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# taz.de -- Essay Reparationen und Schuldenabbau: Das Geld ist längst weg
> Wer Geld für die Vergangenheit verlangt, ruiniert die Wirtschaftsleistung
> der Zukunft. Darum kann auch Griechenland die Schulden nie begleichen.
Bild: Politik als Karikatur: Merkel auf den Schultern von Griechenlands Ex-Prem…
Wissen die Griechen nicht, in welchem Jahrhundert sie leben? Sie fordern
Reparationen von 278,7 Milliarden Euro, obwohl die Besatzung der
Nationalsozialisten nun über siebzig Jahre her ist. Viele Deutsche wollen
ihre moralische Verantwortung nicht negieren, aber ökonomisch erscheint
ihnen diese Rückkehr in die Vergangenheit unsinnig. Man müsse sich jetzt um
die Eurokrise kümmern, das sei das Problem der Gegenwart!
Doch so einfach ist es nicht. Die Griechen haben, vielleicht unbewusst,
einen zentralen Punkt getroffen: Auch bei der Eurokrise geht es derzeit nur
um die Vergangenheit, nicht um die Zukunft. Die Debatten drehen sich
permanent um die Schulden, die die Krisenländer zurückzahlen sollen.
Diese Kredite stehen zwar jetzt noch in den Büchern, trotzdem handelt es
sich um einen Zahlungsvorgang aus der Vorzeit. Deutsche oder französische
Banken haben Geld geliehen – und Griechen oder Portugiesen haben es gern
entgegengenommen. Der Rest ist Geschichte.
Moralisch sind Geldschulden und Reparationen zwar unvergleichlich, weil man
Kredite nicht gegen Millionen Tote aufrechnen kann. Aber ökonomisch ist das
Problem identisch: Wer Geld für die Vergangenheit verlangt, ruiniert die
Wirtschaftsleistung der Zukunft. Am Ende sind alle ärmer – nicht nur die
Schuldner.
Um zunächst bei den deutschen Reparationen zu bleiben: Auf der
Schuldenkonferenz in London 1953 wurde die Gefahr klar erkannt, dass man
von Deutschland keine Milliardensummen verlangen konnte, ohne Europa in den
Abgrund zu reißen. Also wurde die Reparationsfrage vertagt, bis ein
vereinigtes Deutschland einen Friedensvertrag abschließen würde. Als es
dann 1990 so weit war, hat man beim „2-plus-4-Vertrag“ getrickst, damit
dieser nicht wie ein Friedensvertrag aussah.
## Lehren aus Versailles
Deutschland kam etwas zu billig weg, denn einige Milliarden an Reparationen
hätte es ruhig noch zahlen können – aber keine gigantischen Summen. Wie
sinnlos und gefährlich Reparationen sind, weiß man seit dem Ersten
Weltkrieg. Im Friedensvertrag von Versailles wurde 1919 festgelegt, dass
Deutschland 132 Milliarden Goldmark aufbringen sollte. Bis heute ist
umstritten, wie viel Deutschland am Ende tatsächlich gezahlt hat.
Die Schätzungen schwanken zwischen 20,8 und 67,7 Milliarden Goldmark, je
nachdem ob es sich um alliierte oder deutsche Quellen handelt. Doch was
immer das Deutsche Reich überwiesen hat: Faktisch besaß es dieses Geld
nicht und lieh sich die nötigen Summen in Amerika.
## Utopische Exportsteigerungen
Hätte Deutschland nämlich die Reparationen aus eigener Kraft zahlen sollen,
hätte es ebenso hohe Exportüberschüsse benötigt. Dies war sowieso utopisch,
wäre aber in jedem Fall auch daran gescheitert, dass weder Engländer noch
Franzosen große Mengen an deutschen Waren in ihre Absatzgebiete lassen
wollten, weil dies ja heimische Arbeitsplätze gekostet hätte.
Wenn sich jedoch die Reparationen nicht durch Exporte verdienen ließen,
dann blieb den Deutschen nur, dass sie die Kredite bei den Alliierten
aufnahmen, um anschließend genau dieses Geld wieder an die Alliierten
zurückzuüberweisen. Letztlich bezahlten also die USA die deutschen
Reparationen, wie die Amerikaner verspätet selbst bemerkten.
Genau der gleiche absurde Kreisverkehr von Krediten ist jetzt in der
Eurokrise zu beobachten: Die Krisenländer sollen ihre Schulden bei der
Troika abbauen, was nur möglich wäre, wenn sie ihre Ausfuhren gigantisch
steigern könnten. Doch wohin sollten sie exportieren? Ganz bestimmt nicht
nach Deutschland, das selbst „Exportweltmeister“ bleiben will. Und so dreht
sich das Schuldenkarussell: Die Griechen nehmen neue Kredite bei der Troika
auf, um ihre alten Kredite bei der Troika zu begleichen.
## Der Schuldenstand bleibt
Bei den Portugiesen und Iren sieht es an der Oberfläche etwas besser aus,
läuft aber faktisch genauso. Sie ersetzen ihre alten Troika-Kredite, indem
sie sich auf den „Kapitalmärkten refinanzieren“, sich also wieder an die
Banken wenden. Doch am Schuldenstand ändert sich nichts.
Viele Deutsche ahnen instinktiv, dass die Krisenländer ihre Schulden
niemals komplett zurückzahlen können. Aber vielleicht könnten sie die
Darlehen ja wenigstens ein bisschen abstottern? Als Zeichen guten Willens?
Doch diese Hoffnung können sich die Deutschen schenken. Umgangssprachlich
gesagt: Das Geld ist längst weg.
Es mag merkwürdig erscheinen, dass Geld einfach verschwinden kann. Daher
ein kleiner Rückblick: Der griechische Staat hat die Kredite aufgenommen,
um unter anderem eine aufgeblähte Armee zu finanzieren, Olympia
auszurichten, großzügig Beamte einzustellen und zu hohe Renten zu zahlen.
Er hat also vielen Griechen ein Einkommen verschafft, die damit wiederum
Häuser gebaut, Autos geordert und Swimmingpools angeschafft haben.
Zusammengefasst: Der griechische Staat hat mit seinen Krediten letztlich
Konsumausgaben finanziert – und nicht in Exportunternehmen investiert.
Pools und Autos generieren keine Einnahmen, mit denen sich Kredite
zurückzahlen ließen. Im Frühjahr 2010 war nicht mehr zu kaschieren, dass
das Land überschuldet ist, und seither ist die Krise akut.
## Zu jedem Kredit gehören zwei
Den Griechen wird gern vorgeworfen, sie hätten „über ihre Verhältnisse“
gelebt. Dieser moralische Vorwurf ist schon deshalb falsch, weil zu jedem
Kredit zwei gehören. Nicht nur ein Schuldner, sondern auch ein Gläubiger.
Niemand hat die französischen oder deutschen Banken gezwungen, dem
griechischen Staat Geld zu leihen. Zudem haben EZB und Bundesbank versagt
und die Gefahren der exzessiven Kreditvergabe nicht rechtzeitig erkannt.
Die Eurokrise ist keine Krise Griechenlands – sie ist eine gemeinsame
Krise.
Vor allem verkennen diese moralischen Debatten aber, wie gefährlich es ist,
wenn eine ganze Gesellschaft anfängt, Schulden tatsächlich zurückzuzahlen,
und sei es „nur ein bisschen“. Dann kollabiert die Wirtschaft. Wer Kredite
tilgt, kann nicht konsumieren. Die Nachfrage sinkt, der Absatz der Firmen
geht zurück, die Arbeitslosigkeit steigt. Es setzt eine Spirale nach unten
ein.
Der Staat ist keine schwäbische Hausfrau. Es ist unschädlich, Kredite
zurückzuzahlen, solange es nur einzelne Familien oder Betriebe tun – und es
andere Haushalte und Firmen gibt, die Darlehen aufnehmen. Dann bleibt die
Nachfrage gleich. Der Schuldenabbau wird jedoch zur ökonomischen
Katastrophe, wie jetzt in den Krisenländern, wenn der Staat und die
Privathaushalte alle gleichzeitig versuchen, ihre Kredite zu tilgen. Man
darf Volkswirtschaft nicht mit Betriebswirtschaft verwechseln.
## Virtuelles Vermögen
Viele Menschen glauben, Geld mache reich. Kein Irrtum könnte größer sein.
Das Finanzvermögen ist rein virtuell und zunächst nur eine Computerzahl auf
einem Konto. Es ist die Kehrseite der Schulden, die ein anderer hat. Der
eigentliche Wohlstand einer Gesellschaft sind die realen Waren und
Dienstleistungen, die sie jährlich produziert – auch „Wirtschaftsleistung�…
genannt. Nur diese Güter existieren wirklich, sie sind die Gegenwart.
Doch in Europa ist ein seltsames Phänomen zu beobachten: Um die Schulden
der Vergangenheit zurückzuzahlen, wird die Wirtschaftsleistung der
Gegenwart abgewürgt. Die Eurozone verabsolutiert Geld, das längst weg ist,
und ruiniert den Wohlstand, der möglich wäre. Die Krisenländer leiden
besonders, aber auch die Bundesrepublik bleibt weit hinter den
Wachstumsraten zurück, die sie haben könnte.
Es ist merkwürdig. Die Deutschen finden es selbstverständlich, dass sie
nach dem Zweiten Weltkrieg kaum Reparationen abführen mussten, weil es
ökonomisch unmöglich gewesen wäre. Aber sie wollen nicht verstehen, dass
genau die gleichen wirtschaftlichen Zusammenhänge erklären, warum die
Krisenländer ihre Schulden nicht zurückzahlen können.
12 Apr 2015
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
## TAGS
Volkswirtschaft
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Reparationszahlung
Schulden
Griechenland
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