| # taz.de -- Die Wahrheit: Blumige Blumen | |
| > Ewig währt der Wettbewerb um die schöne Sprache, aber die | |
| > Herrschaftssprache nutzt gern verhüllende Formeln, um die Untertanen | |
| > auszuschließen. | |
| Bild: Sag es durch die Blume oder einfach durch den Mund. | |
| „Unser Dorf soll schöner werden“, hieß ein 1961 ins Leben gerufener | |
| Wettbewerb. In ihm ging es weniger darum, die Qualität des dörflichen | |
| Lebens zu verbessern, als den Ort aufzuhübschen, weshalb die Initiative | |
| auch als „Blumenwettbewerb“ bespöttelt wurde. | |
| Noch älter dürfte die Aktion „Unsere Sprache soll schöner werden“ sein, … | |
| gleichfalls darauf zielt, das hässliche Sein durch einen angenehmen Schein | |
| zu verdecken. Obwohl niemals öffentlich ausgeschrieben, nehmen seit jeher | |
| Politiker, Verwaltungsbeamte, Ökonomen und andere Autoritäten, kurz: die | |
| Herrschenden an ihr teil. | |
| Das klassische Beispiel ist die jahrzehntealte Formel von den „sozial | |
| Schwachen“, um wenigstens das Wort von den Armen aus der Welt zu schaffen. | |
| Dumm nur: Während der eine Tatbestand, die Armut, verhüllt wird, kriegen | |
| die Betroffenen freundlich lächelnd ein zweites Stigma verpasst, indem die | |
| Nebenwirkung dieses verbalen Placebos darin besteht, die Armen in die Nähe | |
| des Un- und Asozialen zu rücken. | |
| Es gibt nicht nur die Sklavensprache, weil sich die Untergebenen zu einer, | |
| ihre wahren Ansichten kaschierenden Ausdrucksweise gezwungen sehen, sondern | |
| auch die Herrschaftssprache, die die wirklichen Machtverhältnisse | |
| verschleiert. Um den Leuten weiszumachen, dass sie nicht Zwangsmaßnahmen | |
| erfüllen – also regiert, geschurigelt und buchstäblich über Gebühr | |
| ausgenommen werden –, heißen Bürgerämter in Köln und Hamburg | |
| „Kundenzentren“ und die Einwohnermeldeämter in Jena und Freiburg | |
| „Bürgerservice“, obwohl der Service der Verwaltung, der Exekutive, der | |
| Polizei dient und gegebenenfalls den Adressenhändlern. | |
| Nicht minder verlogen ist die Umbenennung der Gebühreneinzugszentrale GEZ | |
| in „Beitragsservice“ oder des Arbeitsamtes in eine „Agentur für Arbeit�… | |
| dass, was einst ein ehrliches Kriegsministerium war, heute als | |
| „Verteidigungsministerium“ firmiert, stößt den wenigsten noch auf. Auch an | |
| Wörter wie „Konflikt“, „humanitärer Einsatz“, „friedensstiftende“… | |
| „friedenserhaltende Maßnahme“ hat man sich gewöhnt; „Krieg“ führen | |
| Bösewichte. | |
| Man möchte über diese Beispiele gähnen, so banal sind sie geworden. | |
| Gleichwohl sorgen manche gut bekannte verbale Nebelkerzen immer wieder für | |
| Freude – die Sprache der Arbeitszeugnisse etwa. „Herr Riedl verfügt über | |
| Fachwissen und ein gesundes Selbstvertrauen. Besonders hervorzuheben sind | |
| seine zwischenmenschlichen Kontakte zu allen Altersgruppen“ bedeutet: | |
| „Herrn Riedls Fachwissen ist schwach bei maßloser Selbstüberschätzung. Er | |
| war rotzfrech und beleidigte jeden, wo er nur konnte. Außerdem hat er ein | |
| Faible für Minderjährige.“ | |
| Meistens ist das Schönreden so alltäglich, dass man es kaum noch | |
| registriert. Fußballtrainer werden „beurlaubt“, Arbeiter „freigestellt�… | |
| Arbeitslose zu „Kunden“ des Jobcenters, und wenn ein Unternehmen | |
| Massenentlassungen plant, handelt es sich um ein „Gesundschrumpfen“ – als | |
| seien die Beschäftigten überflüssiges Fett oder ein bösartiger Tumor. | |
| Eher ist das Wirtschaftssystem schwer krank, das scheinbar auf fairen | |
| „Wettbewerb“ und tatsächlich auf knüppelharte Konkurrenz setzt. Und aprop… | |
| „die Wirtschaft“: Dieses und „die Industrie“ sind Wörter, die oft syno… | |
| für die Kapitalseite stehen, während die zig Millionen Arbeiter, | |
| Angestellten und Scheinselbstständigen ignoriert werden. | |
| „Wirtschaft verärgert über die Große Koalition“, wusste die Hannoversche | |
| Allgemeine Zeitung über Angela Merkels „Treffen mit den vier | |
| Spitzenverbänden der Wirtschaft“ im März, mit BDI, BDA, DIHK und ZDH. Der | |
| DGB zählt nicht dazu; der vertritt in der patriarchalischen „Wirtschaft“ | |
| bloß die Unmündigen. | |
| Was die Herrschaft von Leuten hält, deren Interessen ihr im Weg stehen, | |
| illustriert die globalisierungsfreundliche Formulierung von der | |
| „Angleichung“ oder „Harmonisierung“ des Rechts, was eine liebliche | |
| Umschreibung für dessen Abbau ist. Verantwortlich ist dafür niemand, weil | |
| es um die Sache (Neusprech: „die Menschen“) geht. | |
| Überhaupt, was heißt schon „verantwortlich“? Der moderne Trick besteht | |
| darin, von „Verantwortlichkeit“ zu reden. Während man „Verantwortung“ … | |
| eine Handlung trägt und womöglich zur Rechenschaft gezogen wird, bezeichnet | |
| die „Verantwortlichkeit“ bloß die Zuständigkeit. | |
| Aus ähnlichem Grund tritt an die Stelle des „Verantwortlichen“, der für | |
| sein Tun haftbar ist, der „Entscheidungsträger“, der einen schweren Job | |
| hat, weshalb man es ihm nachsehen muss, wenn er eine falsche Entscheidung | |
| getroffen hat – zumal wenn der Unglückliche keine Wahl hatte, weil die | |
| Entscheidung „alternativlos“ war und die Kritiker deshalb besser ihren | |
| Schnabel halten. | |
| Nun gibt es allerdings immer Alternativen – wer das abstreitet, ist | |
| entweder dumm oder gemeingefährlich. Trifft beides zu, handelt es sich um | |
| die Regierung. | |
| 5 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Köhler | |
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