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# taz.de -- Verbale Diskriminierung: Krach um das N-Wort
> Niemand verbietet Deniz Yücel das Wort. Wirklich niemand? Der Streit um
> modernisierte Sprache eskaliert auf einem taz.lab-Panel.
Bild: Das noch vollständige Podium des taz.lab-Panels
BERLIN taz | Es ist der emotionale Höhepunkt des Tages – daran lassen viele
Anwesende im Nachhinein keinen Zweifel. Wüste Beschimpfungen und der
Vorwurf der Respektlosigkeit gegenüber Menschen, die Rassismus am eigenen
Leib erfahren haben, fliegen durch die Luft. Das offizielle Ende der
Veranstaltung „Meine Damen und Herren, liebe N-Wörter und Innen!“ ist noch
nicht erreicht, dennoch verlassen zahlreiche Menschen empört den Saal. Was
war passiert?
Das Podium hatte drei Teilnehmer: Die Schriftstellerin Sharon Otoo,
Publizistin und Kolumnistin Mely Kiyak, sowie Leo Fischer, Chefredakteur
des Satiremagazins Titanic. Moderator war taz-Redakteur Deniz Yücel. Um den
Zusammenhang von Sprache und Diskriminierung sollte es gehen. Schon zu
Beginn liegt eine erwartungsvolle Spannung in der Luft. Das ändert sich
ziemlich schnell, als Leo Fischer, bereits in seinem ersten Wortbeitrag von
Rufen aus dem Publikum unterbrochen wurde.
Zum einen fände er die Verwendung des ‚Binnen-Is‘ oder des berühmten
Unterstrichs in Medien und Literatur schlicht unästhetisch, außerdem
erschwere sie die Lesbarkeit. Zum anderen sei niemandem damit geholfen, die
Sprache von Diskriminierung zu bereinigen, was zu ersten Zwischenrufen
führte. Der Moderator muss zum ersten mal für Ruhe sorgen. Erst etwas
später kommt Fischer dazu, seinen Punkt näher zu erläutern. Durch eine
veränderte Sprache ändere sich nichts an der tatsächlichen Diskriminierung
im Alltag. Ganz im Gegenteil, so der Satiriker, führe sie sogar zu einer
gewissen Verschleierung von diskriminierenden Standpunkten.
Dem gegenüber steht die Meinung von Sharon Otoo, die in der Verwendung von
herrschaftsfreier Sprache einen Hinweis auf eben jene alltägliche
Diskriminierung sieht. Vielleicht führe das zu hässlichen Sprachgebilden,
doch seien sexistische oder rassistische Einstellungen um einiges
hässlicher. Mely Kiyak verweist an dieser Stelle auf verschiedene
Erwägungen, die einem Text zu Grunde lägen. So gäbe es z.B. verschiedene
Textgattungen, die jeweils gewisse Sprachstile ausschließen würden. Das
Binnen-I eigne sich bspw. für formale Anlässe, für Poesie – da war sie sich
mit Fischer einig – gelte das allerdings nicht.
## Die Kreativität der Schreibenden
Deniz Yücel zitiert hier Max Goldt, der geschlechtsneutrale Formulierungen
wie etwa ‚Studierende‘ aus einer sprachtheoretischen Perspektive für
lächerlich halte. Otoo entgegnet, dass sich das Vorhaben einer
herrschaftsfreien Sprache bei vielen Gelegenheiten lächerlich machen lasse,
was jedoch nichts an der Bedeutung der Sprachkritik für von Diskriminierung
Betroffene ändere. Um alberne Wortneuschöpfungen zu vermeiden, sei die
Kreativität der Schreibenden gefragt. Es sei unverständlich, wie hartnäckig
sich bei diesem Thema gegen Veränderung zum Guten gewendet werde.
Das alles ist nur das Vorgeplänkel zum eigentlichen Thema des Abends:
Rassismus. Moderator Yücel verliest zunächst eine Auflistung von
Zuschreibungen, angefangen mit ‚Ausländer‘ über ‚Kanaken‘ bis hin zu
‚Passdeutschen‘. Mely Kiyak beschreibt, wie sie gerade den Begriff der
‚Passdeutschen‘ als sehr präzise empfand. Seit sie allerdings wüsste, das
er aus Neonazi-Foren stammt und sich von den ‚Blutsdeutschen‘ abgrenzen
soll, verwende sie ihn nicht mehr. Sie schließt an ihren vorherigen Punkt
an und benennt unterschiedliche Perspektiven und Erwartungen an Sprache,
die zunächst einmal von den jeweiligen Autorinnen und Autoren abhängen
würden. Und über die würde sie auch gerne sprechen, statt über die
Geschichten, die sie schreiben. So müsse in ihren Augen das Werk von Astrid
Lindgren nicht von rassistischen Inhalten bereinigt werden. „Scheiß auf
Lindgren!“ so die Kolumnistin. Sie zu lesen sei aufgrund ihres
rassistischen Weltbildes ohnehin überflüssig.
Vielleicht wäre damit alles Wesentliche zum Thema gesagt gewesen. Einige
Stunden früher am Tag hatte der Sozialpsychologe und Klimakulturforscher
Harald Welzer auf dem taz.lab einen Effekt kritisiert, den er den
„Talkshow-Modus“ genannt hatte. Dem zur Folge würden Formate wie Talkrunden
und Podiumsdiskussionen wenig bis gar nichts zur Vermittlung verschiedener
Standpunkte beitragen, sondern dienten nur der Wiederholung von Positionen,
was letztendlich nur zu deren Verhärtung führe.
## Zunehmend hitzig
Was zu beweisen war: Auf Deniz Yücels Podium nimmt nun die
Eskalationsspirale ihren fröhlichen Lauf. Die Standpunkte der
Podiumsteilnehmer und vieler Menschen im Publikum sind mehr als deutlich
geworden. Es folgen Wortwechsel zu verschiedenen Themen, wie etwa Ottfried
Preußlers Kinderbücher oder der Verwendung von Begriffen wie N**** in
satirischen Zusammenhängen durch die Titanic. Doch dienen die neu
vorgebrachten Argumente nur der Unterstützung der eingangs formulierten
Meinungen.
Die Diskussion nimmt zunehmend hitzigere Züge an, immer wieder können
Menschen aus dem Publikum nicht an sich halten und rufen dazwischen. Die
Vermeidung des „N-Wortes“ wird gefordert, Otoo kann dies sehr gut
nachvollziehen. Allein das Sehen oder Hören diesen Wortes könne Betroffene
bereits schwer verletzen. Das Podium nimmt auf die Bitten aus dem Publikum
dennoch keine Rücksicht, immerhin müsse es möglich sein, rassistische
Verhältnisse auch als solche zu benennen.
Als schließlich Yücel ein Adorno-Zitat anführt, dass einige Male N****
enthält, kommt es zum eingangs beschriebenen Eklat. Nach erneuten
Unterbrechungen aus dem Publikum erklärt er, er lasse sich von niemandem
das Wort verbieten. Es werde versucht aus subjektiven Positionen eine
absolute Deutungshoheit zu konstruieren. Daraufhin verlässt Otoo zusammen
mit einigen Dutzend Menschen unter lautem Protest die Veranstaltung. Nach
Auskunft Deniz Yücels hatte es eine Absprache gegeben, nach der er das Wort
zitierend durchaus verwenden dürfe.
Yücel sammelt noch einige Wortmeldungen aus dem Publikum, doch eigentlich
ist alles gelaufen. Die Bombe ist geplatzt und die Vorwürfe stehen
unumstößlich im Raum. Eine junge Frau beschreibt in der anschließenden
Diskussion im sich leerenden Saal ihre Enttäuschung über den Ausgang der
Diskussion: Dass auf dem Podium keine Rassisten saßen sei doch allen
Anwesenden klar gewesen. Statt einer Spaltung von Podium und Publikum hätte
sie sich lieber neue Perspektiven gewünscht. Gemeinsame Perspektiven; die
Geschlossenheit der Gruppe, die den Saal verlassen hatte, wäre schließlich
wünschenswert für das gemeinsame Vorgehen gegen Rassismus und
Diskriminierung.
Transparenzhinweis: In einer früheren Ausgabe des Artikels wurde im Zitat
das N-Wort ausgeschrieben. Wir haben es durch die Schreibweise N****
ersetzt.
20 Apr 2013
## AUTOREN
Philipp Möcklinghoff
## TAGS
Otfried Preußler
Schwerpunkt Rassismus
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