# taz.de -- Wie Jugendliche in die Zukunft schauen: Ängstlich, gleichzeitig zu… | |
> Laut einer Studie sind Jugendliche angesichts der multiplen Krisen | |
> besorgter denn je. In politisches Engagement übersetzt sich ihr | |
> Problembewusstsein nicht. | |
Bild: Keine unbeschwerte Jugend: Selbst im Skatepark in Mülheim an der Ruhr ha… | |
Die Krisen stapeln sich, Jugendliche sind besorgter, problembewusster und | |
ernster denn je. Dennoch bewahren sie sich einen grundsätzlichen | |
Optimismus. Das sind die Ergebnisse der Sinus-Jugendstudie 2024, die | |
Jugendliche im häuslichen Umfeld in 26 Regionen Deutschlands qualitativ | |
befragt hat. | |
14- bis 17-Jährige haben Angst vor der Zukunft, fühlen sich mit Blick auf | |
die multiplen Krisen ohnmächtig: Klimakrise, Rassismus, soziale | |
Ungleichheit, Kriege. Gleichzeitig haben sie ihre Alltagszufriedenheit | |
nicht verloren und lernen, mit den Dauerkrisen umzugehen. Die Akzeptanz | |
pluralisierter Lebensformen und Rollenbilder hat zugenommen, ebenso wie | |
eine Sensibilisierung für Gender-Gerechtigkeit. | |
Die Studie des Sinus-Instituts für Markt- und Sozialforschung wird [1][seit | |
2008 alle vier Jahre wiederholt]. Die Autor:innen haben für die aktuelle | |
Untersuchung 72 junge Menschen aus verschiedenen Schulformen mit und ohne | |
Migrationshintergrund interviewt und sie unterschiedlichen sogenannten | |
Lebenswelten zugeordnet: von der Grenzgängerin zum Anpassungsbereiten, über | |
die Durchbeißerin zum Bodenständigen (siehe Infokasten). | |
Schon in der Vorgängerstudie von 2020 hieß es, die Jugend sei ernst und | |
besorgt. Da sich dieser Befund in diesem Jahr noch verschärft hat, ist laut | |
den Autor:innen umso bemerkenswerter: Die Jungen haben sich trotz allem | |
ihren Optimismus bewahrt. Den meisten Jugendlichen geht es persönlich nicht | |
schlecht. Sie nehmen die Krisen um sich herum wahr und gleichzeitig ernst. | |
Sie fühlen sich sozial eingebunden und positionieren sich auf einer „Skala | |
des guten Lebens in Deutschland“ im oberen Bereich – selbst, wenn sie | |
objektiv wenig besitzen. Das räumt laut Autor:innen mit dem Klischee der | |
verwöhnten Jugend auf und attestiert ihr viel mehr Realismus und | |
Bodenhaftung. | |
Die befragten Jugendlichen sind sehr sensibel gegenüber Problemen aus ihrem | |
persönlichen Umfeld wie strukturelle Ungleichheiten, beispielsweise | |
unterschiedliche Bildungschancen aufgrund der sozialen Lage, oder | |
Diskriminierung unter anderem von Menschen mit Migrationshintergrund. | |
Überwiegend gaben sie an, Diskriminierung schon selbst erlebt oder | |
beobachtet zu haben. Diversität nehmen die Jungen als selbstverständlich | |
an. Erwachsene werden dabei als Barriere wahrgenommen, denn Eltern | |
reproduzierten alte Rollenbilder. | |
## Politische Beteiligung ist gering | |
Das Interesse der 14- bis 17-Jährigen an Politik ist begrenzt. Rusanna | |
Gaber, Mitautorin der 300-Seiten starken Erhebung, sagte bei der | |
Vorstellung der Studie am Mittwoch: „Die Probleme werden zwar wahrgenommen, | |
sie übersetzen sich aber kaum in längerfristiges politisches Engagement.“ | |
Lediglich lösten akute Krisen sporadische Unterstützung aus, wie die | |
Teilnahme an Demonstrationen. Ein Teil der Jugendlichen zeige sich ob der | |
Fülle an Informationen überfordert und verdränge diese. | |
Die Autor:innen der Studie erklären sich die geringe politische | |
Beteiligung mit fehlender demokratischer Bildung in den Schulen. Die | |
Jugendlichen empfinden Schulen als ungeeignet, um ihren Problemen | |
beizukommen. Das trifft insbesondere auf die Digitalisierung zu. Denn für | |
die Jugendlichen sind soziale Medien wie Youtube, Instagram und Tiktok die | |
wichtigsten Nachrichtenquellen. Die Jugendlichen erleben sich selbst als | |
Treiber der Digitalisierung, eignen sich das Wissen darüber selbst an und | |
vermissen entsprechende Kompetenz bei den Lehrkräften. Das bestätigte am | |
Mittwoch Anne Rolvering von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, die | |
die Studie mit in Auftrag gegeben hatte: „Die Jugendlichen fühlen sich | |
nicht ausgestattet, die Medienkompetenz fehlt ihnen.“ Ohne einheitliche | |
Förderung blieben Jugendliche abhängig von persönlichem Zugang und | |
digitaler Kompetenz im sozialen Umfeld. | |
## Experimentelles Wahlverhalten | |
Bei der Europawahl am Sonntag stimmten 16 Prozent der Jungwähler:innen | |
für die AfD. Für Sinus-Geschäftsführer Marc Calmbach spricht das nicht für | |
ein geschlossen rechtsextremes Weltbild der Jugendlichen. Er hält das | |
Wahlverhalten in dieser Alterskohorte für „sehr volatil“. Die sozialen | |
Medien honorierten mittels Algorithmen steile Aussagen und Provokation | |
besonders. Populisten wie die Politiker:innen der AfD generierten auf | |
diese Weise Reichweite, weil Inhalte eher geteilt würden und damit viele | |
Jugendliche erreichten. | |
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, eine | |
weitere Auftraggeberin der Studie, sagte: „Das Wählerverhalten muss man im | |
Kontext des Elternhauses einordnen, denn Jugendliche orientieren sich an | |
den Eltern.“ Wichtig findet er, dass 28 Prozent der Erstwählenden | |
Kleinstparteien gewählt haben. Krüger sieht darin ein „experimentelles | |
demokratisches Wahlverhalten“ und eine Ablehnung der Regierungsparteien. | |
Ein Befund einer politischen Jugend also, die ihren Weg sucht. | |
Den Jugendlichen ist der Studie zufolge unabhängig von ihren Lebenswelten | |
Mitsprache wichtig. Sie wollen gehört werden, auch von der Politik. | |
Erwachsene sollten sie nicht als naiv, unerfahren und inkompetent | |
diskreditieren. | |
Ihren Medienkonsum sehen sie selbst kritisch. Eine 15-Jährige sagt: „Wenn | |
ich nichts anderes habe außer gefühlt Tiktok, fühlt man sich sehr | |
unproduktiv.“ Sie schalten das Handy aus, löschen Apps und suchen | |
Offline-Begegnungen. Thomas Krüger schloss: „Politische Bildung und | |
Medienpolitik müssen zusammengedacht werden.“ | |
12 Jun 2024 | |
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[1] /Kolumne-Jung-und-Dumm/!5351717 | |
## AUTOREN | |
Sean-Elias Ansa | |
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