| # taz.de -- Filmstart „Paradies: Glaube“: Papst Benedikt im Abtropfgitter | |
| > Kampf zweier Weltreligionen, eine Libido auf Abwegen und schmerzende | |
| > Knie: Ulrich Seidls neuer Film „Paradies: Glaube“. | |
| Bild: Maria Hofstätter als Anna Maria (vorne links) im Kreis ihrer Glaubensgen… | |
| Anna Maria kniet vor dem Kreuz und geißelt sich. Später rutscht sie auf | |
| Knien durch ihre Wohnung, um die Hüfte trägt sie dabei einen Bußgürtel, und | |
| unablässig murmelt sie: „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr | |
| ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die | |
| Frucht deines Leibes, Jesus.“ | |
| Um zu begreifen, dass die libidinösen Energien dieser von Maria Hofstätter | |
| gespielten Figur in religiösen Eifer umschlagen, hätte es die Szene, in der | |
| sie mit einem Kruzifix etwas anstellt, was man als Masturbation | |
| interpretieren kann, gar nicht mehr gebraucht. | |
| „Paradies: Glaube“, der zweite Teil von Ulrich Seidls ehrgeiziger | |
| „Paradies“-Trilogie, hat eine strenggläubige Katholikin zur Heldin. Sie | |
| lebt in einem properen Einfamilienhaus vor den Toren Wiens; ihre Abneigung | |
| allem Sexuellen gegenüber lässt sich als Echo auf „Paradies: Liebe“ | |
| begreifen, den ersten Teil der Trilogie, in dem die Hauptfigur Teresa als | |
| Sextouristin nach Kenia reist. | |
| Teresa ist Anna Marias Schwester; beide Frauen arbeiten als Pflegerin | |
| beziehungsweise als Schwester mit Kranken, in beiden Filmen beweisen die | |
| Kameramänner Wolfgang Thaler und Ed Lachman ihren Willen zur strengen Form, | |
| und hier wie dort setzt die Handlung ein, kurz bevor die Protagonistin | |
| ihren Sommerurlaub antritt. | |
| ## Große Schmerzen beim Gebet | |
| Und noch eine Gemeinsamkeit gibt es: In beiden Filmen stoßen | |
| Profischauspieler auf Laiendarsteller. Die Szenen, in denen Anna Maria in | |
| den ärmeren Gegenden Wiens missioniert, sind improvisiert, sie trifft dabei | |
| auf unbekannte Gesichter, aber auch auf Seidl-Habitués wie René Rupnik. Der | |
| lässt sie in seine mit Krempel vollgestellte Wohnung hinein; in einer recht | |
| komischen Szene suchen sie gemeinsam nach einem Platz, an dem sie die | |
| Marienstatue aufstellen können. | |
| Nachdem sie ihn auf dem Bett der verstorbenen Mutter endlich gefunden | |
| haben, mag Rupnik nicht für das Gebet in die Knie gehen, weil ihm das zu | |
| große Schmerzen bereitet. Wie er es versucht, es nicht schafft und dabei | |
| unentwegt mault, gehört zu den Momenten großer Körperkomik, die „Paradies: | |
| Glaube“ immer wieder zu eigen ist | |
| ## Kruzifixe von den Wänden reißen | |
| Diese Momente häufen sich, als Anna Marias Ehemann nach mehrjähriger | |
| Abwesenheit überraschend auftaucht. Der Mann, gespielt von Nabil Saleh, ist | |
| Ägypter, gläubiger Muslim und an den Rollstuhl gebunden. Mit seinem | |
| Eintritt in den Film verschiebt sich der Akzent; die Inszenierung der | |
| Ehehölle und der Glaubenskampf von Katholizismus und Islam treten in den | |
| Vordergrund, Letzterer findet seinen tragikomischen Höhepunkt in einer | |
| Szene, in der der Ehemann durch die Wohnung fährt und mithilfe eines Stocks | |
| Kruzifixe von den Wänden reißt. Am Ende fällt das Bild von Papst Benedikt | |
| in das Abtropfgitter neben der Spüle. | |
| So virtuos dies im Einzelnen inszeniert ist, so bleibt doch ein leises | |
| Unbehagen. Seidl und die Koautorin Veronika Franz neigen zu groben | |
| Strichen, wenn sie den religiösen Wahn, die Leugnung der Sexualität, die | |
| daraus resultierenden Zwangshandlungen und das zwischenmenschliche | |
| Unvermögen zur Anschauung bringen | |
| ## | |
| 20 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Cristina Nord | |
| Cristina Nord | |
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