| # taz.de -- Zukunft der Linkspartei: Wer braucht diese Partei? | |
| > Der Linkspartei sind ihre sinnstiftenden Erzählungen weggebrochen. Hinzu | |
| > kommt: Sie weiß nicht, welche Klientel sie eigentlich vertreten will. | |
| Bild: Immer weniger Menschen wählen die Linkspartei | |
| Für die Linkspartei ging es bei den vergangenen Wahlen fast immer nur nach | |
| unten. Sie ist im Osten, mit Ausnahme Thüringens, [1][zu einer | |
| 10-Prozent-Partei geworden]. Früher war sie Mehrheitsbeschafferin und ein | |
| Machtfaktor, der Ostidentiät verbürgte. Diese Rolle ist ausgespielt. Im | |
| Westen spielt sie in den Stadtstaaten eine Rolle, sonst fast nirgends. Das | |
| ist die Oberfläche der Krise. Darunter stecken drei ungelöste Fragen, die | |
| Kopfschmerzen machen. | |
| Der Linkspartei fehlt ein sinnstiftendes Narrativ. Früher gab es zwei | |
| selbstverständliche Erzählungen. Die PDS war die [2][Lobbypartei Ost], die | |
| Widerstand gegen die Treuhand organisierte. Die Linkspartei war später die | |
| Anti-Agenda-2010-Bewegung, die den Verrat der SPD geißelte. Beides sind | |
| heute ausgewaschene Muster. Die schrumpfende SPD, die sich zerknirscht von | |
| der Agenda-Politik löst, zu attackieren, ist kein abendfüllendes Programm. | |
| Und als Frustspeicher Ost ist die ressentimentgeladene AfD besser geeignet | |
| als die seriöse, oft brave Linkspartei zwischen Schwerin und Zwickau. | |
| Eher verzweifelt wirkt der Versuch, die Grünen zum Ersatzgegner zu machen. | |
| Es ist richtig, den Grünen unter die Nase zu reiben, dass sie ihre sozialen | |
| Ziele nie mit der Union erreichen werden. Aber es wirkt unsouverän, am Rand | |
| des Abgrunds stehend dem Favoriten, der gerade abhebt, noch ein Häufchen | |
| Erde hinterherzuwerfen. | |
| Die Grünen im Chor mit Armin Laschet als Benzinerhöhungspartei zu | |
| beschimpfen und gleichzeitig in den klimapolitischen Zielen zu überholen, | |
| ist wenig überzeugend. Nun können Parteien auch ohne beflügelnde Erzählung | |
| existieren, jedenfalls eine Weile. | |
| Denn Parteien sind immer Apparate, die den Anlass ihrer Gründung überlebt | |
| haben. Der SPD wurde schon vor Jahrzehnten bescheinigt, [3][sie habe ihre | |
| historische Mission erfolgreich beendet]. Die Grünen wurden als | |
| Generationenprojekt beerdigt, die FDP als überflüssige Klientelpartei. | |
| Insofern ist die akute Erzählschwäche und Sinnkrise der Linkspartei zwar | |
| nicht schön. Aber noch nicht lebensbedrohlich – oder nur in Kombination mit | |
| anderen Defekten. | |
| Etwa der Frage: Wen vertritt die Linkspartei? Die antirassistischen, woken | |
| AktivistInnen in Berlin-Kreuzberg, oder die Krankenpflegerin und den | |
| Malocher in der Provinz? Darum tobt ein Kulturkampf, der mit typisch linkem | |
| Ernst ausgetragen wird. Linke haben, anders als Konservative, ein intimes | |
| Verhältnis zur Wahrheit. Die Linke ist ohne Idee der Menschheitsbefreiung | |
| nicht zu denken – leider äußert sich das oft in purer Rechthaberei. | |
| Das Bizarre des Kampfes Normalo gegen Gendersternchen ist nun: Wenn in der | |
| Linkspartei eine Fraktion diesen Kampf gewinnt, verliert sie ihn | |
| gleichzeitig. Denn wenn die Partei sich nur an Unterprivilegierte wendet | |
| und die akademische Jugend aufgibt, geht sie unter. Wenn sie sich vor allem | |
| zum Sprachrohr flüchtiger sozialer Bewegungen macht, auch. Black Lives | |
| Matter oder Malocher – schon die Frage ist falsch. Übrigens ist die | |
| Linkspartei keine Arbeiterpartei. Ihre Mitglieder und WählerInnen sind | |
| [4][überdurchschnittlich gut ausgebildet (besser als die der Union) und | |
| arbeiten meist als Angestellte]. | |
| ## Partei der Haltelinien | |
| Die dritte Frage: Warum soll man sie wählen? Die Linkspartei ist seit 16 | |
| Jahren im Bundestag, aber noch immer unfähig zu sagen, warum sie regieren | |
| möchte. Sie spannt „rote Haltelinien“ auf, als wäre Regieren ein tödlich… | |
| Abgrund. Die Vernünftigen in der Partei haben nie den Kampf mit den | |
| IdeologInnen gewagt. Das rächt sich. Denn auch das Modell „Anti“, die | |
| organisatorische Konservierung erkalteten Protestes, hat ein Verfallsdatum. | |
| Wer sich, gegen den Willen der eigenen Klientel, jahrzehntelang ziert zu | |
| regieren, macht sich überflüssig. | |
| Vielleicht finden sich im Herbst aus Gewohnheit und Anhänglichkeit doch | |
| noch genug WählerInnen, um das Schlimmste zu verhindern. Deutsche wählen ja | |
| strukturkonservativ. Dass dies die letzte Hoffnung für die Linkspartei ist, | |
| die doch sonst vor Veränderungswillen vibriert, ist eine ironische Pointe. | |
| 19 Jun 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Linke-und-SPD-in-Sachsen-Anhalt/!5773118 | |
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| [3] https://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07226.pdf | |
| [4] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.562050.de/17-29.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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