# taz.de -- Krise am Deutschen Herzzentrum: Ins Herz getroffen | |
> Das Deutsche Herzzentrum Berlin (DHZB) steht wegen Manipulationsvorwürfen | |
> in der Kritik. Ein neuer Chef soll jetzt das Vertrauen zurückgewinnen. | |
Bild: Das Organ, um das sich alles dreht: hier eines aus Kunststoff. | |
Es soll einen Neuanfang geben am Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB), vor | |
allem soll der neue Mann an der Spitze der international renommierten | |
Klinik zumindest an seinem ersten Arbeitstag geschont werden. Und deshalb | |
stellt die Sprecherin des DHZB klar – noch bevor der neue Direktor Volkmar | |
Falk am Mittwochmorgen überhaupt auch nur ein Wort sagen kann zu dem | |
verloren gegangenen Vertrauen, das er zurückgewinnen will –, „dass Herr | |
Professor Falk inhaltlich nichts sagen wird zu den Manipulationsvorwürfen | |
gegen das Deutsche Herzzentrum“. Im Übrigen, so die Sprecherin spitz, „ist | |
alles andere ja schon gesagt worden von der Bundesärztekammer“. | |
Wohl wahr. Am Dienstag, einen Tag vor Einführung des Herzchirurgen Falk als | |
Nachfolger des langjährigen DHZB-Direktors Roland Hetzer, haben die Prüfer | |
von Bundesärztekammer, Krankenkassen und Deutscher Krankenhausgesellschaft | |
ihren elfseitigen „Kommissionsbericht zur Überprüfung des | |
Herztransplantationsprogramms des DHZB“ ins Netz gestellt. Es ist eine | |
Schrift, die das Bild von der Spitzenmedizin, über jeden Zweifel erhaben, | |
das Roland Hetzer, einer der Gründungsväter der Herztransplantationen, von | |
seiner Klinik zu zeichnen versuchte, beschädigt: In 14 Fällen zwischen 2010 | |
und 2012 sollen Ärzte am DHZB Angaben über Daten ihrer herzkranken | |
Patienten gegenüber der Organvermittlungsstelle Eurotransplant absichtlich | |
gefälscht haben. | |
Diese „systematischen Manipulationen“, von denen die Bundesärztekammer | |
spricht, hätten dazu geführt, dass DHZB-Patienten auf der Warteliste für | |
ein lebensrettendes Spenderorgan womöglich nach oben gerückt wären, während | |
ebenfalls schwerstkranke Patienten andernorts womöglich starben. | |
Spenderherzen werden in Deutschland vor allem nach dem Kriterium der | |
Wartezeit vergeben. 2013 wurden 301 Herzen verpflanzt – so wenige wie | |
zuletzt vor 20 Jahren. | |
Das DHZB auf dem Charité-Gelände im Wedding hat sich wegen der Vorwürfe | |
bereits Ende August selbst angezeigt bei der Berliner Staatsanwaltschaft; | |
die Ermittlungen wegen versuchten Totschlags gegen eine Ärztin laufen. In | |
der Transplantationsszene wird dagegen spekuliert, ob das Zentrum mit der | |
Selbstanzeige die Flucht nach vorn antreten wollte. Zumal manche der | |
Vorwürfe umstritten sind. | |
## Streit über Dosierung | |
Der Reihe nach. In vier Fällen sollen die Ärzte die Dosierung sogenannter | |
Katecholamine gegenüber Eurotransplant höher angegeben haben als | |
tatsächlich verabreicht. Katecholamine sind Herz/Kreislauf unterstützende | |
Medikamente, die intensivmedizinisch betreuten Patienten in akut | |
lebensbedrohlicher Situation zur Stabilisierung gegeben werden. Und die – | |
neben einer Vielzahl anderer Faktoren – über die Dringlichkeit eines | |
Patienten mit entscheiden. In sechs weiteren Fällen soll die | |
Katecholamin-Gabe ohne medizinische Indikation, also unnötig erfolgt sein, | |
und zudem immer nur just zu dem Zeitpunkt, an dem der | |
Hochdringlichkeitsstatus überprüft werden musste. Es sei zwar medizinisch | |
begründbar, die Medikamente nicht dauerhaft, sondern in zeitlichen | |
Abständen zu geben, sagte Hermann Reichenspurner, Organ-Sachverständiger | |
Herzen bei der Bundesärztekammer und Mitglied der Prüfungskommission, der | |
taz. „Auffällig ist dann aber, wenn die Gabe ausschließlich kurzfristig | |
rund um das Datum der Meldung zur hochdringlichen Listung erfolgt.“ | |
Daneben hat es laut Prüfbericht vier „Auffälligkeiten“ bei Patienten mit | |
Kunstherz gegeben. Wer mit einem solchen „kardialen Unterstützungssystem“ | |
lebt, hat angesichts der extremen Organknappheit überhaupt nur dann eine | |
Chance auf ein „echtes“ Spenderherz, wenn es erhebliche Komplikationen mit | |
dem Kunstherzen gibt, wenn etwa schwere Infektionen an den | |
Kabeleintrittsstellen auftreten oder wiederholte Schlaganfälle. Das DHZB | |
dagegen soll auch solche Kunstherzpatienten als hochdringlich eingestuft | |
haben, die unter keinen oder leichteren Komplikationen litten. | |
Die Auffälligkeiten mögen nachvollziehbar sein – aber sind sie deswegen | |
auch als Verstoß gegen die Richtlinie zur Vergabe von Spenderherzen zu | |
werten? Die Richtlinie selbst legt keine Grenzwerte fest, ab welcher | |
Katecholamin-Dosierung der Status eines Patienten als hochdringlich gelten | |
soll. Diese Werte, das bestätigte die Vorsitzende der Prüfungskommission, | |
Anne-Gret Rinder, der taz, seien ausschließlich in einem „Manual“ der | |
Vergabestelle Eurotransplant beschrieben. Dieses allerdings dürfte kaum | |
normativen Charakter besitzen. Der Herzspezialist Reichenspurner sagt: „Das | |
ET-Manual ist formal nicht Bestandteil der Richtlinien zur | |
Herztransplantation, aber eben nur formal. In der Praxis richten sich die | |
Ärzte und Auditoren nach den im ET-Manual festgelegten Werten.“ | |
Zuletzt hatte im Juli 2014 die Staatsanwaltschaft Münster in einem | |
ähnlichen Fall – es ging um Manipulationsvorwürfe gegen die Uniklinik | |
Münster bei der Vergabe von Spenderlebern – die Ermittlungen mit der | |
Begründung eingestellt, die Richtlinien seien „nicht eindeutig“. | |
Im Fall der Herzen kommt hinzu: Über lange Zeit galten sie in | |
Transplantationskreisen als Organe, bei deren Zuteilung vergleichsweise | |
schwierig zu manipulieren sei. Denn über ihre Vergabe entscheiden – im | |
Gegensatz etwa zu den Lebern, deren Zuteilung von bloß drei Laborwerten | |
abhängt – ein Strauß von Parametern. So müssen behandelnde Ärzte gegenüb… | |
Eurotransplant neben einer Stellungnahme zu dem Patienten Informationen zu | |
seinem klinischen Zustand liefern sowie Labor-, Röntgen-, | |
Echokardiografie-Befunde und Verlaufskurven abliefern. | |
Herzspezialist Reichenspurner stellt klar: „Im Gesamtbild kann die Gabe | |
eines einzelnen Medikaments ausschlaggebend dafür sein, ob ein Patient auf | |
hoher Dringlichkeit gelistet wird.“ Der formale Beschluss über die | |
Einstufung eines Patienten als hochdringlich aber erfolge „über drei | |
internationale, unabhängige Auditoren“. Doch diesen unabhängigen Gutachtern | |
fielen die jetzt erhobenen Täuschungsvorwürfe offenbar auch nicht auf. | |
1 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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