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# taz.de -- Die Wahrheit: Zensur jenseits von Gut und Böse
> „Was Zensoren verstehen, wird zu Recht verboten“, sagte er am
> Frühstückstisch, und die Freundin wählte eine deutliche Sprache in ihrer
> Antwort.
Bild: Iranische Journalisten hatten es ohnehin schon nicht leicht – das Foto …
Wieder mal beginnt eine Geschichte am Telefon, nicht zu ändern. Immerhin
endet sie knapp am Doppelbett vorbei.
Neulich rief mich jemand unter genau der Festnetznummer an, die ich in
meiner Eigenschaft als „Creative Consultant“ verwende. Per altertümlichem
Telefon wohlgemerkt, denn das wird von den diversen Geheimdiensten weniger
konsequent überwacht als die digitalen Galaxien.
Der Mann bedankte sich für meine Beratung. Er arbeitet im Amt für
Fremdenverkehrswesen in der Stadt X. Über zwei Ecken war mir zugetragen
worden, man wolle dort demnächst „Erlebnispakete“ einrichten als Slogan f�…
günstige touristische Angebote. Nichts da, hatte ich ihn wissen lassen, tun
sie es nicht! Denn im Unbewussten der möglichen Kunden würden die Synapsen
im Hirn unmerklich die Wendung „Jeder habe sein Päckchen zu tragen“
einschalten! Und das verheiße Last, Gram, Leid. Das schwinge in den
„Erlebnispaketen“ mit, die demnach mehr einer Bürde gleichen. Zumal das
Erdendasein uns bekanntlich auch schreckliche Erlebnisse beschert. Die
Verkaufszahlen der „Erlebnispakete“ der Tourismuszentralen im Erzgebirge,
in Cuxhaven, Ludwigsburg und Hannover sprächen eine deutliche Sprache.
Zum Schluss kündigte ich ihm meine Rechnung an, und das war’s.
Beziehungsweise die letzten beiden Worte setzten andere Synapsen in
Bewegung: deutliche Sprache.
Ein Artikel des Schriftstellers Amir Hassan Cheheltan in der FAZ hatte mir
zu denken gegeben. Er berichtete über die Zensur im Iran, die bis vor
Kurzem nicht so hieß, sondern „Unterscheidung zwischen Gut und Böse“. Sie
habe die Autoren dazu erzogen, Romane nur in geschlossenen Innenräumen
spielen zu lassen. „Es geht darum, die Erzählung … auf Küche und Wohnzimm…
zu beschränken. In der Romanwohnung … ist kein Bedarf für Toilette, Bad und
Schlafzimmer“. Von dem, was dort geschieht, dürfe der Roman nicht
berichten.
Als ich es meiner Freundin während des Frühstücks vorlas, meinte sie: „Na
und? Dann würden die Protagonisten in meiner Romanwohnung halt im
Wohnzimmer oder in der Küche vögeln!“
Ich sagte: „Nee, das ist, glaube ich, nicht der Kern, die Lösung des
Problems. Etwas später heißt es, wenn in einem Roman ein Mann eine Frau
berührt, werde er der Unsittlichkeit angeklagt und die betreffende Stelle
aus dem Text entfernt.“ Um originell zu wirken, fügte ich ein ungenaues
Zitat von irgendwoher an: „Was Zensoren verstehen, wird zu Recht verboten.“
Dies oder die vergangene Nacht oder was auch immer schien meine Freundin in
Unmut zu versetzen. Abrupt spitzte sich die Szene zu, als sie erwiderte:
„Bevor du jetzt die Quelle hervorkramst, deine vorgebliche Belesenheit
illuminierst: Es kotzt mich an, um es gelinde auszudrücken.“
Eine deutliche Sprache, immerhin. Sie fuhr davon wie auf Nimmerwiedersehen,
ich setzte mich an den Schreibtisch meiner Romanwohnung jenseits von Gut
und Böse. Die Festnetznummer läutete … nicht.
7 May 2015
## AUTOREN
Dietrich zur Nedden
## TAGS
Literatur
Beziehung
Zensur
Schwerpunkt Iran
Theorie
Flüchtlinge
Thesen
Gaststätten
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