# taz.de -- Wahlkampf in Niedersachsen: Unverdrossen auf verlorenem Posten | |
> Auf dem Land fühlt sich Wahlkampf anders an als in der Landeshauptstadt. | |
> Unterwegs mit Besian Krasniq und seinen Jusos im Osnabrücker Hinterland. | |
Bild: Wenn plötzlich Kevin Kühnert vor der Tür steht, sind die meisten zu ve… | |
QUAKENBRÜCK taz | „Vergesst nicht, mich zu taggen, wenn ihr Insta-Stories | |
macht!“, ruft [1][SPD-Landtagskandidat Besian Krasniq noch], während seine | |
jungen Unterstützer*innen begeistert mit Möhrenstücken auf Hof und | |
Weide ausschwärmen, um die neugierigen Alpakas zu füttern. Ein paar ältere | |
Genoss*innen aus dem SPD-Ortsverein Menslage gucken fragend, sagen aber | |
lieber nichts. | |
Der Termin bei den [2][„Artland Alpakas“ in Menslage], Landkreis Osnabrück, | |
an einem Samstagvormittag gehört zu den Wohlfühlterminen, die weniger dazu | |
dienen, potentielle Wähler*innen zu erreichen, als die eigenen Truppen | |
bei Laune zu halten. Aber immerhin gibt das schöne Bilder für die sozialen | |
Netzwerke. | |
Was Krasniq zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnt: Er wird auch im Verlauf | |
dieses 16-stündigen Wahlkampftages sehr viel weniger Wähler*innen | |
ansprechen können als erhofft. Und definitiv weniger, als er braucht: Er | |
tritt hier als SPD-Kandidat in einem Wahlkreis an, in dem die CDU bei den | |
letzten beiden Wahlen mehr als fünfzig Prozent holte. | |
Sein Konkurrent ist [3][Christian Calderone, justizpolitischer Sprecher der | |
CDU-Landtagsfraktion,] der sich seiner Sache so sicher ist, dass er sich | |
nicht mal über die Landesliste abgesichert hat. Die Landeswahlleiterin | |
strich ihn von Platz 82, weil er die erforderlichen Unterlagen nicht | |
fristgemäß einreichte. Ein Umstand den Calderone mit einem Achselzucken | |
quittierte und der Bemerkung, weder er noch sein Vorgänger hätten die | |
Landesliste je gebraucht. | |
## Keine einheitlichen Hoodies | |
Es ist „Unterstützer*innen-Wochenende“ wie das bei den [4][Jusos] heißt. | |
Bundesweit haben die Landesverbände freiwillige Helfer*innen zusammen | |
getrommelt und nach Niedersachsen geschickt. Wobei bei Besian Krasniq vor | |
allem Jusos aus den Nachbarländern Bremen und Schleswig-Holstein | |
aufschlagen. Die anderen zieht es in die Landeshauptstadt Hannover, da | |
lässt sich Anreise und Unterkunft leichter organisieren. | |
Während man bei den Auftritten der Spitzenkandidaten von FDP und CDU | |
die Parteijugend in einheitlichen Hoodies oder Polohemden dabei beobachten | |
kann, wie sie routiniert an den richtigen Stellen johlen und klatschen, | |
purzelt bei Krasniq in Menslage und Quakenbrück eine eher bunte, zerzauste | |
und etwas verpeilte Truppe aus dem Wahlkampfbulli. | |
Vertreten ist dabei alles vom Ausbildungsabbrecher bis zum Konstrukteur, | |
vom Jura-Studenten über die Strafverteidigerin bis zur Logopädin, im Alter | |
irgendwo zwischen 16 und 35. 35 ist die magische Grenze, bei der man | |
aufhört, Juso zu sein. | |
Besian Krasniq ist 25 Jahre alt und hat, bevor seine | |
Unterstützer*innen auf dem Alpaka-Hof ankommen, schon in aller Frühe | |
vor einer Bäckerei im Nachbardorf Brötchen verteilt. Nach den Alpakas wird | |
er auf einem Supermarktparkplatz stehen, während die Jusos ausschwärmen, um | |
zu „flyern“, also Wahlkampfwerbung in die Briefkästen zu werfen. | |
## Warum diese Ochsentour? | |
Dann folgen noch Haustür-Wahlkampf und ein „Townhall“-Format auf dem | |
Quakenbrücker Marktplatz mit prominenter Unterstützung und weitere | |
Flyer-Verteilaktionen, bis der Abend in der Jugendherberge bei einem Bier | |
mit den Unterstützer*innen endet. Warum tut man sich das an, tagelang, | |
wochenlang, für einen Wahlkreis, der nicht zu gewinnen ist? | |
„Ich liebe Wahlkämpfe“, behauptet Besian Krasniq. Und zwar weil sie ihm | |
Gelegenheit geben, in Betriebe zu gehen und mit Leuten ins Gespräch zu | |
kommen, an die er sonst nie herankommen würde. Tatsächlich hat er in dieser | |
Gegend auch schon einige ziemlich erfolgreiche Kommunalwahlkämpfe | |
bestritten, sitzt im Stadtrat und Samtgemeinderat von Bersenbrück, ist | |
Juso-Landesvorsitzender und Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Anke | |
Henning. | |
Seine Heimatstadt Bersenbrück und Quakenbrück gehören zu einem kleinen | |
roten Flecken im Herzen [5][eines ansonsten tiefschwarzen, von katholischen | |
Bauern und Viehzüchtern geprägten Landkreises]. Von einer „Ochsentour“, w… | |
man diese Art von politischer Karriere früher nannte, will Krasniq trotzdem | |
nichts hören. „Ich hatte viel Glück, ich bin sehr früh auf Leute gestoßen, | |
die mir verantwortliche Positionen zugetraut haben.“ | |
Aber klar, räumt er ein, diese Art von Engagement muss man sich auch erst | |
einmal leisten können. Er habe sich immer dafür eingesetzt, mehr Leuten den | |
Zugang und die Mitarbeit zu ermöglichen, sagt er. | |
Zum Beispiel, in dem man Sitzungen auch mal zu anderen Zeiten stattfinden | |
lässt oder bei der Genossin zuhause, die erst noch ihre Kinder ins Bett | |
bringen muss – statt stumpf darauf zu beharren, sich immer am selben Abend | |
in derselben Kneipe zu treffen, wie es in manchen Ortsvereinen immer noch | |
Usus ist. | |
## Als Migrant exponiert | |
In die Wiege gelegt wurde ihm eine politische Karriere nicht: Seine Familie | |
stammt [6][aus dem Kosovo] und lange war nicht klar, ob sie überhaupt | |
bleiben darf. Sie hangelte sich von Duldung zu Duldung, immer von | |
Abschiebung bedroht. „Meine Eltern haben immer versucht, das von uns | |
fernzuhalten, aber natürlich spürt man die Anspannung.“ | |
Eine Zeit lang sorgte bittererweise ausgerechnet die schwere Krankheit | |
seiner kleinen Schwester für einen Aufschub. Ohne die medizinische | |
Versorgung in Deutschland wäre sie als Baby gestorben. „Es gab damals | |
Leute, die sich sehr für uns eingesetzt haben“, sagt Krasniq. | |
Aber auch Leute, die das Gegenteil taten. „Mein Vater hatte damals schon | |
eine Gaststätte und ist irgendwann mit seinen Angestellten ausgegangen. | |
Prompt musste er sich dann von einem Landkreismitarbeiter fragen lassen, | |
was das denn für ein Härtefall sein soll, wenn der junge Vater doch feiern | |
gehen kann, statt zuhause bei seinem kranken Kind zu sein.“ | |
Krasniq glaubt, dass dies einer der Momente war, die dafür sorgten, dass | |
seine Eltern vor allem eine Botschaft aussandten: Fallt bloß nicht | |
unangenehm auf! „Ich glaube, das ist eine Botschaft, die viele | |
migrantisierte Menschen verinnerlicht haben: Du bist nur was wert, wenn du | |
hart arbeitest. Du musst immer ein bisschen fleißiger und freundlicher als | |
alle anderen sein.“ | |
Dass Besian Krasniq sich nun mit seiner politischen Arbeit so exponiert, | |
macht seinen Eltern oft Angst. „Sie befürchten halt, dass ich hier so als | |
Migranten-Maskottchen herhalte – und dann aber der erste bin, der fallen | |
gelassen wird, wenn es hart auf hart kommt.“ | |
## Ein netter Kerl | |
Dabei, sagt Krasniq, habe er einfach andere Schlüsse gezogen aus seinem | |
Aufwachsen als beispielsweise sein Vater. Während der glaubt, dass man sich | |
am Ende doch nur auf sich selbst und die eigene Familie verlassen kann und | |
darf, versucht Krasniq die Wärme und Solidarität, die er in seiner großen | |
Familie erfahren hat, in die Politik zu transportieren. | |
Er vermittelt den Eindruck von jemandem, der erstens ein furchtbar netter | |
Kerl ist und der sich zweitens gerne kümmert. Als Gastro-Kind hat er auch | |
keine Probleme damit, mit jedem ins Gespräch zu kommen. Das kommt bei den | |
Genoss*innen erkennbar gut an. Ob es auch reicht, um im raueren Klima | |
der Landespolitik zu überleben, steht auf einem anderen Blatt. | |
Krasniq verkörpert nicht nur selbst eine ur-sozialdemokratische | |
Aufstiegsgeschichte, als erster, der – trotz anders lautender Empfehlungen | |
– ein Gymnasium besucht und studiert hat. Er hat auch ein sicheres Gespür | |
für solche Geschichten bei anderen. | |
Das zeigt sich zum Beispiel, wenn er bei der Wahlkampfveranstaltung auf dem | |
Marktplatz den frisch examinierten Krankenpfleger auf die Bühne bittet, der | |
erzählt, dass er im Krankenhaus die Mittagessen austeilt, statt zu pflegen | |
– weil die Pflegehelfer*innen, die das eigentlich tun sollten, nicht mehr | |
finanziert werden. | |
## Promi-Faktor contra Regen | |
Ein großer Redner ist Krasniq allerdings nicht, er fremdelt noch mit der | |
großen Bühne, greift oft zu floskelhaften Formulierungen, die er sich | |
vielleicht von älteren Kommunalpolitiker*innen abgeschaut hat. Das | |
fällt besonders auf, wenn er neben [7][Kevin Kühnert] steht. | |
Der aktuelle SPD-Generalsekretär und frühere Juso-Bundesvorsitzende kommt | |
am Nachmittag angebraust, zwischen zwei anderen Terminen im | |
niedersächsischen Wahlkampf, geht eine Runde mit Krasniq von Tür zu Tür und | |
stellt sich dann auf den Marktplatz, um politische Fragen zu beantworten. | |
Den Marktplatz und die Fußgängerzone hat kurz vorher ein heftiger | |
Gewitterschauer gründlich leer gefegt, da hilft auch der Promi-Faktor | |
nicht. Es ist auch nicht der letzte Schauer an diesem Tag, schon der | |
Infostand und die Verteilaktion der Jusos wurden gründlich verhagelt, was | |
deren Laune aber kaum zu beeinträchtigen scheint. | |
Kühnert spricht jedenfalls in erster Linie zu Jusos und SPD-Mitgliedern, | |
die hier Bühne, Schirme, Bänke und Grill angeschleppt haben. Aber natürlich | |
lässt sich ein Vollprofi wie Kühnert nicht irritieren, beantwortet gewohnt | |
eloquent alle Fragen, die das geneigte Publikum auf Bierdeckeln einreicht | |
und posiert geduldig für ein gutes Dutzend Selfies. | |
## Plötzlich klingelt Kevin Kühnert | |
Wirkungsvoller als der Auftritt auf dem Marktplatz war möglicherweise seine | |
kleine Tour durch ein nahegelegenes Wohnviertel. Jedenfalls gibt es jetzt | |
ein paar Quakenbrücker Bürger*innen, die erzählen können, wie es eines | |
Nachmittages plötzlich an der Tür klingelte und sie dieses Talkshow-Gesicht | |
anlächelte. | |
Kühnert schwört auf diese Art von Wahlkampf, auch wenn die meisten Leute | |
viel zu verblüfft sind, um irgendeine Frage zu stellen. Seine Theorie ist: | |
Man macht es den Leuten schwerer, Politiker*innen als „die da oben“ | |
abzustempeln. | |
Wenn diese Politiker*innen sich die Mühe machen, zu den Leuten zu | |
kommen, machen sich anschließend auch mehr dieser Leute auf den Weg ins | |
Wahllokal. Und Mobilisierung ist schon immer das Kernproblem der SPD. | |
Nichts schadet ihr so sehr wie eine niedrige Wahlbeteiligung. | |
## Beschimpfungen sind die Ausnahme | |
Für die allgemeine politische Gemengelage findet Kühnert den | |
niedersächsischen Wahlkampf sogar erstaunlich zivil. „Natürlich dominieren | |
Energiekrise und Inflation gerade alles, diese Krise ist eben auch | |
beispiellos.“ Aber immerhin, findet er, streiten die Parteien in | |
Niedersachsen noch relativ fair um Lösungen. | |
Das sieht auch Besian Krasniq so. [8][Organisierte Störer, sagt er, habe er | |
hier noch nicht gesehen.] Was nicht bedeuten soll, dass die Provinz-Welt | |
heile ist: „Man sieht halt so Hasskommentare auf Facebook, die dann immer | |
ganz geballt kommen und meist nach 22 Uhr.“ | |
Auch seine Mutter und seine Tante seien beim Flyer verteilen schon | |
rassistisch beschimpft worden. Aber das sei eher die Ausnahme. „Mit den | |
meisten Leuten kann man ganz vernünftig reden. Auch wenn man politisch | |
nicht einer Meinung ist.“ | |
8 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.besian-krasniq.de | |
[2] https://www.artland-alpakas.de/ | |
[3] /Ueberwachungskameras-in-Gefaengnissen/!5856202 | |
[4] /Jusos/!t5014547 | |
[5] /Familiennachzug-in-Niedersachsen/!5882567 | |
[6] /Kosovo/!t5007964 | |
[7] /Kevin-Kuehnert/!t5469179 | |
[8] /Aggressionen-im-Landtagswahlkampf/!5878100 | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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