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# taz.de -- Wie weiter in Frankfurt (Oder)?: Zukunft nur mit Europa
> Nach dem knappen Zuschlag für Halle für das Zukunftszentrum trifft sich
> Frankfurt (Oder) zum kollektiven Trauern. Und richtet den Blick nach
> vorne.
Bild: Auch in der Stadt der Brückenbauer geht die Sonne wieder auf
Frankfurt (Oder) taz | Eine „mutlose Entscheidung“ nennt Oliver Kossack das
Votum der Jury. Am Mittwoch hatte das Auswahlgremium der Bundesregierung
bekannt gegeben, dass das geplante [1][„Zukunftszentrum deutsche Einheit
und europäische Transformation“] in Halle an der Saale entstehen soll.
Frankfurt (Oder) geht damit leer aus, obwohl mit Berlin, Brandenburg und
Mecklenburg-Vorpommern drei Landesregierungen die Bewerbung unterstützt
hatten. 200 Millionen Euro will der Bund in das Ausstellungs- und
Forschungszentrum investieren. Jährlich eine Million Besucherinnen und
Besucher werden erwartet.
Bis zuletzt hatte sich Frankfurt gute Chancen ausgerechnet. „Das Potential
ist da“, sagt Kossack am Mittwochabend bei einer Versammlung im
[2][Blok-O], dem schicken Coworking-Space in der Frankfurter Innenstadt. Er
ist einer von denen, die anderthalb Jahre an der Bewerbung gearbeitet
haben.
Mit der Lage an der Oder und der Nachbarschaft zu Polen haben sie geworben.
Mit der Forschung zur deutschen, polnischen und ukrainischen Transformation
an der [3][Europa-Universität Viadrina]. Mit der doppelten
Nachwendeerfahrung in Ostdeutschland und in Polen. [4][„Stadt der
Brückenbauer:innen“] lautete der Claim. Mit dem Zukunftszentrum, das
unmittelbar an der Oder entstehen sollte, sollte der Blick nicht nur zurück
auf die Wunden des Einigungsprozesses, sondern auch auf die
Herausforderungen der Zukunft gerichtet werden.
Vor allem die Begründung der Jury hat in Frankfurt Kopfschütteln
hervorgebracht. Als Argument gegen die Oderstadt werden die periphere Lage
und die schlechte Verkehrsanbindung genannt. Die Leiterin der
[5][Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung], Martina
Weyrauch, kommentiert das auf Facebook mit den Worten: „Die Jury dachte
deutsch.“
## Am Rand oder mitten in Europa?
Tatsächlich ist das Argument mit der Randlage verstörend antieuropäisch.
Wer bei Europa, und darum geht es beim Zentrum auch dem Titel nach,
ebenfalls an Warschau und Posen denkt, sieht Frankfurt (Oder) nicht am
Rand, sondern an der Mitte.
„Es ist bitter, dass es am Ende um die verkehrliche Erreichbarkeit ging“,
kommentiert Alena Karaschinski, die Sprecherin des grünen Kreisverbands,
die Entscheidung der Jury. Beim Treffen im Blok-O sagt sie: „Es kann doch
nicht sein, dass uns die Versäumnisse der Vergangenheit nun auf die Füße
fallen.“
Zur Versammlung ins Blok-O hatte Frankfurts [6][Oberbürgermeister René
Wilke] (Linke) eingeladen. Als die Entscheidung durchgesickert war, schrieb
er auf Facebook: „Lasst uns heute und morgen trauern. Und dann stehen wir
wieder auf und machen weiter. Wir sehen uns.“
Es ist voll im Foyer des Blok-O. Wer drinnen keinen Platz findet, kann die
Debatte über Außenmikrofone draußen auf der Karl-Marx-Straße verfolgen.
Eine Begräbnisstimmung, wie einige erwartet haben, kommt allerdings nicht
auf. Frankfurt landet nicht auf dem letzten Platz – wie Berlin mit seiner
Olympiabewerbung für die Sommerspiele 2000 – sondern unterliegt in einem
Wimpernschlagfinale. Oliver Kossack sagt es so: „Wir sind bundesweit auf
der Landkarte sichtbar geworden.“
Ein kollektives Trauern schwingt dennoch bei vielen Beteiligten mit.
Viadrina-Präsidentin Eva Kocher gesteht, dass sie hätte heulen können. „Es
war die falsche Entscheidung.“
„Ich habe mir gedacht, es ist besser, zusammenzukommen, als allein zu sein,
mit dem, was passiert ist“, hatte zuvor René Wilke unter großem Beifall
gesagt. „Wir haben nichts falsch gemacht.“ Dass Frankfurt noch vor Leipzig
und Jena lag, sei ein Erfolg. Vor allem aber sei in der Stadt durch die
Bewerbung etwas entstanden. „Das sieht man auch hier“, sagt Wilke, als er
in die Runde schaut. „Dass wir als Stadt so daran wachsen, hätte ich nicht
für möglich gehalten. Deshalb spüre ich große Dankbarkeit.“
Es sind viele, die sich am Mittwochabend zu Wort melden. Der Superintendent
des evangelischen Kirchenkreises, Frank Schürer-Behrmann, spricht von einem
neuen Selbstbewusstsein, Konrad Tschäpe vom [7][Museum Viadrina] sagt: „Wir
haben darüber nachgedacht, wo wir herkommen, was wir wollen. Da haben wir
eine Antwort gefunden. Wir sind die Stadt der Brückenbauer.“ Das
200-Millionen-Projekt ist tot. Frankfurt lebt.
## Plan B in der Tasche
Wie geht es weiter? Bereits am Montag gebe es eine Klausur der Stadtspitzen
von Frankfurt und seiner polnischen Schwesterstadt Słubice, kündigt OB
Wilke an. Zuvor hatte er angedeutet, dass es einen Plan B in der Schublade
gebe. Man wolle auf der für das Zukunftszentrum vorgesehen Fläche an der
Stadtbrücke eine „angemessene“ und „belebende“ Bebauung finden. „Dazu
werden wir in Kürze mit veränderten Ideen und Ansätzen in die öffentliche
und politische Diskussion eintreten.“
Allerdings ist nun auch die Landesregierung am Zug. Nach den Bemühungen um
eine Rettung der Raffinerie in Schwedt und beim Strukturwandel in der
Lausitz braucht auch Frankfurt eine Perspektive. Und das Gelände an der
Stadtbrücke, an dem das Zukunftszentrum entstehen sollte, bedarf einer
öffentlichen Nutzung, zu groß wäre sonst der Phantomschmerz.
„Frankfurt (Oder) hat nicht verloren“, sagte schon am Dienstag die in
Frankfurt geborene Wissenschafts- und Kulturministerin Manja Schüle (SPD).
Schon lange gibt es in ihrem Haus Überlegungen, ein Brandenburgisches
Landesmuseum nach dem Vorbild des [8][Pommerschen Landesmuseums] in
Greifswald oder des [9][Schlesischen Landesmuseums] in Görlitz zu gründen.
Das Konzept dazu hat das aus der Viadrina hervorgegangene [10][Institut für
angewandte Geschichte] erarbeitet. Nicht nur um die Geschichte der Mark
westlich und östlich der Oder soll es da gehen, sondern auch um Migration
und regionale Identitäten. Nur hat sich das Land bisher noch nicht dazu
durchringen können, eine entsprechende Trägerstiftung zu gründen. „Die
Gelegenheit wäre jetzt da“, heißt es beim Wunden lecken im Blok-O.
16 Feb 2023
## LINKS
[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/deutsche-einheit/zukunftszent…
[2] https://blok-o.de/
[3] https://www.europa-uni.de/de/index.html
[4] https://stadt-der-brueckenbauer.de/?gclid=Cj0KCQiAxbefBhDfARIsAL4XLRobfBVyl…
[5] https://www.politische-bildung-brandenburg.de
[6] https://www.frankfurt-oder.de/B%C3%BCrger/index.php?ModID=9&object=tx%7…
[7] http://www.museum-viadrina.de/museum/junkerhaus/
[8] https://www.pommersches-landesmuseum.de/
[9] https://www.schlesisches-museum.de/
[10] https://www.instytut.net/
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Oder (Fluss)
Brandenburg
Polen
Frankfurt Oder
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Mauerfall
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