# taz.de -- Wahlrecht ohne deutschen Pass: Exklusive Demokratie | |
> Die Arbeitskraft von Migrant:innen wird ausgebeutet – wählen dürfen | |
> viele aber nicht. Warum die Demokratie eigenen Ansprüchen nicht gerecht | |
> wird. | |
Bild: Wahlkampf 2021:Nicht jede/r kann mitmachen | |
Am Wochenende bin ich vom Wedding nach Kreuzberg spaziert, das | |
Gesprächsthema mit der Begleitung: Wahlplakate, viele langweilige, einige | |
peinliche, wenige witzige, und eines, das mich berührt hat: ein Wahlplakat | |
der Linken auf Türkisch: „Kiracıyı korumak“ – „Mieter schützen“. … | |
man das Anliegen durchaus hätte eleganter formulieren können, habe ich mir | |
gedacht: Schön, ein Zeichen des Fortschritts! | |
Gleichzeitig habe ich gedacht: Vielen Leuten, die sich von diesem | |
Wahlplakat angesprochen fühlen könnten, wird die fortschrittliche | |
Plakatierung wenig bringen. Wenn sie keinen deutschen Pass haben, dann | |
dürfen sie in Deutschland nicht wählen. Ich habe auch an meinen Vater | |
gedacht, und viele andere wie ihn: Knapp drei Millionen türkeistämmige | |
Menschen leben in Deutschland, etwa die Hälfte hat die deutsche | |
Staatsbürgerschaft und ist wahlberechtigt. [1][In Berlin] dürfen 789.000 | |
Erwachsene bei insgesamt knapp 2,5 Millionen Wahlberechtigten nicht wählen, | |
weil sie keine deutsche Staatsangehörigkeit haben – weder bei der | |
Bundestagswahl, noch bei der Abgeordnetenhauswahl, [2][auch nicht beim | |
Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen.] | |
Weil ich das krass finde, vor allem in einem Land, das sich in steter | |
Abgrenzung zu undemokratischen Zuständen weltweit seiner Demokratie rühmt, | |
habe ich das Plakat fotografiert und [3][auf Twitter geteilt]. „Jetzt | |
bräuchten mein Vater und viele andere wie er, die in diesem Land | |
jahrzehntelang geschuftet haben, noch das passende Wahlrecht“, habe ich | |
dazu geschrieben. | |
Neben viel Zuspruch kam viel Ablehnung: Ob mein Vater denn kein Deutsch | |
könne? Warum er denn keine deutsche Staatsbürgerschaft habe? Warum er sich | |
gegen das Deutschsein entscheide? | |
## „Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an“ | |
Natürlich gibt es triftige Gründe dafür, dass ein Mensch in Deutschland | |
lebt und trotzdem keine deutsche Staatsbürgerschaft hat. Sie sind | |
bürokratischer, gesetzlicher, politischer Natur. Und was Sprachkenntnisse | |
angeht: [4][Schon mal täglich acht Stunden in der Fabrik gestanden und dann | |
noch eine Sprache gelernt?] | |
Aber auch wenn sich Menschen in Deutschland bewusst gegen die deutsche | |
Staatsbürgerschaft entscheiden: Warum sollen sie ihre Vertreter:innen | |
nicht wählen dürfen, wenn sie hier leben, arbeiten, Steuern zahlen? | |
Gemessen auch an den eigenen Ansprüchen dieser Demokratie sehe ich keine | |
guten Gründe dafür, auch nicht in einer noch nationalstaatlich geprägten | |
Welt. | |
Das werden viele in Deutschland aber anders sehen. Und das hat historische | |
Gründe. Menschen mit Migrationsgeschichte wurden in diesem Land vor allem | |
als auszubeutende Arbeitskraft gesehen. Und sie werden das zum Teil immer | |
noch. „Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an“, hat der | |
türkische Musiker Cem Karaca 1984 in seinem Album „Die Kanaken“ über die | |
Arbeitsmigration gesungen. | |
Mit Blick auf das gegenwärtige Wahlrecht denke ich: Die Zeile hat auch 2021 | |
noch Geltung. | |
15 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.rbb24.de/politik/wahl/abgeordnetenhaus/agh-2021/beitraege/wahlb… | |
[2] /Mitbestimmung-fuer-Auslaenderinnen/!5720849 | |
[3] https://twitter.com/dervolkan/status/1425078899671769090 | |
[4] /Leben-und-Sterben-mit-Corona/!5757300 | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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