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# taz.de -- NSU-Untersuchungsausschuss BaWü: Überraschung aus der Plastiktüte
> Ein mutmaßlicher NSU-Zeuge verbrennt im September 2013 in seinem Auto.
> Nun tauchen plötzlich lange gesuchte Gegenstände im Autowrack auf.
Bild: Der NSU-Ausschussvorsitzende präsentiert plötzlich aufgetauchte Indizie…
Die größten Überraschungen für den NSU-Untersuchungsausschuss
Baden-Württemberg stecken in einer H&M-Plastiktüte: ein verkohlter
Schlüsselbund, ein grün-transparentes Feuerzeug, der Deckel eines
Benzinkanisters. All das soll seit eineinhalb Jahren im ausgebrannten Auto
von Florian H. gelegen haben, der sich nach Überzeugung der
Staatsanwaltschaft selbst umgebracht hat. Noch spektakulärer: Auch eine
Pistole war dabei. „Wenn die Polizei tatsächlich eine Pistole, den lange
gesuchten Schlüsselbund und ein Feuerzeug im Autowrack übersehen hat, bin
ich bestürzt über die Qualität der Ermittlungen“, sagt Grünen-Obmann Jür…
Filius.
Der Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg wurde Ende 2014 nach einer
politischen Hängepartie eingesetzt. Die SPD hatte ihn nicht für notwendig
erachtet. Eine Enquete-Kommission zum Extremismus sollte reichen. Diese
scheiterte wegen der unerlaubten Weitergabe eines Gutachtens. Nach diesem
Debakel konnte nur noch ein Untersuchungsausschuss die Blamage in der
NSU-Aufklärung abwenden, den letztlich alle Fraktionen mittrugen. Schon
nach acht öffentlichen Sitzungstagen zeigt sich, wie dringend notwendig er
ist.
Der erste Fall, dem sich der Untersuchungsausschuss gewidmet hat, ist der
Tod von Florian H. Der damals 21-Jährige verbrannte am 16. September 2013
in seinem Auto am Rande des Cannstatter Wasen. Der Polizei war bekannt,
dass Florian H. ein Aussteiger aus der rechten Szene war, der schon vor
Auffliegen der rechtsextremen Terrorgruppe NSU sagte, er wisse, wer hinter
dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn steckt. Dazu
sollte er am Abend des 16. September 2013 zum wiederholten Mal vernommen
werden. Am Morgen zuvor starb er.
Der Staatsanwalt war überzeugt, es war Selbstmord aus Liebeskummer, und
veranlasste keine weiteren Ermittlungen. Die Familie glaubt, dass Florian
H. in den Tod getrieben oder ermordet wurde. Er sei wegen seines Ausstiegs
massiv aus der rechten Szene bedroht worden, berichten Vater und Schwester.
## Zur Verschrottung freigegeben
Drei Tage lang hörte der Ausschuss Familie, Freundin, Exchefin von Florian
H. und Polizisten, einen Brandsachverständigen, LKA-Mitarbeiter und den
Staatsanwalt.
Wo der Autoschlüssel von Florian H. abgeblieben ist, war ein großes
Mysterium. Florian H. muss sein Auto ja zum Tatort gefahren haben. Könnte
ein Fernzündmechanismus im Auto gewesen sein? Nein, sagte der
Brandsachverständige, er habe das Auto akribisch durchsucht und weder
Batterie noch andere Bestandteile einer Fernzündung gefunden.
Ein Zeuge hatte die Stichflamme am Auto gesehen, aber keine Person am
Wagen. Die Polizei hatte das Auto nach Bergung der Leiche und Untersuchung
durch Brandsachverständige spätestens am Tag nach der Tat im September 2013
zur Verschrottung freigegeben. Doch die Familie schritt ein, auch aus
emotionalen Gründen, berichtete die Schwester, Tatjana H., und holte den
schwarzen Kleinwagen bei den Ermittlern ab. Schon damals fand sie ein
Handy, das die Polizei nicht untersuchen wollte. Seither stehe der Wagen in
einer Garage von Freunden, heißt es.
Tatjana H. soll wegen eines Termins mit dem Ausschussvorsitzenden Wolfgang
Drexler (SPD) das Auto diese Woche noch einmal durchsucht haben. Was sie
nun überraschenderweise fand: den Schlüsselbund (war eingeklemmt auf dem
Rücksitz) mit 16 Schlüsseln dran, auch dem Autoschlüssel, verkohlt. Ein
Feuerzeug, den Kanisterdeckel, ein Handydisplay, ein komplettes Handy
Samsung Galaxy S1, Turnschuhe, Sicherheitsschuhe, eine Pistole, eine
Machete. Tatjana H. hat alles an den Ausschuss übergeben.
## Ein komplexer Fall
Drexler sagt, ihn habe „der Schlag getroffen“. Möglicherweise habe die
Polizei „sehr schlampig“ gearbeitet. Um zu hören, wie es zu solchen
Versäumnissen kommen konnte, will der Ausschuss den Brandsachverständigen
und den leitenden Ermittler vom Polizeipräsidium Stuttgart noch einmal
hören. Beide haben diesen Monat schon ausgesagt. Das Auto soll von einem
anderen Sachverständigen erneut durchsucht werden. Drexler will geklärt
haben, ob es einen Fernzünder gab. Er will wissen, ob es Mord oder
Selbstmord war.
Um Mutmaßungen zu bremsen, wonach jemand die Sachen nachträglich ins Auto
gelegt haben könnte, will Drexler untersuchen lassen, ob die Rußpartikel an
dem Schlüsselbund und den anderen Gegenständen vom Brand im Auto stammen.
Ob so eine Untersuchung möglich ist, ist bislang nicht klar.
Für den Komplex Florian H. waren im Untersuchungsausschuss ursprünglich
drei Tage angesetzt. Nun werden daraus vermutlich fünf. Mindestens. Die
Parlamentarier haben noch viel vor: Sie wollen den Polizistenmord von
Heilbronn durchleuchten – der komplexeste Fall, verbunden mit der Frage, ob
Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die alleinigen Mörder der Polizistin waren.
Weitere Themen: die Mitgliedschaft von Polizisten im Ku-Klux-Klan und der
V-Mann Corelli. Die nächste Sitzung ist für den 13. April angesetzt.
19 Mar 2015
## AUTOREN
Lena Müssigmann
## TAGS
Rechtsextremismus
Zeuge
Untersuchungsausschuss
Baden-Württemberg
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Schwerpunkt Rechter Terror
Polizei
Florian H.
Rücktritt
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Schwerpunkt Rechter Terror
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Schwerpunkt Rechter Terror
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