# taz.de -- Vorwahlkampf in Nigeria: Neue alte Gesichter | |
> Bei den Wahlen 2023 tritt Präsident Buhari nicht mehr an. Unter den | |
> Nachfolgekandidaten sind die chancenreichsten zugleich die altbekannten. | |
Bild: Markt in Lagos: Die Inflation sorgt die Bevölkerung, während Nigerias P… | |
COTONOU taz | Nigerias Präsident Muhammadu Buhari geht in das letzte Jahr | |
seiner Amtszeit. Nach zweimal vier Jahren kann der 79-Jährige bei den | |
Wahlen 2023 nicht noch einmal antreten, und er wird es wohl auch nicht | |
versuchen, anders als manche seiner westafrikanischen Kollegen. Durch eine | |
Reihe von Staatsstreichen seit der Unabhängigkeit hat Nigeria keine | |
Tradition von Langzeitherrschern, wohl aber von Politikern, die auf | |
verschiedenen Ebenen seit Jahrzehnten immer neu auftauchen, auch in diesem | |
Vorwahlkampf. | |
Derzeit sollte das beherrschende Thema im Land eigentlich die katastrophale | |
Sicherheitslage sein. Im vergangenen Jahr wurden nach unabhängigen | |
Zählungen über 2.600 Zivilist*innen in Nigeria von Milizen und Banden | |
ermordet. Sie sind im ländlichen Raum aktiv, in dem der Staat wenig bis gar | |
nicht präsent ist. Sie stehlen Vieh, [1][überfallen Dörfer] und sind | |
[2][entführen Menschen gegen Lösegeld]. Knapp ein Drittel der Toten | |
verzeichnet allein der Bundesstaat Kaduna. | |
Längst gehen auf das Konto dieser Banden weitaus mehr Opfer als auf das der | |
islamistischen Terrorgruppen Boko Haram und „Islamischer Staat in der | |
Westafrikanischen Provinz“ (ISWAP). Zugenommen hat auch politische Gewalt | |
im Südosten des Landes, wo der paramilitärische Flügel der | |
Unabhängigkeitsbewegung Indigene Menschen von Biafra (IPOB) regelmäßig | |
Polizeistationen angreift. | |
Ein Problem, das alle 210 Millionen Einwohner Nigerias betrifft, ist die | |
Wirtschaftskrise, die sich mit der Covid-19-Pandemie weiter verschärft hat | |
– seit Jahren wächst das Bruttoinlandsprodukt kaum, die Inflation hingegen | |
ist auf knapp 17 Prozent gestiegen. | |
## Wachsende Not und Unzufriedenheit | |
All das lässt Unzufriedenheit und Not ansteigen. In diesem Klima findet der | |
Vorwahlkampf statt. Gewählt werden soll am 23. Februar 2023. Die | |
Amtseinführung findet dann am „Tag der Demokratie“ am 29. Mai 2023 statt. | |
Schon ein Jahr vorher ist die Buhari-Nachfolge das beherrschende Thema in | |
Nigerias Politik. Spitzenkandidat müsste nach bisheriger Logik ein Christ | |
aus dem Süden werden, da Buhari ein Muslim aus dem Norden ist. Seit dem | |
Ende der Militärdiktatur 1999 gilt die Regel, dass die Macht zwischen | |
Christen und Muslimen sowie zwischen Süd und Nord rotiert. | |
Nach wochenlanger Spekulation gab Mitte April der amtierende Vizepräsident, | |
Yemi Osinbajo, 65, seine Ambitionen per Twitter bekannt. Bei öffentlichen | |
Auftritten wirkt der Jurist und evangelikale Pastor aus dem | |
südnigerianischen Lagos überlegt und sachlich. Er hat durchaus | |
Unterstützer*innen auch im Norden und betont, dass der Vielvölkerstaat | |
Nigeria geeint werden müsse. | |
Drei Monate Vorwahlkampf-Vorsprung hat allerdings Bola Tinubu, 70, der | |
bereits im Januar seine Kandidatur ankündigte. Überraschend kam das nicht, | |
aber es verkompliziert die Lage. Der Geschäftsmann Tinubu kommt ebenfalls | |
aus Lagos, ist aber Muslim. Von 1999 bis 2007 war er Gouverneur des | |
Bundesstaates Lagos und warb dann für Babatunde Fashola als seinen | |
Nachfolger. | |
## Der „Pate von Lagos“ als Strippenzieher | |
Der Technokrat Fashola, derzeit Minister für Arbeit und Wohnen, | |
verpasste der Megacity ein neues Gesicht: Parks entstanden ebenso wie | |
Busspuren für den Personennahverkehr. Bei Nigerias Wahlen 2015 und 2019 | |
unterstützte Tinubu schließlich Buhari als Präsidenten und sicherte ihm die | |
entscheidenden Stimmen aus Lagos und Nigerias Südwestens. | |
„Pate von Lagos“ wird Tinubu oft genannt, in der nordnigerianischen | |
Haussa-Sprache auch „Jagaban“ (Anführer). Seit Januar ist er überall | |
präsent. Er spendet an Opfer von Bandenkriminalität, er trifft regelmäßig | |
Provinzgouverneure der Regierungspartei APC (All Progressives Congress) aus | |
Nord- und Zentralnigeria. | |
Anders als Osinbajo, der ebenfalls ein Ziehsohn Tinubus ist und unter ihm | |
Landesjustizminister war, hat Tinubu sein Netzwerk über Jahrzehnte | |
aufgebaut und gepflegt. Schwere Korruptionsvorwürfe wischt er weg. Auch | |
verfügt er über die Mittel für einen Wahlkampf. Alleine die Kandidatur für | |
die Vorwahl kostet umgerechnet 228.000 Euro. | |
Weitere Anwärter auf die APC-Kandidatur gelten als chancenlos. Dazu gehört | |
Rotimi Amaechi, Transportminister und ehemaliger Gouverneur des | |
Bundesstaates Rivers im Niger-Flussdelta Südosten. | |
Bei der wichtigsten Oppositionskraft PDP (Peoples Democratic Party), die | |
Nigeria von der Demokratisierung 1999 bis zu Buharis Wahlsieg 2015 | |
regierte, sind altbekannte Politiker im Rennen. Anders als noch 2019 | |
vermutet, tritt PDP-Dauerkandidat Atiku Abubakar tatsächlich erneut an, zum | |
sechsten Mal. | |
Vizepräsident war der mittlerweile 75-Jährige bereits von 1999 bis 2007 | |
gewesen. Weitere Anwärter sind Peter Obi, der 2019 noch als Vize im | |
Atiku-Team war, sowie Nyesom Wike, aktueller Gouverneur von Rivers. | |
25 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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