# taz.de -- Wahlen in Kenia: Siegessicher im fünften Anlauf | |
> Bei Kenias Wahlen könnte sich Oppositionsführer Raila Odinga durchsetzen. | |
> Präsident Kenyatta, eigentlich sein Gegner, unterstützt ihn. | |
Bild: Kenias Oppositionskandidat Raila Odinga (mitte) mit seiner Vize-Kandidati… | |
AMSTERDAM taz | Wahlkampffieber herrscht wieder in Kenia. Am 9. August geht | |
es an die Urnen für einen neuen Präsidenten, die Parlamentsabgeordneten und | |
die Distriktverwaltung. Kandidaten gehen sich gegenseitig an die Kehle, die | |
Medien machen aus allem sensationelle Berichte und die Wähler freuen sich | |
über unerfüllbare Versprechen von kostenloser Gesundheitsversorgung oder | |
Aufbau großartiger Industrien mit unendlich vielen Arbeitsplätzen. Alles | |
wie immer. | |
Aber im Gegensatz zu allen vorherigen Wahlen steht diesmal weniger die | |
ethnische Abstammung im Vordergrund bei der Präsidentenwahl und mehr die | |
persönliche Herkunft. Dadurch kann blutige Gewalt, die es so oft bei Wahlen | |
in Kenia gab, vielleicht abgewendet werden. | |
Die wichtigsten Kandidaten sind der ehemalige Premierminister Raila Omollo | |
Odinga (77), der im fünften Anlauf endlich Präsident werden will, und der | |
amtierende Vizepräsident William Samoei arap Ruto (55). | |
Bemerkenswerterweise hat der amtierende Präsident Uhuru Kenyatta seinen | |
Vize Ruto im Stich gelassen und [1][unterstützt Odinga], historisch | |
eigentlich sein ärgster Rivale. Es ist ein für Kenia revolutionäres Bündnis | |
der beiden mächtigsten Familien in Kenias Politik. | |
Seit Kenias Unabhängigkeit 1963 sind die Kenyattas und Odingas eng | |
miteinander verbandelt. Odingas Vater Jaramogi Oginga Odinga war der erste | |
Vizepräsident von Kenia während der Präsidentschaft von Jomo Kenyatta, | |
Vater des heutigen Präsidenten. Beide Väter waren erst Freunde, dann | |
zerstritten sie sich und wurden zu Feinden, Oginga Odinga wurde gefeuert | |
und ging in die Opposition. | |
## Konflikt zwischen zwei Familien und zwei Völkern | |
Die Ursache des Streits wird oft vereinfacht dargestellt: Jomo Kenyatta als | |
Kapitalist und Oginga Odinga als Sozialist – Etiketten, die auch an beiden | |
Söhnen kleben. Aber in Wirklichkeit bauten beide ein wirtschaftliches | |
Imperium auf, als sie in die Politik einstiegen. Odinga nutzte seine Macht, | |
um Teilhaber von Unternehmen zu werden, während Kenyatta sich selbst | |
riesige Ländereien schenkte. | |
Der Krach zwischen beiden mittlerweile verstorbenen Politikern sorgte nicht | |
nur für Rivalität zweier politischen Familien, sondern auch zwischen zwei | |
Völkern: Die Kikuyu im zentralkenianischen Hochland, zu denen die Kenyattas | |
gehören, und die Luo am Victoria-See, denen die Odinga-Familie angehört. | |
Die beiden Söhne Uhuru Kenyatta und Raila Odinga sind unterschiedlich, | |
haben aber auch viel gemeinsam. Kenyatta wuchs auf in großem Reichtum und | |
hatte von vornherein Zutritt zur Politik. Raila Odinga, auch nicht in Armut | |
aufgewachsen, musste seine politische Glaubwürdigkeit selbst aufbauen: | |
zunächst als politischer Gefangener zwischen 1982 und 1988, dann als | |
Abgeordneter sowie Premierminister 2008-2013. Er hat sich als erfahrener | |
Oppositionsführer etabliert, gilt als Meisterstratege und hervorragender | |
Mobilisierer mit seiner rauen brummenden Stimme. Die Luo verehren ihn wie | |
einen Halbgott. | |
Aber wie Uhuru Kenyatta ist auch Raila Odinga ein Genießer, der gutes Essen | |
und Getränke mag, und beide sind locker im Umgang mit allen | |
Bevölkerungsschichten. | |
## Bewunderung für William Ruto, den Aufsteiger | |
Odingas Herausforderer bei dieser Wahl, Vizepräsident William Ruto, stammt | |
aus einer Familie, in der Geld spärlich war, aber jetzt gehört er zu den | |
Reichen in Kenia. Sein Vermögen hat er angehäuft, seit er in der | |
politischen Arena tätig ist, wie übrigens die meisten Politiker im Land. | |
Ruto wird oft mit Korruptionsskandalen in Verbindung gebracht, die er immer | |
verneint. Er macht mit einer populistischen Kampagne aus den Wahlen einen | |
Kampf zwischen politischen Dynastien wie den Odingas und Kenyattas, die die | |
Politik und Wirtschaft seit der Unabhängigkeit dominiert haben, und den | |
sogenannten „Hustler“, wie Ruto sich selbst umschreibt. Das englische Wort | |
für einen etwas halbseidenen Emporkömmling ist in Kenia ein Begriff für | |
jemanden, der auf alle mögliche Art und Weise versucht, Geschäfte zu | |
machen. | |
Viele Kenianer sind in dieser Situation und sie bewundern Ruto, der es | |
geschafft hat, von einem schlecht bezahlten Lehrer mit etwas Hühnerzucht im | |
Nebenberuf zu einem der reichsten Männer Kenias zu werden. Doch | |
Freundlichkeit ist bei Ruto nicht selbstverständlich, und viele fürchten | |
ihn. Er hat den Ruf, rücksichtslos und aggressiv zu sein. Im Gegensatz zu | |
Kenyatta und Odinga ist Ruto ein Antialkoholiker und gibt sich als sehr | |
religiös, was ihm viel Unterstützung von den Kirchen eingebracht hat, die | |
sehr einflussreich sind. | |
Willy Mutunga, ehemaliger Oberster Richter und Reformaktivist, glaubt, dass | |
keiner der Kandidaten gut für Kenia ist. „Wir haben Politiker, denen es an | |
politischer Vision mangelt, aber die sich wahrscheinlich des materiellen | |
Interesses sehr bewusst sind, das darin besteht, zu stehlen, Geld zu | |
waschen und nicht zu investieren.“ Diese Skepsis teilen viele Kenianer, die | |
die endemische Korruption im Land satt haben. | |
## Auf die Stimmen der Kikuyu wird es ankommen | |
Kikuyu sind die größte Bevölkerungsgruppe im Land und das könnte den | |
Ausschlag bei diesen Wahlen geben. Doch bei manchen Kikuyu ist die | |
historische Abneigung gegen die Luo so groß, dass sie Ruto vorziehen. Der | |
andere Teil verabscheut Ruto und gönnt Odinga eine Chance, wahrscheinlich | |
seine letzte, um Präsident zu werden. | |
Dass beide Kandidaten Kikuyu als Vizepräsidenten aufgestellt haben, zeigt, | |
dass beide die Kikuyu-Stimmen für entscheidend halten. Gleichzeitig könnte | |
das verhindern, dass es zu blutigen Auseinandersetzungen kommt. Odinga hat | |
mit der Kür von Martha Karua zur Vizepräsidentschaftskandidatin Geschichte | |
geschrieben. Die als mutig und hartnäckig bekannte ehemalige Ministerin | |
wäre die erste Frau in Kenia, die auf einen so hohen Posten kommt. | |
Doch auch historische Erinnerung spielt mit. Bei den umstrittenen Wahlen | |
von 2007 unterstützten Kenyatta und Ruto rivalisierende | |
Präsidentenkandidaten. Dadurch standen Kenyattas Kikuyu und Rutos Kalenjin | |
gegeneinander. Das resultierte in blutigen Kämpfen im ganzen Land mit rund | |
1.200 Toten. Der Internationale Strafgerichtshof klagte sowohl Kenyatta als | |
auch Ruto wegen mutmaßlicher Anstiftung zur Gewalt an. Die | |
Gerichtsverfahren scheiterten, da Zeugen bestochen und bedroht wurden oder | |
verschwanden. Beide Politiker schlossen ein Bündnis, kandidierten bei der | |
nächsten Wahl 2013 gemeinsam und gewannen. 2017 wurde Kenyatta im Bündnis | |
mit Ruto [2][wiedergewählt]. Bei allen drei Wahlen hieß der Verlierer | |
Odinga. | |
Die Abmachung war, dass Ruto erst Kenyatta an die Macht verhilft und dieser | |
nach zwei Amtszeiten für Ruto dasselbe tut. Aber mit der neuen Freundschaft | |
zwischen Odinga und Kenyatta ist dieser Deal passé. | |
Exrichter Mutunga ist nicht überzeugt, dass das Wahlergebnis friedlich | |
begrüßt werden wird, egal wie es ausfällt. „Die Politik ist noch immer rund | |
um Ethnizität und Spaltung organisiert. Die Bevölkerung glaubt nicht an | |
freie und ehrliche Wahlen. Wenn ihr Kandidat verliert, glauben Anhänger | |
gleich, dass er betrogen wurde, und gehen spontan auf die Straße.“ | |
8 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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