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# taz.de -- Autobiografie der Sonic-Youth-Bassistin: Der Sound für die Ewigkeit
> In „Girl in a band“ erzählt Kim Gordon vom Urknall des New Yorker
> Postpunk, von erlittenen Verletzungen und vor allem: nicht nur über
> Musik.
Bild: „Ich bin keine Musikerin.“: Kim Gordon auf dem Cover ihres Buches.
Sie verabschiedeten sich für die Ewigkeit. „The Eternal“ hieß das letzte
Studioalbum von Sonic Youth aus dem Jahre 2009. Es war Sänger und Gitarrist
Thurston Moore, der diesen Titel vorschlug. „Vielleicht wusste er, dass es
unser letztes Album als Band sein würde“, schreibt Kim Gordon, Bassistin
und Moores langjährige Partnerin, über das finale Werk der New Yorker
Band-Institution.
Vielleicht aber ergeben Bandname und Albumtitel zusammen auch eine Art
Kurzzusammenfassung dessen, worum es bei Sonic Youth im Kern ging: sich den
Sound der Jugend zu bewahren. Auf ewig.
Kim Gordon beschreibt in ihrer Autobiografie punktgenau, welche Hoffnung
die Band für deren Fans symbolisierte; eine Band, in der sie gemeinsam mit
Ehemann Moore mehr als 30 Jahre lang spielte: Bloß nicht auf dieselbe Art
und Weise alt werden wie die eigenen Eltern! Das Feuer in sich, den Glauben
an sich bewahren, egal ob man nun 40, 50 oder 60 ist. Und der eigene
Nachwuchs? Daraus werden „Rock-’n’-Roll-Kids“, wie Gordon schreibt.
So weit die eine große Hoffnung. Es gab aber noch eine andere. Denn für die
Postpunk-Generation repräsentierten Gordon und Moore, die seit 1984
verheiratet waren, gleichzeitig das ideale Paar. Diese Langzeitliebenden
des Schrammelrock schienen wie ein leuchtendes Exempel des erstrebenswerten
Lebens, weil sie es schafften, Kunst, Alltag und Familie so perfekt
miteinander zu verbinden (die gemeinsame Tochter Coco ist übrigens heute 20
Jahre alt und hat eine eigene Band).
Sie waren ein Beispiel für selbstbestimmtes Leben und Arbeiten – und
machten dabei auch noch Musik, die ebenso wenig zu altern schien wie sie
selbst. Dieser Traum zerbrach, als sich Gordon und Moore vor gut drei
Jahren trennten, nachdem Moore eine Affäre mit einer anderen Frau hatte.
Das war nicht nur das Ende einer idealisierten Beziehung. Es war auch das
Ende von Sonic Youth. Das letzte Konzert der Band im brasilianischen São
Paulo Ende 2011, dieses merkwürdige Nebeneinander auf der Bühne mit dem ihr
fremd gewordenen Mann, markiert auch den Ausgangspunkt von „Girl in a
band“, dem Buch, mit dem Gordon nun die Geschichte der Band und ihrer
Beziehung aus ihrer Sicht Revue passieren lässt.
## Mehr als nur ein Girl in einer Band
Der Titel, der auch bei der Anfang April erscheinenden deutschen Ausgabe so
lauten wird, ist deshalb etwas missverständlich, weil Gordons Wirken als
Frau in einer Rockband zwar Thema ist – aber nicht das zentrale. Gordon,
Jahrgang 1953, rollt ihre eigene Familiengeschichte auf; beschreibt, wie
sie zunächst zur bildenden Kunst kam und dort Outsiderin blieb, ehe sie in
der New Yorker Musikszene der Spätsiebziger und Frühachtziger mit Postpunk
und No Wave in Berührung kam.
Es geht ihr aber eben nicht nur um Band und Beziehung, sondern auch um
weitere Kunstprojekte, um das Gründen eines eigenen Modelabels (X-Girl), um
US-Popkulturgeschichte, um ihre Rolle als Mutter. Die in Los Angeles (und
kurzzeitig in Hongkong) aufgewachsene Künstlerin, die heute gemeinsam mit
dem Jazzmusiker Bill Nace als Body/Head Musik macht, skizziert vor allem
die Beziehungen zu den Männern in ihrer Familie ausführlich.
Sie beschreibt das gute Verhältnis zu ihrem Vater, einem
Soziologieprofessor, der sie später an William S. Burroughs erinnern soll –
und vor allem die schwierige Beziehung zu ihrem Bruder Keller, bei dem im
Erwachsenenalter Schizophrenie diagnostiziert werden sollte. Dank der
Jazz-Platten ihres Vaters, dank Joni-Mitchell- und Marianne-Faithfull-Alben
im Elternhaushalt kommt sie zur Musik. Als Urknall für alles, was Sonic
Youth auszeichnete, sieht sie aber erst Punk und Postpunk, die Negation von
Virtuosität und den Glauben an die Kraft des eigenen Ausdrucks.
So wundert es den Leser auch gar nicht so sehr, dass Gordon nach 30 Jahren
Sonic Youth von sich selbst sagt: „Ich bin keine Musikerin.“ Denn mit einem
Satz, den Gordon 1983 in einer Zeitschrift für Kunstkritik schrieb und den
sie hier ein weiteres Mal zitiert, beschreibt sie gut, wofür man Sonic
Youth mehr liebt als für Könnertum oder Rockposen: „Leute zahlen Geld, um
andere zu sehen, die an sich glauben.“
## Zerbrochene Liebe zu New York
Der Ort der musikalischen Initiation Gordons ist der Big Apple. Zwar hat
sie zuvor schon während ihres ersten Kunststudiums in Toronto eine Band
(Below The Belt) – das bankrotte und vor sich hin rottende, kreativ
brodelnde New York aber gibt erst den entscheidenden Input, um
durchzustarten. Hier gründet sie ihre frühe All-Girl-Performance-Band
Interjection, und hier stößt sie auf Moore, mit dem sie Sonic Youth ins
Leben ruft. Die Einfahrt nach Manhattan über den West Side Highway, die
Eindrücke des nervösen Gewusels auf der Straße beschreibt sie aus heutiger
Sicht so: „Ich erlebe immer noch den gleichen Kick wie 1980, als ich das
erste Mal über die Brücke nach Manhattan fuhr. Ich glaube, dieses Gefühl
werde ich wohl nie verlieren.“
Auch die Liebe zu New York aber soll im Laufe der Zeit zerbrechen. Heute
sei die Stadt eine der Geldmache, der kurzlebigen Hypes: „Alles, was Leute
fantastisch oder verblüffend nennen, hat eine Lebensdauer von ungefähr zehn
Minuten, bevor die Kulturszene sich zur nächsten Sache weiterbewegt.“
Die Bandgeschichte erzählt Gordon an den Sonic-Youth-Alben entlang. Oft bot
Literatur – etwa die Lektüre Philip K. Dicks bei dem fantastischen Album
„Sister“ (1987) – die Grundlage für die Themen der Gruppe. Gordon
verzichtet hier glücklicherweise auf allzu viele Band-Anekdoten; ihr liegt
mehr daran, herauszufinden, was Sonic Youth so besonders werden ließ, dass
sie jeder in den USA kannte, obwohl sie das Rockstar-Ding und dessen
Symbolik immer mieden. Und obwohl sie ihre Songs selten hittauglich und oft
dissonant waren.
Aber für alle, die des allzu simplen Punk überdrüssig waren, machte Sonic
Youth in den ersten Jahren – mit „Bad Moon Rising“, „Daydream Nation“…
„Goo“ – genau dieser Ansatz zu einer niederknienswürdigen Band. Und wie
sollten sie bitte sonst klingen, wenn nicht schräg, lärmig und
feedbackfreudig? „Unsere Musik ist realitätsnah, dynamisch, dissonant, weil
das Leben mit all seinen Extremen genauso ist“, sagten sie im Fall, dass
jemand fragte.
## Abrechnung mit Thurston Moore
Was das Scheitern der Beziehung zu Moore, dieser jahrelang so glücklichen
Koinzidenz von Liebe und Beruf, betrifft, findet Gordon zwar keine Antwort,
dafür liest sie in einem Zeitungsartikel über ihre Trennung die so banale
wie richtige Frage: „Warum sollten sie [Moore und Gordon] anders sein als
wir?“
Die Enttäuschung und tiefe Verletzung, die Gordon erfahren hat, als Moore
die Beziehung zu einer anderen Frau begann, kommt dann gegen Ende in zwei
Kapiteln ein bisschen zu stark zum Ausdruck – wo das Buch sonst durchweg
den Charakter einer Künstlerbiografie hat, trägt es hier Züge einer
Abrechnung. Und dennoch folgt man dieser Lebensgeschichte samt den Exkursen
dank eines einfachen, klaren Erzählstils und den sehr tiefen Einsichten in
den Charakter Gordons gern; selbst dann, wenn sie zuweilen wie ihre eigene
Therapeutin klingt. Auch der Szene-Klatsch – ihr Verhältnis zu Lydia Lunch
oder Courtney Love, was sie von Billy Corgan hält – ist stellenweise zu
ausführlich geraten.
Zum Ausklang beschreibt Gordon noch mal den Spirit, den die unabhängige
Musikkultur in den 80ern und 90ern vor allem in den Staaten hatte –
spätestens dann vergisst man die Schwächen des Buches schnell. Sie
schreibt, wie sie sich Kurt Cobain immer verbunden fühlte; es wird
deutlich, wie Figuren wie Gordon und Moore, Michael Stipe und J Mascis
wirklich eine andere Vorstellung von Rock prägten. Und die bleibt ja auch
für die Ewigkeit.
24 Mar 2015
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
New York
Autobiografie
Postpunk
Soul
Marokko
Schwerpunkt 1968
Gitarre
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