# taz.de -- Die Wahrheit: Definitiv mit das Beste! | |
> Steigerungen um Steigerungen pflastern der Rede Weg. Der Allergiker | |
> reagiert dabei schon auf total winzige Dosen. Eine Sprachkritik. | |
Bild: Snobistisch, superlativisch, schlicht total top: Michel Houellebecq. | |
Wer eine Allergie hat, reagiert auf Substanzen, die Gesunden nicht schaden | |
und von ihnen nicht einmal bemerkt werden. Es gibt analog dazu sprachliche | |
Allergien. | |
Hoeneß, schreibt Christoph Bausenwein in seiner Biografie des | |
Fußballspielers, Vereinsmanagers und Steuerkriminellen, hatte als | |
„Würstchen-Millionär finanziell ausgesorgt und konnte im Dienst des FC | |
Bayern völlig frei und ohne alle finanziellen Hintergedanken agieren. Und | |
er blieb stets dankbar für das große Glück, das ihm die Würstchen beschert | |
hatten.“ Scheinbar normale Sätze also – doch der Allergiker reagiert auf | |
winzige Dosen: Warum „völlig“ frei, warum ohne „alle“ finanziellen | |
Hintergedanken, und war Hoeneß wirklich „stets“ dankbar? | |
Zum Ausbruch kam die Erkrankung Ihres stets völlig beliebten | |
Sprachkritikers schon 1991, als Joseph von Westphalens Roman „Im | |
diplomatischen Dienst“ erschien. Der Ich-Erzähler kennt die „einzige | |
Person“ (statt: eine), der man etwas anvertrauen konnte, bemängelt, dass in | |
Heiratsanzeigen manche Wünsche „nie“ (statt: nicht) ausgedrückt werden, u… | |
folgert, dass die Heiratswilligen wohl „nie“ danach verlangten; sodann | |
dünkt ihn etwas nicht schön, sondern er hält es gleich für „das Schönste… | |
findet etwas nicht bloß wahr, sondern „einzig wahr“, und stuft ein | |
Vorkommnis nicht bloß als erfreulich ein, sondern zählt es sofort „zu den | |
erfreulichsten Augenblicken“ – das alles in einem Absatz, ja in einem | |
einzigen Absatz, in dem sich selbstverständlich auch die Wörtchen | |
„selbstverständlich“ und „natürlich“ tummeln und die den Stil eines A… | |
prägen, dessen Alter Ego im Roman natürlich als Student in der | |
„verwegensten Wohngemeinschaft von Frankfurt“ lebte und für den, nur noch | |
ein Beispiel, ja ein einziges!, der Maler der | |
Sanella-Margarine-Sammelbilder ein „tausendmal größerer Künstler“ ist als | |
manch anerkannter Maler. Er selbst ist aber bloß ein tausendmal größerer | |
Prahlhans. | |
Nun ist der einzige Joseph von Westphalen natürlich von gestern – heute ist | |
es selbstredend Eugen Ruge, der in einem tausendmal aktuelleren Interview | |
mit der taz bekennt: „Manchmal denke ich: Alles Quatsch, was du hier machst | |
… Schreiben ist ein krisenhafter Prozess. Nicht, dass man sich jedes Mal | |
umbringen will, aber es droht immer alles einzustürzen.“ | |
## Absolut okay | |
Es wäre selbstverständlich falsch, immer alles jedes Mal auf die Goldwaage | |
zu legen, obwohl es natürlich megaviel Spaß macht. Eine Sage ist keine | |
Schreibe. In mündlicher Rede ist es, wenn nicht „absolut okay“, so doch | |
„total“ alltäglich, das Wasser „ultimativ“ bei 30 Grad kochen zu lasse… | |
wimmelt es „extrem“ von Superlativen und Elativen (also Steigerungen | |
mittels Adverbien wie „definitiv“ oder „ultra“modernen Vorsilben) sowie | |
geistesverwandten Übertreibungen und Verabsolutierungen. | |
Ob etwas „absolut genial“ (NDR 4) ist oder nur „genial“ oder in Wahrheit | |
nicht einmal das, ist garantiert hundertprozentig egal; es bei der Wortwahl | |
genau zu nehmen, wäre selbstverständlich Beckmesserei und „geht wirklich | |
absolut gar nicht‘“ (so die Sprecherin der Grünen Jugend im Juli 2014), | |
denn „absolut gar nicht“ oder „gar nicht“ brächte nicht, Quatsch: wirk… | |
absolut gar nicht, zum topexpressiven Ausdruck, was sie meint. | |
Selbst die Göttinger Universitätspräsidentin Ulrike Beisiegel entledigte | |
sich einmal zur vollsten Zufriedenheit der protestierenden Studenten ihres | |
elaborierten Codes: „Wir als Uni verstehen ihr Anliegen supergut.“ | |
Es ist superklar, dass die Bedeutung der Wörter durch häufigen Gebrauch | |
(scheinbar?) verblasst. Dann muss das Event zum Topevent, die Sensation zur | |
Riesensensation, der Star zum Superstar, ja absoluten Weltstar hochgejazzt | |
und ein Talent zum Ausnahmetalent, ja „absoluten Ausnahmetalent“ | |
hochgejubelt werden wie vor Jahren der Brasilianer Renato Augusto, von dem | |
man freilich nach seiner Verpflichtung durch den Fußballbundesligisten | |
Bayer Leverkusen nur gelegentlich absolute Superleistungen gesehen hat. | |
## Hochgedrehter Superlativ | |
Etwas älter ist die schon von Kurt Tucholsky glossierte Adjektivmethode, | |
den Positiv zum Superlativ hochzudrehen und diesen, der eine Lüge sein | |
könnte, durch ein „mit“ oder „vielleicht“ einzuschränken, sodass Mich… | |
Houellebecq nicht mehr bloß ein großer französischer Gegenwartsautor ist, | |
sondern vielleicht der größte oder mit der größte. | |
Tucholsky zufolge hat Nietzsche diesen „snobistischen Superlativ“ erfunden. | |
Heute tritt er vielleicht mit am meisten in der Form auf, wie ihn die | |
„Tagesschau“ benutzte, als sie verlautbarte, der Georg-Büchner-Preisträger | |
Jürgen Becker sei „einer der überragendsten Lyriker der Gegenwart“. Man | |
stößt auf jenen Superlativ natürlich selbstverständlich auch in einem | |
Fußballbuch, in dem „eines der prägendsten Bilder während der | |
Weltmeisterschaft 2014“ gerühmt wird – „das Bild des Jogi Löw im ström… | |
Regen von Recife“ nach dem Spiel gegen die USA. Erinnert sich irgendjemand | |
daran? | |
23 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
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