# taz.de -- Wintereinbruch in der Ukraine: Angst vor dem Schnee | |
> Experten warnen vor russischen Angriffen auf die ukrainische | |
> Energieinfrastruktur im Winter. In Odessa bereitet man sich auf den | |
> Notfall vor. | |
Bild: Wintereinbruch im Krieg: In Odessa sind 2023 bereits drei Menschen erfror… | |
ODESSA taz | Eigentlich hat der Raum im Keller Heizkörper, doch nahe der | |
Wand steht etwas, das wie ein schwarzes Fass aussieht. „Das ist unser | |
Ofen“, sagt Olena Slynchak. Die 45-Jährige leitet die Europäische | |
Oberschule in Odessa. Sie hat sich an einem Samstag Zeit genommen, um zu | |
zeigen, wie gut die Schule auf den Winter vorbereitet ist. Denn vor dem | |
haben viele Menschen [1][in der Ukraine Angst.] | |
Experten sowie die ukrainische Regierung gehen davon aus, dass die | |
russische Armee in der kalten Jahreszeit wie im vergangenen Winter | |
versuchen wird, die Energieinfrastruktur der Ukraine zu zerstören. | |
Entsprechend versucht man sich vorzubereiten – auf der Ebene der | |
Energieproduktion, des Stromnetzes und auch dort, wo es dunkel wird, wenn | |
es keinen Strom aus dem Netz gibt. | |
In der letzten Novemberwoche sind die Temperaturen in der Ukraine | |
landesweit unter den Gefrierpunkt gesunken. Ein schwerer Schneesturm hat | |
weite Teile der Süd- und Zentralukraine mit einer Schneeschicht überzogen. | |
Auf der Autobahn von [2][Kyjiw] nach Odessa steckten hunderte Fahrzeuge in | |
Schneeverwehungen fest. Nach Angaben des Rathauses in Odessa sind bereits | |
drei Menschen erfroren. In mehreren Regionen fiel vorübergehend der Strom | |
aus. Der Winter hat begonnen und es gibt einen ersten Eindruck, wie | |
herausfordernd er werden könnte. | |
An der Oberschule im Südteil der Stadt lernen 1.500 Schüler:innen von | |
der 5. bis zur 11. Klasse. 500 nehmen von zu Hause am Unterricht teil. Die | |
anderen 1.000 lernen in zwei Schichten, sodass [3][maximal 500 gleichzeitig | |
anwesend sind]. Denn das ist die Kapazität der Schutzräume im | |
Untergeschoss, eines Neubaus, der erst vor fünf Jahren eröffnet wurde. Der | |
Keller der Oberschule habe eine Doppelfunktion, sagt Slynchak. „Außerhalb | |
der Unterrichtszeit können die Räume auch von den Menschen aus der | |
Nachbarschaft genutzt werden – beispielsweise während eines Luftalarms.“ | |
Generatoren und Luftschutzbunker | |
Allein im Jahr 2023 gab es bereits 378-mal einen Luftalarm in der Stadt für | |
insgesamt 420 Stunden. Das Untergeschoss ist aber nicht nur ein | |
Luftschutzkeller, sondern auch ein sogenannter Punkt der Unbezwingbarkeit. | |
Letztere wurden im Winter 2022/2023 überall im Land eingerichtet, damit | |
Menschen sich aufwärmen, ihre Smartphones aufladen und eine warme Mahlzeit | |
essen können. 360 gibt es davon in Odessa, neben den 762 | |
[4][Luftschutzbunkern]. | |
In dem Schutzraum in der Oberschule gibt es reichlich Steckdosen und einen | |
Generator, der anspringt, wenn mal der Netzstrom ausfällt. Auch eine | |
Erste-Hilfe-Station ist eingerichtet, zwei Liegen stehen darin. „Falls mal | |
jemand Kreislaufprobleme hat“, erklärt Schulleiterin Slynchak. | |
In einem anderen Raum ist eine Spielecke für kleine Kinder eingerichtet. Es | |
gibt einen Vorrat an Trinkwasser und Brennholz für den Ofen. Die | |
Vorbereitungen seien komplex, sagt der stellvertretende Bürgermeister | |
Oleksandr Filatov. „Schon seit dem Frühling arbeiten wir daran.“ Für den | |
Fall, dass man vom überregionalen Netz getrennt werde, benötigt man eine | |
Energiequelle direkt in der Stadt. | |
Denn wenn es keinen Strom gibt, funktionieren auch die Wasserpumpen und | |
damit die Heizung nicht mehr. Ein Riesenproblem in einer Stadt mit einer | |
Million Einwohnern. Mit Unterstützung aus Japan habe man bisher einen | |
gasbetriebenen Großgenerator aufgestellt, drei weitere sollen folgen, | |
jeweils mit vier Megawatt Leistung. Damit sollen nicht nur die Wasserpumpen | |
angetrieben werden, sondern auch insgesamt elf Großboiler, die warmes | |
Wasser erzeugen. | |
„Alle öffentlichen Schulen, Krankenhäuser und sozialen Einrichtungen haben | |
eigene Generatoren für den Strom.“ Für private, mehrgeschossige Häuser gebe | |
es ein Förderprogramm für Generatoren. Auch mit der Hilfe von | |
Partnerstädten habe man getan, was man konnte, sagt Filatov und zeigt eine | |
Liste mit dem bestehenden Bedarf. Darauf hunderte weitere Generatoren, | |
Boiler, Powerbanks, Heizstrahler und Kabel. „Aber der beste Schutz ist eine | |
bessere Luftverteidigung.“ | |
Ob die russische Angriffswelle schon begonnen hat, ist noch nicht klar. | |
Allerdings gab es in der Nacht zum 27. November einen Angriff auf ein | |
Heizkraftwerk des größten privaten Energieproduzenten DTEK. Welches | |
Kraftwerk beschädigt wurde, wurde nicht mitgeteilt. Allerdings besitzt das | |
Unternehmen mehrere in Frontnähe im Osten des Landes. Alle 13 | |
DTEK-Kraftwerke, die mehr als sieben Millionen ukrainische Familien mit | |
Strom versorgen, wurden Berichten zufolge seit Beginn des Krieges von | |
russischen Angriffen getroffen. | |
Seit April seien acht der 13 repariert, zwei weitere werden noch repariert. | |
Die Lage sei ohnehin angespannt, aber unter Kontrolle, wie Oleksandr | |
Kharchenko erklärt. Er ist Direktor des Energy Industry Research Center, | |
einer Kyjiwer Beratungsfirma. „50 Prozent unseres Netzes und 70 Prozent | |
unserer Kohlestromproduktion sind zerstört, beschädigt oder in russischer | |
Kontrolle.“ | |
Angesichts dessen sei mehr getan worden als möglich, aber nicht so viel wie | |
nötig. Der vergangene Winter war vergleichsweise mild. Aber ein Minusgrad | |
mehr erhöhe den Bedarf im Land um 200 Megawatt. „Bei minus 8 bis minus 10 | |
Grad könnte es ein ernsthaftes Defizit geben.“ Es gebe zwar die | |
Möglichkeit, bei erhöhtem Bedarf Strom aus Polen, Rumänien oder der | |
Slowakei zu importieren. Die Kapazität dafür sei aber beschränkt, auch | |
finanziell. Besonders kritisch sei die Bedarfsspitze zwischen 17 und 21 | |
Uhr. | |
„Entweder die Verbraucher schränken sich ein und stellen stromintensive | |
Geräte wie Boiler und Waschmaschinen ab, oder Teile des Netzes müssen | |
abgeschaltet werden.“ Dann erwarte er wie schon im vergangenen Winter | |
sogenannte rollende Abschaltungen von zwei bis drei Stunden täglich nach | |
einem bekannten Zeitplan. „Das ist nicht die Apokalypse“, sagt der | |
Energieexperte. | |
29 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Marco Zschieck | |
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