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# taz.de -- Weltkulturerbe in Syrien: Zum Heulen schön
> Die IS-Miliz hat Palmyra eingenommen. Ihre Zukunft ist ungewiss. Eine
> Erinnerung an den Ort, an dem Ästhetik und Schrecken so nahe beieinander
> liegen.
Bild: Die Ruinen gehören zum Schönsten, was es auf der Welt zu sehen gibt
Die größte Überraschung seinerzeit in Palmyra: wie viele Touristenbusse mit
deutschen Reisegruppen unterwegs waren. Bei unzählig vielen, bieder
wirkenden Ehepaaren mittleren Alters war das Interesse am unermesslich
scheinenden Ruinenfeld der antiken Handelsstadt offensichtlich größer als
die – damals zwar unbegründete, aber dennoch weit verbreitete – Furcht vor
lauernden Gefahren. Nie war mir das deutsche Bildungsbürgertum
sympathischer, nie habe ich mich ihm enger verbunden gefühlt als damals im
Frühling des Jahres 2006 in Syrien.
Natürlich liegt Schönheit im Auge des Betrachters, selbstverständlich lässt
sich das Verständnis von Ästhetik nicht von der soziokulturellen Prägung
trennen. Und trotzdem sei der Satz ohne Einschränkung so hingeschrieben:
Die in der Nachmittagssonne rötlich und golden schimmernden Säulen inmitten
der Wüste gehören zum Schönsten, was es auf der Erde zu sehen gibt. Zum
Heulen schön.
Für Archäologen und Altertumsforscher ist das Forum Romanum in Rom
interessanter. Das in der heutigen Türkei gelegene Troja ruft Erinnerungen
an den Schulunterricht wach. Homer und die Ilias und Schliemann und
überhaupt. Palmyra ist ein Geschenk. Seltsamerweise gehören Kenntnisse über
die uralte Handelsstadt, über das steinerne Zeugnis einer gelungenen
Verbindung zwischen Orient und Okzident nicht zum Bildungskanon. Man darf
den Anblick einfach genießen.
Nein: Man darf nicht. Man durfte. Schon lange kommen nach Palmyra keine
Touristen mehr, und wenn eines fernen Tages endlich wieder Frieden herrscht
in Syrien, dann wird es dort vermutlich nichts mehr geben, was die
Besichtigung lohnt. Schätze, die 2.000 Jahre überdauert haben, können heute
– dem technischen Fortschritt sei Dank – binnen weniger Stunden dem
Erdboden gleich gemacht werden. Die Kämpfer des so genannten Islamischen
Staates, die alle Erinnerungen an vorislamische Zeiten vernichten wollen,
haben ein neues, lohnendes Betätigungsfeld erobert.
## Schwacher Trost
„Völlige Vernichtung ist unmöglich,“ sagt eine befreundete Archäologin.
„Den vielen Zerstörungsschichten der Vergangenheit wird einfach eine
weitere hinzugefügt.“ Mehr könne niemand erreichen, so leicht sei
Erinnerung nicht zu tilgen. „Und außerdem ist der Islamische Staat doch
nicht die erste Bewegung, die mit der Zerstörung von Kunstwerken eine
Mission zu verfolgen glaubt. Denk mal an die protestantischen
Bilderstürmer.“ Das stimmt natürlich. Aber ich finde das einen schwachen
Trost.
Ist es nicht zynisch, über die Zerstörung alter Säulen zu trauern, wenn
gleichzeitig Menschen gefoltert und massakriert werden, fragt ein Kollege,
der über einer Überschrift für einen Palmyra-Bericht brütet. Ich verstehe
sein Problem. Tadmur, wie Palmyra auf arabisch heißt, ist für viele Syrer
schon lange nicht mehr mit Gedanken an Schönheit und Kultur verbunden.
Sondern mit einem der schrecklichsten Foltergefängnisse des Assad-Regimes.
Der Begriff Assad-Regime meint hier: sowohl Vater als Sohn. [1][Jetzt mag
der IS die Einrichtung für eigene Zwecke nutzen]. Kontinuität der
Geschichte kann furchtbar sein.
Trotzdem und dennoch: Ich glaube, es ist unmöglich, die Trauer über die
Zerstörung uralter Kunstschätze zu trennen von dem Entsetzen über
Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Leute brauchen Anknüpfungspunkte, um
sich mit Opfern zu identifizieren. Das ist nicht gerecht, natürlich ist das
nicht gerecht. Wenn morgen der Eiffelturm in die Luft gesprengt würde, dann
weinte die Welt – obwohl es wirklich schönere Gebäude gibt. Aber eben nur
sehr wenige, die mit vergleichbar vielen Projektionen und Sehnsüchten
verbunden sind.
## „Und unser Wirt?“
Ein Erdbeben in einer abgelegenen, ländlichen Region irgendwo im Nirgendwo,
das Hunderte oder Tausende von Todesopfern gefordert hat, löst weniger
Entsetzen aus als die Meldung, dass ein einzelnes Kind inmitten der
friedlichen Stadt vermisst wird, in der man selber wohnt. Irrational,
unfair – und unvermeidlich.
Auch meine Trauer und meine Wut über die drohende Zerstörung von Palmyra
ist nicht ausschließlich dem Entsetzen geschuldet, dass Kulturdenkmäler
zerstört werden könnten. „Und unser Wirt?“ fragt die Tochter. „Was ist …
dem geworden?“ Natürlich weiß sie, dass ich keine Ahnung habe, was aus ihm
geworden ist.
„Unser“ Wirt war ein Mann, vielleicht Mitte 30, mit dem wir unweit unseres
Hotels ins Gespräch gekommen waren und der uns eingeladen hatte, in seinem
ganz neu eröffneten Restaurant zu Abend zu essen. Er wirkte so glücklich.
So glücklich und so zuversichtlich. Herzlos wäre ich mir vorgekommen,
seiner Aufforderung nicht Folge zu leisten.
## Vielleicht auf dem Mittelmeer
Einige Stunden später sah ich das anders. Wir waren offenkundig erwartet
worden, uns wurde aufgetischt, was die Küche zu bieten hatte. Ohne dass wir
eine Gelegenheit bekommen hätten, in die Karte und damit vielleicht auch
auf die Preise zu schauen. Ich ärgerte mich über mich selbst.
Anfängerfehler. Zweifellos würde die Rechnung unser Budget sprengen,
jedenfalls grotesk überteuert sein. Wie unfassbar dumm von mir.
Wie unfassbar borniert von mir, Nepp zu unterstellen! Der hoffnungsvolle
Restaurantbetreiber traf eine halbe Stunde nach uns ein. Entschuldigte sich
für die Verspätung, setzte sich zu uns, ließ noch mehr Gerichte auffahren –
und weigerte sich dann stur, auch nur ein syrisches Pfund, einen Pfennig
oder einen Euro als Bezahlung anzunehmen. Er hatte uns doch eingeladen!
Warum er das getan hat, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht fand er uns
einfach sympathisch. So etwas kommt vor. Was habe ich mich für meinen
Verdacht, er habe uns nur ausnehmen wollen, später geschämt.
Was aus ihm geworden ist? Wenn ich optimistisch bin, dann denke ich, dass
er und seine Familie vielleicht gerade auf dem Mittelmeer treiben. Und
nicht bereits ermordet wurden. Sicher kann man allerdings sein: Das
Restaurant, in dem dieser Mann seine Zukunft sah, ist kein Erfolg geworden.
Heute erinnere ich mich nicht mehr an seinen Namen, ich habe nicht einmal
sein Gesicht noch vor Augen. Ich kann seine Gastfreundschaft nicht erwidern
– so gern ich es täte. Und ich täte es wirklich gern. Aber vermutlich ist
er ohnehin längst tot, so tot wie all seine Träume.
24 May 2015
## LINKS
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## AUTOREN
Bettina Gaus
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