# taz.de -- Konsequenz aus Transplantationsbetrug: Wissenschaftler fordern Refo… | |
> Die Nationale Akademie der Wissenschaften empfiehlt, ein neutrales | |
> Institut zu gründen, das die Wartelisten und die Zuteilung der Organe | |
> überwacht. | |
Bild: Wer weiß, wohin die Götter in Grün diese Niere aus Salt Lake City tran… | |
BERLIN taz | Die Betroffenheit unter den Kollegen am Münchner | |
Universitätsklinikum rechts der Isar war groß, als der Betrug bei | |
Organtransplantationen aufflog: „Letztlich gestand Dr. B., dass er | |
wissentlich falsche Werte an Eurotransplant geschickt habe, um für die | |
Patienten K. und H. einen möglichst hohen MELD-Score zu erlangen, um diese | |
so schnell wie möglich transplantieren zu können“, erinnert sich ein Arzt | |
des Klinikums in einem Gedächtnisprotokoll von Januar 2010. Und: „Der | |
naheliegende Umstand, dass Herr Dr. B. am Freitag wissentlich Blut bei | |
einem schwer leberkranken Patienten entnahm und vorsätzlich die Laborzettel | |
falsch beklebte, ließ sich zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig klären.“ | |
2012 waren Manipulationen an mehreren deutschen Unikliniken öffentlich | |
geworden. Die internen Protokolle beschäftigen inzwischen auch die Justiz: | |
Im Februar hat die Münchner Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen | |
Oberarzt B. wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung Anklage erhoben. | |
Vor dem Landgericht Göttingen muss sich ein früherer | |
Transplantationschirurg wegen versuchten Totschlags verantworten. In | |
Leipzig und Regensburg wird in ähnlichen Verdachtsfällen gegen Mediziner | |
ermittelt. | |
Es ist einer der größten Medizinskandale der Bundesrepublik, doch | |
politische Konsequenzen gab es bislang kaum. | |
Nun erklärt eine Expertengruppe der Nationalen Akademie der Wissenschaften, | |
Leopoldina: „Die Transplantationsmedizin in Deutschland bedarf dringend | |
einer verbesserten und effektiveren Struktur.“ Die elfköpfige Gruppe aus | |
Medizinern, Ethikern, Juristen und Philosophen hat am Mittwoch ein | |
„Positionspapier Transplantationsmedizin und Organallokation in | |
Deutschland“ veröffentlicht – „als Anregung für notwendige weitere | |
Diskussionen in Politik und Öffentlichkeit“. | |
Die Leopoldina ist nicht irgendwer. Hier sind die Topwissenschaftler | |
Deutschlands versammelt. Und so kommt die Kritik am bisherigen System, in | |
freundlichem Akademikerdeutsch formuliert, einem Paukenschlag gleich: | |
Mitverantwortlich für die Misere seien die Organisationsstrukturen der | |
Verteilung und Vergabe von Spenderorganen und deren Kontrolle – namentlich | |
die Bundesärztekammer mit ehrenamtlich wirkenden Expertinnen und Experten: | |
„Dieses System stößt an Grenzen“, warnen die Autoren um die Münsteraner | |
Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert, den emeritierten Freiburger | |
Chirurgieprofessor Rüdiger Siewert und den Düsseldorfer Philosophen Dieter | |
Birnbacher. Die Leopoldina will die Bundesärztekammer kaltstellen und | |
„empfiehlt“ stattdessen „die Einrichtung einer neutralen und unabhängigen | |
Institution für die Organisation und Qualitätskontrolle der | |
Transplantationsmedizin“. | |
## Wer entscheiden darf | |
Ziel dieser „(halb-)staatlichen Stelle auf Bundesebene“ sei, so die | |
Wissenschaftler, „die bestehenden personellen und institutionellen | |
Verflechtungen aufzulösen und mögliche Interessenkonflikte zu vermeiden“. | |
Auch bei der Frage, nach welchen Kriterien Spenderorgane künftig verteilt | |
werden sollen, hat die Bundesärztekammer aus Sicht der Leopoldina „ein | |
nicht von ihr selbst zu verantwortendes Legitimationsproblem“: | |
Verteilungsentscheidungen beinhalteten immer normative Wertungen, schreiben | |
die Experten: „Diese lassen sich weder durch objektive medizinische | |
Parameter regeln noch an einzelne Berufsgruppen oder Standesvertretungen | |
delegieren.“ Entsprechende „grundrechtsrelevante normative Regelungen“ | |
dürften überdies verfassungsrechtlich „nur von einer dazu demokratisch | |
legitimierten Institution vorgenommen werden“, kurz: durch das Parlament. | |
Die Wissenschaftler wollen auch die Rechte von Patienten stärken, die auf | |
die Warteliste für ein Spenderorgan aufgenommen oder von dieser gestrichen | |
werden. Diese müssten, weil ihnen oft nur eine geringe Lebenszeit | |
verbleibt, zeitnah „die Möglichkeit bekommen, diese Entscheidung durch eine | |
unabhängige Instanz überprüfen zu lassen“. Dazu sollte eine gesetzlich | |
festgelegte Instanz „für Eilentscheidungen zu Transplantationsfragen“ | |
eingerichtet werden. | |
Kritisch sieht die Leopoldina auch die hohe Zahl von | |
Transplantationskliniken: 47 Zentren seien zu viele. Eine Konzentration auf | |
weniger Kliniken sollte allerdings nicht von Mindestmengen an | |
Transplantationen bestimmt sein, sondern von der „Struktur-, Prozess- und | |
Ergebnisqualität eines Zentrums“. | |
Die Leopoldina nutzt ihre Rolle als Politikberaterin nicht zum ersten Mal: | |
Bereits im Streit über die Präimplantationsdiagnostik oder den | |
inflationären Einsatz von Antibiotika bezog sie eindeutig Position | |
zugunsten der betroffenen PatientInnen. Auf das neue Positionspapier | |
reagierten Bundesärztekammer, Bundesregierung und Parlament am Mittwoch bis | |
Redaktionsschluss mit – Schweigen. | |
26 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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