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# taz.de -- Wahl in Großbritannien: Die Insel bebt
> Cameron hat die absolute Mehrheit im Parlament und will das Land wieder
> einen. Die schottischen Nationalisten könnten aber für Ärger sorgen.
Bild: Viele Briten können sich über das Ergebnis freuen.
CAMBRIDGE taz | Was für eine Nacht zerplatzter Träume. Am Donnerstag, dem
Tag der britischen Parlamentswahl, dachte Ed Miliband noch, er könnte
demnächst eine Labour-Minderheitsregierung als Premierminister führen. Nick
Clegg dachte noch, er könnte als Chef der Liberaldemokraten das Zünglein an
der Waage zwischen Labour und Konservativen spielen. Nigel Farage dachte
noch, er könnte als Führer einer starken rechtspopulistischen Fraktion das
Politestablishment das Fürchten lehren. Und dann kam die Wahlnacht.
Das Gute am britischen Wahlsystem ist, dass man Politiker tatsächlich
abwählen kann. Abgeordnete sind nicht auf Listen abgesichert, sie müssen im
eigenen Wahlkreis bestehen, sonst sind sie weg. So wurde die Führungsriege
der Liberaldemokraten, bisher der kleinere Partner in der britischen
Regierungskoalition, fast komplett gekippt. Von 57 Parlamentariern sind nur
noch 8 übrig, einer davon Parteichef Nick Clegg.
Am Freitag trat Clegg als Parteichef zurück. So stürzten die beiden größten
Schwergewichte der Labour-Opposition hinter Parteichef Ed Miliband:
Schattenfinanzminister Ed Balls, faktische Nummer zwei, verlor seinen
Wahlkreis ganz knapp, Schattenaußenminister Douglas Alexander, zugleich
nationaler Labour-Wahlkampfleiter, viel deutlicher. Insgesamt holte Labour
das schlechteste Ergebnis seit über dreißig Jahren. Am Freitag trat
Miliband als Parteichef zurück.
So scheiterte Nigel Farage beim Versuch, den Wahlkreis Thanet South an der
Nordsee zu gewinnen. Ukip hält im neuen Parlament nur einen einzigen Sitz,
trotz 12 Prozent der Wählerstimmen. Am Freitag trat Farage als Parteichef
zurück.
Quelle: BBC
Diese drei Erschütterungen bei den drei Wahlverlierern sind Symptome eines
politischen Erdbebens. Die schottischen Nationalisten der SNP holten
sensationelle 56 der 59 schottischen Sitze, gegenüber 6 bisher. Das war zu
erwarten – nicht aber, dass zugleich die Konservativen in Großbritannien
nach fünf Jahren unpopulärem Sparkurs die absolute Mehrheit holen würden,
die ihnen 2010 versagt geblieben war. Wenn konservative Kandidaten im
Wahlkampf dies als ihr Wahlziel nannten, sorgte dies bei Zuhörern immer für
Heiterkeit. Und jetzt holen sie voraussichtlich 331 der 650 Sitze.
„Dies ist der süßeste Sieg von allen!“, rief Cameron seinen Mitarbeitern …
der Londoner Parteizentrale zu, als er dort am Freitag früh eintraf. Die
Wahlnacht hatte er, wie alle anderen Politiker auch, in seinem Wahlkreis
verbracht. Nachdem er als Abgeordneter von Witney in Oxfordshire bestätigt
war, sagte Cameron, die Wähler hätten „eine positive Antwort auf einen
positiven Wahlkampf gegeben“.
## Der schottische Löwe
Dann machte der alte und neue konservative Regierungschef eine
bemerkenswerte Ankündigung: Er wolle das gespaltene Großbritannien wieder
vereinen. Der Wirtschaftsaufschwung müsse jetzt alle Bevölkerungsgruppen
und alle Landesteile erreichen, und er wolle „einen Anspruch
zurückgewinnen, den wir nie hätten verlieren dürfen: den der vereinten
Nation“. Die Parole „One Nation“ steht für gemäßigten Konservatismus, …
auf Zusammenarbeit statt Konfrontation setzt.
Die größte Herausforderung für den Wahlsieger Cameron wird der Umgang mit
dem anderen Wahlsieger sein – der SNP, die so stark ist wie nie zuvor. „Der
schottische Löwe hat gebrüllt und brüllt im ganzen Land!“, rief der
historische SNP-Führer Alex Salmond in seiner Siegesrede. Er wird zukünftig
im Londoner Unterhaus mit seiner Redegewandtheit für viel Ärger sorgen.
Verschiedene Stimmen fordern nun eine vollendete Föderalisierung
Großbritanniens. Londons konservativer Oberbürgermeister Boris Johnson, ein
Publikumsliebling, der jetzt ins Parlament einzieht und als möglicher
Nachfolger Camerons als Parteichef und Premier bei den nächsten Wahlen 2020
gehandelt wird, sagte nach seiner Wahl: „Es muss eine Art föderales Angebot
geben.“ Cameron dürfte der Idee nicht abgeneigt sein, einen solchen Vorstoß
zu machen, um der SNP nicht die Initiative zu überlassen.
## „Würde, Zivilität und Kameradschaft“
Diese Thematik überschattet damit vermutlich die andere
Verfassungsbaustelle, zu der sich Cameron nach seinem Wahlsieg erneut
bekannt hat: das für 2017 geplante Referendum über den Verbleib
Großbritanniens in der EU.
Kein Wunder, dass die Stimmung bei den Wahlverlierern sehr unterschiedlich
ist. Der scheidende Liberale Clegg warnte in seiner Rücktrittsansprache
düster vor der „Politik der Angst, der Identität, des Nationalismus“, die
in ganz Europa und nun eben auch in Großbritannien um sich greife und gegen
die Liberalismus nötiger sei denn je. Der scheidende Populist Farage
hingegen sagte, er sei „noch nie glücklicher“ gewesen als heute: Ukip, die
in vielen Wahlkreisen aus dem Stand auf Platz zwei hochgeschnellt ist,
werde jetzt eine jüngere, „radikalere“ Partei werden, die für Reformen
streite.
Und der scheidende Oppositionsführer Miliband hielt bei seiner
Rücktrittsankündigung die emotionale Rede, die ihm im Wahlkampf nie
gelungen war: „Veränderung gibt es, weil Menschen nicht aufgeben“, rief er
und erklärte „Würde, Zivilität und Kameradschaft“ zu den Werten, die
Großbritannien bewahren müsse.
Denn wie man es dreht und wendet: Diese Wahl markiert einen Rechtsruck und
zugleich eine Polarisierung. Das „rechte“ Lager aus Konservativen und Ukip
wächst von 39 auf 50 Prozent der Stimmen, das „linke“ Lager aus Labour,
schottischen und walisischen Nationalisten sowie den Grünen wächst von 32
auf 39 Prozent. So gesehen, ist die Sitzverteilung für die Linken sogar
eher schmeichelhaft. Die EU wird die Bühne sein, auf der diese
Polarisierung als Nächstes ausgetragen wird.
8 May 2015
## AUTOREN
Dominic Johnson
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