| # taz.de -- 100 Tage Tsipras-Regierung: Kühne Pirouetten am Abgrund | |
| > Seit 100 Tagen führt Alexis Tsipras die Regierung in Griechenland. Seine | |
| > Bilanz ist mager. Welche Wende kann jetzt kommen? | |
| Bild: Alexis Tsipras steht unter Druck. | |
| ATHEN taz | Es war die Chance für einen Neuanfang: Nur wenige Tage nach | |
| seinem fulminanten Wahlsieg am 25. Januar kündigte Alexis Tsipras eine neue | |
| Politik an, in der die Bedürfnisse der Ärmsten Priorität hätten. Da waren | |
| viele Linkswähler auch bereit zu verzeihen, dass Tsipras ausgerechnet die | |
| rechtspopulistische Splitterpartei „Unabhängige Griechen“ zum | |
| Koalitionspartner kürte. | |
| Es gehe darum, die humanitäre Krise im Land zu beseitigen, versprach der | |
| Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung Anfang Februar. Die dafür | |
| erforderlichen elf Milliarden Euro würden durch Umschichtungen im | |
| Staatshaushalt freigestellt. Zudem würde der Mindestlohn auf | |
| Vorkrisenniveau steigen, der Steuerfreibetrag auf 12.000 Euro angehoben und | |
| die von der konservativen Vorgängerregierung eingeführte „einheitliche | |
| Immobiliensteuer“ (Enfia) abgeschafft. | |
| Nach 100 Tagen muss man feststellen, dass die Regierungsbilanz mager | |
| ausfällt. Zwar verabschiedete Tsipras gleich als Erstes ein „Gesetz zur | |
| Bewältigung der humanitären Krise“. Allerdings waren dort lediglich | |
| Lebensmittelmarken für Bedürftige und weitere Sofortmaßnahmen in Höhe von | |
| 200 Millionen Euro vorgesehen. Die Summe wirkt bescheiden, wenn man | |
| bedenkt, dass wenig später über 500 Millionen für einen Rüstungsdeal des | |
| rechtspopulistischen Verteidigungsministers zur Verfügung standen. | |
| Ansonsten gilt: Die Erhöhung des Mindestlohns wird auf 2016 verschoben, von | |
| Steuererleichterungen ist kaum die Rede und die Enfia-Steuer bleibt vorerst | |
| in Kraft. | |
| Vielleicht wäre vieles anders gekommen, wenn die Athener Regierung und die | |
| Gläubiger Griechenlands eine endgültige Einigung über die weitere | |
| Finanzierung des Krisenlandes erzielt hätten. Dass Tsipras direkt nach der | |
| Wahl von seiner Maximalforderung nach einem Schuldenerlass abrückte, war | |
| den Kreditgebern offenbar nicht genug. Sie drängten zur Erfüllung aller | |
| Zusagen der konservativen Vorgängerregierung, worauf sich Tsipras auf die | |
| eigenen roten Linien versteifte: keine neuen Lohnkürzungen, keine | |
| Massenentlassungen, keine Rentenreform. „Es kann nicht sein, dass | |
| ausgerechnet wir Reformen durchführen, mit denen die Konservativen | |
| gescheitert sind“, mahnte er immer wieder. | |
| ## Ergebnislose Suche nach alternativen Geldquellen | |
| In seiner Regierungserklärung stellte Tsipras eine „politische Einigung | |
| innerhalb der europäischen Institutionen“ in Aussicht. Im Klartext: Man | |
| würde nicht (nur) über Zahlen, sondern auch über politische | |
| Zweckmäßigkeiten reden, nicht nur direkt mit Berlin, sondern über die | |
| EU-Kommission. Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Wohlwollende EU-Partner | |
| haben Tsipras klargemacht, dass Entscheidungen über Griechenland nur im | |
| Einvernehmen mit allen EU-Partnern getroffen würden. | |
| Ergebnislos blieb auch die Suche Athens nach alternativen | |
| Finanzierungsquellen in Russland, in China oder im Iran. Womit die Griechen | |
| dort sind, wo sie schon einmal vor der Wahl waren: Man sucht das diskrete | |
| Gespräch mit Berlin, mit der EU-Kommission und zunehmend auch mit den | |
| Währungshütern in Frankfurt. Die Zeit drängt. Und der Regierungschef weiß: | |
| Sollte eine Einigung mit den Geldgebern zustande kommen, bliebe ihm ein | |
| Bruch mit dem Linksflügel seiner Partei nicht erspart. | |
| Ein wichtiges Wahlversprechen löst Tsipras immerhin im Schnellverfahren | |
| ein: Der seit 2013 geschlossene Staatssender ERT wird neu gegründet. Noch | |
| in dieser Woche soll der ERT-Vorstand stehen, und dann wird deutlich, ob es | |
| sich bei dem Sender, wie versprochen, um eine wirklich unabhängige | |
| Institution handelt. Dass ausgerechnet ein Chefredakteur des | |
| Syriza-Parteiblattes Avgi als Nachrichtenchef im Gespräch ist, stimmt nicht | |
| allzu optimistisch. | |
| 6 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jannis Papadimitriou | |
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