# taz.de -- Wirtschaftswachstum in Polen: Auf der grünen Überholspur | |
> Polen ist nicht nur fünftgrößter Handelspartner Deutschlands, sondern | |
> entwickelt sich auch zum führenden E-Autobatterien-Hersteller Europas. | |
Bild: Containerhafen in Polen: 2022 hat Deutschland für 90,3 Milliarden Euro W… | |
„Polen ist auf dem besten Weg, der größte E-Autobatterien-Markt Europas zu | |
werden“, sagt Dr. Lars Gutheil, 50, Leiter der deutsch-polnischen | |
Auslandshandelskammer (AHK) in Warschau. Seit dem Beitritt Polens zur EU im | |
Jahre 2004 hätten sich die niederschlesische Metropole Wrocław (Breslau) | |
und deren Vororte zu einem Zentrum der Autoproduktion entwickelt. Hier | |
seien Hunderte Fabriken und Tausende Zuliefererfirmen entstanden, so | |
Gutheil. | |
Ähnlich sieht es rund um die zentralpolnische Stadt Poznań (Posen) aus. Im | |
südpolnischen Krakau ist ein polnisches Silicon Valley entstanden, und die | |
Hauptstadt Warschau ist Polens Boomstadt schlechthin. „Wer heute von | |
‚polnischer Wirtschaft‘ spricht, hat ein Wirtschaftswunder im Sinn“, beto… | |
Gutheil, „den gelungenen Systemwandel von einer Plan- und Mangelwirtschaft | |
zu einer sozialen Marktwirtschaft.“ | |
Schon 2020 ist Polen zum weltweit fünftwichtigsten Handelspartner | |
Deutschlands aufgestiegen – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. | |
„Innerhalb der EU steht Polen nach Frankreich und den Niederlanden sogar an | |
dritter Stelle. Davor sind nur noch die USA und China“, hebt Gutheil | |
hervor. „Im Jahr 2022 konnte Polen diesen Spitzenplatz eindrucksvoll | |
verteidigen. Zudem haben Deutschland und Polen einen neuen Handelsrekord | |
aufgestellt: Sie kamen auf ein Handelsvolumen von über 167 Milliarden | |
Euro“, so der AHK-Chef. | |
Gutheil greift nach einer aktuellen Marktanalyse und liest die genauen | |
Zahlen vor: „2022 hat Deutschland für 90,3 Milliarden Euro Waren nach Polen | |
exportiert und für 77,3 Milliarden Euro Waren aus Polen importiert.“ Allein | |
diese Zahlen zeigten, so der Jurist, dass „auch das Stereotyp von Polen als | |
verlängerter Werkbank Deutschlands schon lange der Vergangenheit angehört“. | |
Als Handelspartner habe Polen inzwischen Italien ebenso hinter sich | |
gelassen wie Österreich, die Schweiz und Spanien. Das gelte nicht nur für | |
das Import-Export-Geschäft. Heute kämen Investoren – egal ob deutsche oder | |
internationale – nicht mehr wegen der geringen Gehälter nach Polen, sondern | |
weil sie hier qualifizierte Facharbeiter, Ingenieure und IT-Experten | |
vorfinden würden. Die jährlichen AHK-Konjunktur-Umfragen zeigen, dass sich | |
das Ausbildungsniveau an den Universitäten und Fachhochschulen Polens eines | |
sehr guten Rufs erfreut, ebenso die duale Berufsausbildung. Als positiver | |
Faktor komme noch die hohe Arbeitsmotivation der Mitarbeiter und | |
Mitarbeiterinnen hinzu. | |
## Nicht Indien, sondern Polen | |
Allerdings gebe es in Polen noch ein großes Potenzial an Innovation. | |
Polnische kleine und mittelständische Unternehmen investierten noch zu | |
wenig in eigene Innovationen, in Forschung und Entwicklung. „Das bringen | |
dann oft ausländische Investoren mit“, so Gutheil. Einen neuen Weg gehe das | |
Pharma-Unternehmen Bayer, das vor Kurzem in Warschau einen „Digital Hub“ | |
mit 600 IT-Fachkräften eingerichtet habe. „Nicht in Indien, sondern in | |
Polen!“, betont Gutheil. „In Warschau sollen Leistungen für den | |
Gesamtkonzern weltweit entwickelt werden. Das bringt natürlich einen | |
unwahrscheinlichen Knowhow-Schub mit sich.“ Interessant sei auch die gerade | |
begonnene Zusammenarbeit von BASF Polska mit der Schlesischen | |
Fachhochschule (Politechnika Śląska) im oberschlesischen Katowice | |
(Kattowitz). „Da soll es um Umweltschutz und Nachhaltigkeitsprojekte | |
gehen.“ | |
Weltweit für Aufsehen sorgte Ende 2022 die Ankündigung des deutschen | |
Autobauers Mercedes-Benz, 1,3 Milliarden Euro in ein neues Werk im | |
niederschlesischen Jawor (Jauer) investieren zu wollen. Dort sollen künftig | |
vollelektrische Sprinter vom Band rollen, also keine Hybridfahrzeuge, | |
sondern rein elektrische Vans. „Das ist eine technologische | |
Herausforderung“, so Gutheil, „zumal auch die gesamte Energie für das Werk | |
grün sein soll.“ Die Zuliefererkette – polnische wie internationale | |
Unternehmen – müsse sich darauf einstellen, sodass ein Domino-Effekt | |
entstehe und immer mehr Unternehmen in Polen nachhaltig produzieren würden. | |
Noch wirkt sich die Rechtsstaatskrise in Polen und der Konflikt zwischen | |
Europäischer Kommission und polnischer Regierung nicht negativ auf das | |
internationale Import-Export-Geschäft oder das Investitionsklima in Polen | |
aus. „Alle Rechtsgrundsätze der Europäischen Union gelten auch in Polen“, | |
erläutert Gutheil. „Da haben die Unternehmen eigentlich kaum Probleme. | |
Anders sieht es bei der polnischen Wirtschafts- und Steuergesetzgebung | |
aus“, so Gutheil: „Das Gesetzgebungsverfahren ist so schnell, dass gerade | |
kleinere und mittlere Unternehmen es oft nicht schaffen, zu neuen | |
Gesetzesprojekten rechtzeitig Stellung zu nehmen oder diese fristgerecht | |
umzusetzen.“ | |
Da sei dann die deutsch-polnische Auslandshandelskammer gefragt. Im Vorfeld | |
eines neuen Gesetzes könne sie – manchmal gemeinsam mit den Partnern der | |
internationalen Kammervereinigung IGCC (International Group of Chambers of | |
Commerce) – Einwände gegen eine schwierige Umsetzung der neuen Regelungen | |
in der Praxis vorbringen oder auch Verbesserungsvorschläge machen. Die | |
endgültige Entscheidung liege natürlich bei den Parlamentariern. | |
## Gute Bedingungen für Windenergie | |
„Vor Kurzem hatten wir es mit einem wichtigen Investitionsgesetz zur | |
Windenergie zu tun“, berichtet Gutheil. „Die Schlüsselfrage war: Müssen d… | |
Windrad-Masten 700 Meter voneinander und von der nächsten Wohnsiedlung | |
entfernt sein, oder reichen auch 500 Meter?“ Obwohl viel für die | |
500-Meter-Lösung gesprochen habe, sei nun doch die 700-Meter-Version | |
verabschiedet worden. „Das ist immer noch besser als die gesetzliche | |
Ausgangslage, die über Jahre hinweg den Ausbau der Windenergie in Polen | |
verhindert hat“, so Gutheil. | |
Bei den Windparks müsse man zwischen Onshore- und Offshore-Wind | |
unterscheiden. In einer ersten Runde großer Offshore-Ausschreibungen in der | |
Ostsee habe auch ein deutsches Unternehmen einen Zuschlag erhalten – RWE | |
Renewables, für ein Feld mit 350 Megawatt. Derzeit laufe bereits die zweite | |
Vergaberunde. „Polen arbeitet intensiv an der eignen Energiewende“, so | |
Gutheil. | |
„Windenergie ist für ein Land wie Polen, dessen nördliche Ebene flach ist, | |
eine sehr attraktive Energiequelle“, erklärt der AHK-Chef. „Polen ist | |
zugleich auf dem besten Weg, der wichtigste Produktionsstandort Europas für | |
E-Mobilität zu werden. Es gibt schon jetzt über 60 Produktionsstätten für | |
Automobil-Batterien in Polen.“ Da werde die ganze Zeit viel geforscht und | |
neu entwickelt. Es gehe um Leichtbauweise, effiziente Stromspeicherung, | |
aber auch um Ladestationen. „Ein Pilotprojekt“, so Gutheil, „könnte die | |
Autobahn A4 von Deutschland durch ganz Polen bis in die Ukraine sein – | |
durchgängig mit E-Ladestationen für Lkws. Stichwort: Annäherung der Ukraine | |
an die EU und Wiederaufbau des Landes.“ | |
29 Mar 2023 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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