# taz.de -- Vegane Hauptstadt: Gemüse läuft gut | |
> Berlin war schon zu Kafkas Lebzeiten Eldorado für Vegetarier. Heute | |
> freuen sich hier Veganer aus ganz Europa über tierproduktefreie Menüs, | |
> Eisbecher – und Burger. | |
Bild: Vegane Spinatsuppe | |
Zu Studienzeiten hatte ich einen Freund, nennen wir ihn Klaus. Klaus trug | |
ausschließlich Schwarz, lebte in einer antifaschistischen Wohngemeinschaft | |
und war radikaler Veganer. Klaus fand vieles schlimm: Burger aus Rindern, | |
die mit ihren Fürzen das Weltklima zerstörten, Frühstückseier, die den | |
Hühnern unterm Hintern weggeklaut wurden. Auch Lederschuhe und Wollpullis | |
lehnte er ab. Nur Berlin fand Klaus super. Regelmäßig reiste er aus Leipzig | |
dorthin, um sich mit veganen Spingerstiefeln, veganen Kochbücher und | |
veganem „Ghee“- Butterschmalz einzudecken. | |
Klaus ging es also gewissermaßen wie Franz Kafka (1883–1924). Auch der | |
Prager Schriftsteller und strenge Vegetarier liebte Berlin, weil es dort so | |
viele Angebote für Fleischverächter wie ihn gab. 1910 schrieb er begeistert | |
an einen Freund: „Nichts ist so gut wie das Essen hier im vegetarischen | |
Restaurant. (…) Es ist hier so vegetarisch, dass sogar das Trinkgeld | |
verboten ist.“ Um die 140 vegetarische Restaurants soll es schon damals in | |
Berlin gegeben haben. | |
Die Hauptstadt des deutschen Kaiserreichs war auch die Hauptstadt der | |
Lebensreformbewegungen: Die Wandervögel gründeten sich hier, in | |
Gartenstädten und Freiluftbädern wurden das naturnahe Leben und die | |
Freikörperkultur gepflegt. Der Verzicht auf Fleisch gehörte mit zum | |
gesunden Lebensstil der urbanen Trendsetter. | |
Heute ist Berlin europäische Veganer-Hauptstadt. Nirgendwo sonst ballen | |
sich so viele Angebote für Menschen, die der Tierschutz, die globale | |
Ressourcenknappheit oder die Gesundheit bewogen haben, auf tierfrei | |
hergestellte Produkte zurückzugreifen. Kafka und Klaus waren nur die | |
Vorhut. | |
Längst sind es nicht mehr nur Asketen, Gesundheitsapostel und | |
Linksradikale, die Tofuschnitzel essen und Pflanzensaft trinken. Vegan zu | |
leben ist ein gesamtgesellschaftlicher Megatrend – grüne Smoothies und | |
Milchkaffee mit Sojamilch werden auch von Menschen geschätzt, die nicht die | |
Welt verbessern, sondern nur sich selbst mal was Gutes tun wollen. Oder | |
sich selbst, mit einem Stück Apfeltarte neben dem aufgeklappten Laptop im | |
Straßencafé, als Avantgarde inszenieren. | |
Mehr als 200 Restaurants, Imbisse und Eiscafés sowie 100 Supermärkte, Mode- | |
und Drogerieläden zählt die Handy-App „Berlin-Vegan-Guide“. Fast jede Woc… | |
machen in den Innenstadtbezirken zwei, drei neue vegane Cafés oder Läden | |
auf. Bier, Milchkaffee, Hosen oder Gesichtscreme – tierfrei hergestellte | |
Produkte gibt es mittlerweile in jeder Qualität, für jeden Geldbeutel. Den | |
„Reis-mit-Scheiß“-Teller für 1,50 Euro im Hausprojekt um die Ecke gibt es | |
natürlich immer noch. Genauso aber das schicke Mitte-Restaurant, in dem man | |
Riesling-Senf-Suppe und getrüffelte Serviettenknödel mit Bio-Wein | |
herunterspülen kann. Oder das Veggie-Schnitzel mit Pommes, den | |
ayurvedischen Mittagstisch, den veganen Eisbecher… | |
11 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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