREN
Heiko Werning
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